Als „deutsche Ballerina von Weltformat“ wurde sie gefeiert und hat mit zum Stuttgarter „Ballettwunder“ beigetragen. Mittlerweile ist Birgit Keil Direktorin des Karlsruher Staatsballetts und Professorin an der Musikhochschule Mannheim. Mit Hanns-Horst Bauer unterhielt sie sich über Fügung, Leidenschaft und Charisma.
Ihre Compagnie darf sich seit dem vergangenen Jahr „Staatsballett“ nennen. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie? Hier in Karlsruhe gibt es schon seit langem das Staatstheater, die Staatsoper und die Staatskapelle. So ist es eigentlich sehr schön, dass wir uns jetzt Staatsballett nennen dürfen. Ich betrachte das als großartige Anerkennung und Würdigung der Arbeit, die wir hier leisten. Ich freue mich sehr darüber, vor allem auch für mein Ensemble.
Sie konnten in der vergangenen Saison Ihr zehnjähriges Jubiläum als Ballettdirektorin feiern. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt? Sie waren doch mit der Leitung der Akademie des Tanzes in Mannheim und Ihrer privaten Tanzstiftung ganz schön ausgelastet Nur unter diesen Voraussetzungen wollten Sie das Karlsruher Ballett übernehmen. Ja, das ist richtig, es gab genug zu tun. Und Ballettdirektorin zu werden, das stand eigentlich nicht auf meiner Wunschliste. Aber diese Aufgabe schien mir, als man auf mich zukam, doch sehr sinnvoll. Allerdings nur in Verbindung mit der Tanzakademie; die wollte ich auf gar keinen Fall aufgeben, da man in der Ausbildung besonders viel bewegen kann. Mit ihr und meiner Stiftung habe ich die Möglichkeit gesehen, junge Talente für die Compagnie zu entdecken und ihnen hier eine Chance zur professionellen künstlerischen Weiterentwicklung zu bieten. Und: „Übernommen“ würde ich das nicht nennen, sondern eher neuformiert. Was hier vor meiner Zeit gemacht wurde, war sicher auch gut, aber in jeder Hinsicht eine andere Richtung.
In der Akademie bilden wir schwerpunktmäßig klassisch aus, vergleichbar zum Beispiel mit der John-Cranko-Schule in Stuttgart und den Tanzakademien in München, Berlin und Hamburg. Mein Ziel war es, ein Ensemble aufzubauen, das im Stande ist, auf hohem Niveau die großen Klassiker zu tanzen. Inzwischen gehören zu unserem Repertoire Don Quichotte, Giselle, Coppelia, Nussknacker, Schwanensee, Dornröschen, Romeo und Julia und La Fille mal gardée – Werke, in denen man mit anderen Häusern vergleichbar ist. Diese großen Produktionen kann natürlich ein Ensemble unserer Größe allein nicht stemmen. Doch in Verbindung mit der Akademie und dem Ballettstudio (Studierende des Masterstudiengangs der Akademie des Tanzes Mannheim) ist dies möglich. Zusätzlich erachte ich die kreative Entwicklung als unerlässlich. Das heißt: die Zusammenarbeit mit bedeutenden etablierten und die Förderung junger Choreographen.
Welche Rolle hat beim Aufbau Ihrer Compagnie Ihre eigene tänzerische Vergangenheit gespielt? Ich komme aus Stuttgart, wo John Cranko, der von Anfang an mich glaubte, Ballettgeschichte geschrieben hat. So kann ich meine persönlichen Erfahrungen einbringen. Zudem bestehen aus dieser Zeit weltweit Kontakte, die meinem Ensemble zugutekommen.
Ihre Compagnie setzt sich im Augenblick aus 20 weiblichen und 16 männlichen Mitgliedern zusammen. Haben Sie auch, wie viele andere Häuser, Probleme mit dem männlichen Nachwuchs? Natürlich studieren an unserer Akademie mehr junge Frauen als Männer. Das hat sicher auch mit den bekannten Vorurteilen zu tun, die in Deutschland noch weit verbreitet sind, im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich oder Russland. Dabei ist der körperliche Einsatz der Tänzer vergleichbar mit Hochleistungssport. Hinzu kommt noch der künstlerische Aspekt mit der kreativen Interpretation von Inhalten und Musik. Für mich sind sie alle individuelle Persönlichkeiten, die ich respektiere und fördere. Dafür braucht man sicher viel Erfahrung, fachliche wie auch menschliche. Ich bin selbst sehr ehrlich, sensibel und emotional und mag mich nicht verstellen. Von meinen Tänzern und Studierenden will ich in den Vorstellungen begeistert werden. Ich möchte weinen, ich möchte lachen können. Sie müssen mich einfach mitreißen. Das ist alles sehr aufregend und spannend, zeigt es doch – die Tänzer kommen aus aller Welt -, dass Tanz keine Grenzen kennt. Für mich ist der Tanz die schönste, aber auch die vergänglichste, zerbrechlichste Kunst, bei der der Körper selbst das Instrument ist. Die große Kunst ist, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Wenn man nicht süchtig danach ist, den Tanz nicht als Droge im positiven Sinn betrachtet, sondern ihn nur als Job sieht, dann kann das nicht funktionieren. Voraussetzung ist Talent. Dazu braucht man aber auch Durchhaltevermögen, Willenskraft, Leidenschaft und Ausstrahlung – eben Charisma und das nötige Quäntchen Glück. Glück ist, wenn meine Seele tanzt.
