An der Oper Stuttgart wurde Matthias Klink kürzlich mit Ovationen für seine sensible Gestaltung des Gustav von Aschenbach in einer Neuinszenierung von Benjamin Brittens Death in Venice gefeiert. Hanns-Horst Bauer hat sich mit dem lyrischen Tenor über sein Künstlerleben zwischen Ensemble und Gastauftritten in aller Welt unterhalten.
Nach der Premiere von Benjamin Brittens Death in Venice wurden Sie als Gustav von Aschenbach mit Ovationen gefeiert, wie man sie in der Stuttgarter Oper noch selten erlebt hat. Was geht in solchen Momenten in Ihnen vor? Vor der Premiere kam einer unserer wunderbaren Assistenten zu mir, wünschte mir toi-toi-toi und meinte vielsagend: Du weißt schon, was dieser Abend für dich bedeuten kann. Darüber hatte ich mir bis dahin noch gar keine Gedanken gemacht, da ich so auf die Arbeit fokussiert war, die ich zu leisten hatte. Natürlich hatte ich mir schon gewünscht, dass sich alles, was ich mir erarbeitet, erfühlt hatte, nach außen hin zusammen kommt, dass der Abend so gelingt, wie wir uns das erhofft hatten. Als ich dann mit Ovationen förmlich überschüttet wurde, war ich einfach überwältigt. Das war ganz wunderbar. Ich bin ja nicht unverwöhnt, habe immer wieder sehr viel Zuspruch für meine Arbeit bekommen. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Mit einer Rolle wie der des Aschenbach habe ich als Sänger und Darsteller allerdings auch etwas in die Hand bekommen, was eine immense Kraft entwickeln kann. Was man da an Nuancen, an Fallhöhen herausarbeiten kann, ist natürlich enorm. Mit anderen Partien geht das nur bedingt, egal, wie sehr man darin auch aufgeht.
Wie haben Sie sich auf diese schwierige Partie vorbereitet? Als mir diese Rolle angeboten wurde, war ich begeistert. Auf die Tenorpartien in Brittens Opern hatte ich schon lange gewartet. Das Britten-Repertoire hatte ich bis dato nur in der Kammermusik gemacht, natürlich auch das fantastische War Requiem. Da ich in der laufenden Spielzeit nur Stücke gemacht habe, die ich schon kannte – etwa Carmen in Stuttgart, Nacht in Venedig in Lyon oder Lulu in Hamburg – konnte ich mich, Tag für Tag die Britten-Partitur unter´m Arm, ganz auf den Aschenbach konzentrieren. Die Vorbereitung auf eine Rolle ist natürlich grundlegend wichtig, aber mit der ersten szenischen Probe geht für mich die intensive Auseinandersetzung mit einer Partie erst richtig los.
Die Stuttgarter Aufführung ist eine Koproduktion von Oper und Ballett. Regisseur ist Demis Volpi, Hauschoreograph beim Stuttgarter Ballett. Wie sind Sie mit dieser tänzerischen Herausforderung umgegangen? Das war zunächst eine ganz formale, technische Arbeit, weil ich mich in die Schrittfolgen einarbeiten musste. Ich war sozusagen der Spielball des Balletts. Das war für mich eine willkommene Aufgabe, weil ich immer versuche, meine Rollen über eine bestimmte Körperlichkeit zu erfassen, umzusetzen. Deshalb habe ich schon bei den Vorgesprächen Demis Volpi gefragt, ob es auch eine tänzerische Annäherung Aschenbachs an Tadzio geben darf.
Dieser Britten-Abend dürfte sicher zu den Highlights Ihrer Karriere gehören. An welche anderen Glanzpunkte der vergangenen Jahre erinnern Sie sich gerne? Die für meine Karriere Weg bestimmende Rolle war zweifellos der Belmonte in Hans Neuenfels´ Inszenierung von Mozarts Entführung 1998 in Stuttgart. Das war für mich ein richtiges Erweckungserlebnis. Neuenfels hat mir gezeigt, wie man die Musik durch vielschichtige Bebilderung einer Szene auf eine ganz neue, psychologische Ebene von Kraft- und Energiefeldern bringen kann. Mozart ist für Tenöre übrigens eine ganz besondere Herausforderung, weil er eine perfekte Balance zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen verlangt. Es ist eine konstante Gratwanderung zwischen schwer und leicht, Körper und Kopf. Am besten ist mir das, vielleicht ein etwas verklärter Rückblick, bei einem Tamino bei den Salzburger Festspielen 1999 gelungen, Regisseur war damals Achim Freyer, am Pult Christoph von Dohnányi. 2009 hatte ich noch einige Taminos an der Met in New York, die mir allerdings nur leidlich Freude bereitet haben. Ich habe gespürt, dass ich da gar nicht hinpasse. Man arbeitet dort natürlich hoch professionell, clean. Alles scheint auswechselbar. Wenn man seine Arbeit mit einem Anspruch an Tiefe und Vielschichtigkeit machen will, ist man dort fehl am Platz. Und diese Zauberflöte war auch noch eine wahnsinnig oberflächliche Inszenierung.
