Kennt jemand noch den Namen Frida Weber-Flessburg? Nein, sie ist nicht eine dieser fabelhaften Operettendiven, deren Karriere die Nazis vernichteten. Aber deren Leben haben sie gewaltsam ausgelöscht. Die Erinnerung an sie lebt dennoch in ihren bemerkenswerten Aufnahmen fort. Das soll nicht heißen, dass die Koloratursopranistin aus Krakau (1890 – 1943) nicht viele und unglaublich populäre Schellacks während ihrer Berliner Zeit gemacht hat, aber sie fiel in tiefe Vergessenheit, nachdem sie nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht wurde. Dank der Initiative der Frida-Leider-Gesellschaft gibt es nun eine CD mit einigen der besten Einspielungen der Weber-Flessburg – einschließlich dreier der bedeutendsten Leo-Fall-Aufnahmen, die je gemacht wurden.
Die Timbre der Weber-Flessburg ist eine ganz markantes und typisches für die 1920er Jahre: Man hört diesen leicht nervösen „Bibber“ im Ton, eine mädchenhafte Unschuld gemischt mit einem Hauch von „Frechheit“/Keckheit. Als ein Koloratursopran besitzt die Flessburg nicht den stimmlichen Glamour einer Gitta Alpar; ihre Top-Noten haben nicht diesen umwerfenden Effekt ihrer ungarischen Kollegin. Eher findet man hier eine gewisse Fritzi-Massary-Qualität in ihrem Klang, nicht jedoch im Stil. Was vielleicht erklären mag, warum die Flessburg in den späten Zwanzigern – angesichts von so vielen anderen superlativen Konkurrentinnen – es nicht in die erste Reihe der Stars schaffte. Aber sie nahm massenhaft auf und bewegte sich problemlos zwischen der Oper, Operette und den Schlagern hin und her.
Das Album Frida Weber-Flessburg: OperOperetteLiedSchlager beginnt mit „Quando m´en vo´soltetta per la via“ aus der Bohème, bietet Mignons „Connais-tu le pays“ als „Kennst du das Land“ und Marthas „Letzte Rose“ um sich dann ins Land der Operette zu begeben. Das erste Lied hier ist – natürlich – „Vilja“, was die Stimme nicht zum besten präsentiert, denn Weber-Flessburg singt diese Nummer eher distanziert, wie ein schlichtes Volkslied. Was es ja auch sein sollte. Man bekommt eine bessere Vorstellung von dem, was sie kann, beim nächsten Track: „Warum hast du mich wachgeküsst?“ aus Lehars Friederike, wo die Flessburg wiederrum eine schlichte, volksliedhafte Interpretation favorisiert. Aber dann – im Mittelteil des Liedes – öffnet sich die Stimme und fügt erstaunliche Intensität zu einem effektvollen emotionalen Ausbruch hinzu. Plötzlich ist alles da: diese kraftvollen Top-Noten und die Fähigkeit zur Betonung der Worte, ihnen Bedeutung zu verleihen. Denn hier, wie sonst auch, beeindruckt die absolut exemplarische Diktion. Und die Sängerin hat überhaupt kein Problem, sich dem besonderen Stil der Operette anzupassen – eine Kunst, die leider nur wenige Opernsänger besitzen, wenn sie die Grenzen zur Operette überschreiten.
Mitten in einer umfangreichen Reihe von Liedern auf dieser CD (Grieg, Reger, Taubert) tun sich wahre Wunder auf. So zum Beispiel im „Baby-Lied“ von Walter Jurman aus dem Film Melodie der Liebe. Oder in „Ma curly headed Baby“ von George H. Clutsan von 1932 bzw. 1928. Diese Songs liegen der Flessburg viel tiefer in der Stimme, und sie findet hier reichere Farben, einen spontaneren Umgang mit dem Text. Dasselbe gilt für „Chérie, I love you“ von Lillian Rosedale Goodman. Etwas ganz besonderes – und eine Rarität – ist ihre Interpretation von „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ und „Ich bin die fesche Lola“ aus dem Blauen Engel. Natürlich kann man die Dietrich hier nicht vergessen, aber die Flessburg gibt diesen beiden Liedern ihre ganz ureigene und eben andere Interpretation, die sich behaupten kann und Spaß macht.