Wann hat Ihre Seele zu tanzen begonnen? Ich glaube, ich bin für den Tanz geboren. Ich glaube in meinem Leben an Fügung. Meine Mutter hat mich, zu meiner großen Freude, schon ganz früh ins Kinderballett geschickt. Meine ersten Spitzenschuhe habe ich mit sechs Jahren bekommen. Das Päckchen habe ich voller Vorfreude aber erst zu Hause zusammen mit meiner Mutter ausgepackt und die Schuhe sofort angezogen. Ich bin dann, ganz ohne Angst, zum ersten Mal auf Spitzen durchs Zimmer gelaufen. So wurde Spitzentanz zu meiner Stärke. Ich hatte das Glück, für den Tanz prädestiniert zu sein. Als Kind war ich zwar häufig krank, was mich aber, wie mir scheint, gestärkt hat.
Nach Ihrer Welt-Karriere als Primaballerina haben Sie sich fürs Unterrichten an einer Hochschule entschieden. Wie kam es dazu? Ich fühlte, dass der Zeitpunkt gekommen war, meine Tätigkeit zu verändern. Meinen Abschied von der Bühne betrachtete ich als Neuanfang, denn künftig wollte ich mich für den tänzerischen Nachwuchs engagieren. In diesen zu investieren schien mir sinnvoll. Die einzige Art, Tanz lebendig zu halten, ist, diesen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Da kam der Ruf durch Ministerpräsident Erwin Teufel, mich an die Mannheimer Akademie des Tanzes zu verpflichten, genau im richtigen Augenblick. Hier konnte ich in der Lehre meine Erfahrungen einbringen und Hilfestellungen leisten. Für mich selbst war es auch eine Chance zur Weiterentwicklung, denn so ein Hochschulapparat ist recht kompliziert. Viele haben mir davon abgeraten. Ich hab´s trotzdem gewagt, und jetzt sind es schon 18 Jahre seit der Gründung. Ganz wesentlich zum Gelingen beigetragen hat sicher der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth als Kuratoriumsvorsitzender. Mit der Stiftung können wir den tänzerischen und choreographischen Nachwuchs fördern.
Stiftung in Stuttgart, Akademie-Leitung in Mannheim, Ballettdirektorin in Karlsruhe – wird Ihnen das nicht manchmal zu viel? Nein, im Gegenteil. Der Synergie-Effekt ist bemerkenswert. Förderung – Ausbildung – professionelle Karriere ergibt für mich das magische Dreieck aus Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe.
Hat es Sie nie gereizt, selbst zu choreographieren? Ich habe mit sehr viel Freude ein paar kleinere Choreographien gemacht, allerdings nie mit dem Gedanken, Choreographin zu werden.
Viele berühmte Choreographen haben Werke eigens für Sie geschaffen. Was war das für ein Gefühl? Eine aufregende Herausforderung, in die ich mich mit totaler Hingabe vertieft habe. Eine Kreation war immer ein Zwiegespräch zwischen dem Choreographen und mir. Wobei John Cranko eine der wichtigsten Persönlichkeiten in meinem Leben war. Er hat mir künstlerisch den Weg gewiesen.
Wichtig war und ist für Sie wohl auch Vladimir Klos. Er war nicht nur Ihr großer Pas-de-deux-Partner beim Stuttgarter Ballett, Sie sind auch privat ein Paar. Er ist Professor an der Tanzakademie, deren Leitung Sie innehaben, und er ist Ihr Stellvertreter beim Karlsruher Staatsballett. Spricht man da zu Hause eigentlich auch über etwas anderes als übers Ballett? Natürlich auch übers Ballett, aber nicht nur. Wir haben ja noch andere Interessen, auch wenn bisweilen die Zeit dafür fehlt.
Biographie: Birgit Keil wurde in Kowarschen im Sudetenland geboren. Nach der Vertreibung ihrer Familie kam sie als Zehnjährige nach Stuttgart, wo sie mit ihrer Tanzausbildung an der Ballettschule der Württembergischen Staatstheater begann. 1961 wurde sie, als John Cranko die Direktion des Stuttgarter Balletts übernimmt, Mitglied der Compagnie. Ihr außergewöhnliches Talent brachte ihr ein einjähriges Stipendium an der Royal Ballet School in London ein. Nach ihrer Rückkehr zum Stuttgarter Ballett wurde sie zur Solistin ernannt. Danach machte Birgit Keil eine glanzvolle Karriere als Primaballerina. Durch Tourneen mit dem Stuttgarter Ballett und durch Solo-Auftritte u.a. in Paris, Mailand, Wien, London und New York wurde sie weltweit als „die deutsche Ballerina“ gefeiert. Als solche tanzte sie alle Hauptrollen des klassischen und modernen Repertoires. Ihre Interpretation inspirierte namhafte Choreographen wie etwa Kenneth MacMillan, Glen Tetley, Jiří Kylián, John Neumeier, Hans van Manen und natürlich John Cranko zu Werken, die eigens für sie geschaffen wurden. Im Herbst 1995 beendete die Tänzerin ihre Bühnenlaufbahn und rief zur gleichen Zeit zusammen mit der Mailänderin Marchesa Mina di Sospiro die private Tanzstiftung Birgit Keil ins Leben. 1997 begann sie als Professorin ihre Lehrtätigkeit an der Akademie des Tanzes der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim, deren Leitung ihr nach wenigen Monaten übertragen wurde. 2003 übernahm sie zusätzlich die Ballettdirektion des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Seit 1968 verbindet Birgit Keil eine private und berufliche Partnerschaft mit Vladimir Klos, von 1972 bis 1997 Erster Solotänzer des Stuttgarter Balletts. Klos ist ebenfalls Professor in Mannheim und ihr Stellvertreter in Karlsruhe. hhb
Fotos ©Hanns-Horst Bauer