Und dann kommen die drei wirklichen Perlen dieser Sammlung – drei Duette aus Leo Falls Operette Der liebe Augustin, 1929 aufgenommen. Im ersten, „Anna, was ist denn mit dir“ singt neben der Sopranistin ihr Mann, Alexander Flessburg. Er hat eine viel „natürlichere“ Stimme, die sich mit ihrer besser fokussierten „Opernstimme“ hervorragend mischt. Der Effekt ist ein hochlebendiges, lustiges, quirliges Duett, und ich muss gestehen, dass ich keine andere Version diese Duetts kenne, die so schmissig ist und so in die Beine geht. Das gilt auch für „Und der Himmel hängt voller Geigen“ und „Wo steht denn das geschrieben?“. In diesen beiden hört man Frida Weber-Flessburg mit dem Tenor Max Kuttner als Partner. Und wieder hat man hier Leo Fall vom Feinsten, so dass man sich wünscht, es gäbe eine vollständige Aufnahme der Operette mit diesen Künstlern. Wenn man an die modernen Versuche einer Leo-Fall-Wiedererweckung denkt, fragt man sich eh, warum heutige Sänger solche Probleme mit dem richtigen Stil haben. Bei Weber-Flessburg & Co. klingt das alles ganz einfach!
Es gibt noch ein weiteres Duett mit Alexander Flessburg: „Du musst heiraten“ – eine amüsante moderne Schlager-Parodie von Herrn Flessburg zusammen mit Eli P. Summers, aufgenommen 1932. Das Paar ist auch hier in großer Form, voller Lebensfreude, eben einer überspringenden joie de vivre. Aber das Leben sollte sich 1933 wenig freudevoll für beide verändern. Wegen ihrer jüdischen Abstammung wurde Frida Weber-Flessburg mit dem Auftrittsverbot belegt und ihr Name in dem fatalen Lexikon der Juden in der Musik aufgelistet. Ihre Ehe mit Alexander Flessburg zerbrach. Ihre Tochter Ruth konnte in die Schweiz fliehen, Alexander Flessburg starb 1942. Frida Weber-Flessburg musste beim Anbruch des 2. Weltkrieges in einer Munitionsfabrik arbeiten. Am Abend des 18. Januar 1942 holte sie die Gestapo aus ihrer Wohnung in der Hektorstraße 3 in Berlin. Sie verbrachte zehn Tage im Sammellager in der Großen Hamburger Straße, um dann mit 1.004 anderen nach Auschwitz transportiert zu werden. Dort wurde sie unmittelbar nach ihrer Ankunft umgebracht und aus der Geschichte, auch die der Operette, ausgelöscht.
Es dauerte bis 2012, bis sie einen sogenannten Stolperstein auf dem Gehweg vor ihrem alten Wohnhaus in Berlin bekam, um die Welt an sie zu erinnern. Und nun gibt es sogar eine CD mit ihrem Namen, die das Andenken an ihre Stimme bewahrt. Wie ich schon sagte, sie besitzt nicht diesen Glamour-Faktor wie die Alpar, aber ihre Leo-Fall-Aufnahmen sind schon einzigartig und ein Muss für jeden Operetten-Fan. Und auch ihre anderen populären Darbietungen machen einfach Spaß. Vor allem die Parodie im letzten Song, „Du musst heiraten“, den sie zusammen mit ihrem Mann aufgenommen hat, ist einer jener Momente, den man nicht so leicht vergisst: Heute wird man eine solche Intimität, solche Keckheit, solchen Drive dieser Interpretationen kaum noch finden.
Alles Tracks auf dieser CD, herausgegeben von Peter Sommeregger und der Frida-Leider-Gesellschaft, wurden meisterhaft von Christian Zwarg restauriert, im ganzen 24. Das Material stammt aus der Deutschen Nationalbibliothek – Deutsches Musikarchiv, von Michael E. Gunrem, Peter Sommeregger und Christian Zwarg. Die CD kann direkt von der Frida Leider Gesellschaft bestellt werden. Kevin Clarke/Neufassung von G. H.
Bei youtube gibt es einige Klangbeispiele von Frida Weber Flessburg. Den original englischsprachigen Artikel entnahmen wir in seiner deutschen Neufassung der wie stets bemerkenswerten und hochinformativen website des Operetta Research Center Amsterdam/ ORCA, dessen Lektüre zu meinen täglichen Pflichtübungen gehört. Danke Kevin. G. H.