Welche weiteren Highlights gab es neben dem Mozart-Repertoire? In Köln hat man mir 2009 den Hoffmann in einer Wiederaufnahme von Offenbachs Hoffmanns Erzählungen angeboten. Das war schon immer eine meiner Wunschpartien. Über diesen Hoffmann kam für mich eine Reihe von vielschichtigen Charakterrollen: Jimmy Mahoney in Kurt Weils Mahagonny, Pierre Besuchow in Prokofjews Krieg und Frieden oder Tom Rakewell in Strawinskys The Rake’s Progress. Das öffnete mir den Weg, meinem Selbstverständnis als singendem Schauspieler immer näher zu kommen.
In Köln wurden Sie 1995 zunächst für ein Jahr Mitglied des Opernstudios und waren danach im Ensemble engagiert, das allerdings nur für zwei Spielzeiten. Danach waren Sie bis zu Ihrem Eintritt ins Ensemble der Stuttgarter Oper (2006 – 2010) freischaffend tätig. In der Spielzeit 2013/14 kehrten Sie dann wieder fest nach Stuttgart zurück. Welche Erfahrungen haben Sie freischaffend und in den Ensembles gemacht? In Köln hatte ich damals im ersten Jahr im Ensemble gut 80 Abende, und im zweiten Jahr waren es plötzlich nur noch zwölf. Das war natürlich völlig indiskutabel. Ich musste doch, um mich konstant weiterzuentwickeln, gefordert sein.
Im Jahr darauf hatte ich dann wieder mehr Auftritte, wurde aber kaum für Gastspiele (vor allem in Stuttgart) freigestellt. Die Folge: Ich habe meinen Vertrag unter sehr unerfreulichen Umständen aufgelöst und war plötzlich bereits am Beginn meiner Karriere freischaffend tätig. Dabei wäre ich sehr gerne fest in Köln geblieben. Im Laufe der Jahre habe ich eine Form gefunden, die mir beide Möglichkeiten bietet, freischaffend und fest im Ensemble zu arbeiten. Bei meinem aktuellen Vertrag in Stuttgart, wo optimal geplant wird, habe ich genügend Freiraum für Gastspiele. Ich habe eigentlich immer eine Form gesucht, wo ich einerseits im geschützteren Raum eines Ensembles arbeiten, andererseits aber auch an anderen Häusern wichtige Erfahrungen sammeln kann.
Dabei spielen Dirigenten und Regisseure eine wichtige Rolle. Mit welchen haben Sie denn besonders gern zusammen gearbeitet? Wichtig beim Dirigenten ist, dass man sich gegenseitig zuhört. Wenn ich in der Probenatmosphäre den Eindruck habe, wir hier oben auf der Bühne machen etwas, und unten im Orchestergraben rührt jemand in der Musik herum, stört mich das immer wahnsinnig. Wir haben doch nur diese eine Lebenszeit, und Arbeitszeit ist Lebenszeit. Deshalb sollten wir uns bemühen, diese Zeit sinnvoll zu nutzen, sinnfällig zu machen. Und die Magie entsteht erst, wenn wir uns gegenseitig wirklich zuhören. Dabei muss der Dirigent vom Pult aus in der Szene mit agieren. Nahezu perfekt verwirklicht das für mich Kirill Petrenko, aber natürlich auch Sylvain Cambreling hier in Stuttgart. Leuchttürme im Regiebereich waren für mich natürlich Hans Neuenfels, aber auch Nicolas Brieger oder Jossi Wieler & Sergio Morabito. Nicht zu vergessen die wunderbare Arbeit mit Kirill Serebrennikov in der Stuttgarter Salome.
Sie singen auch gerne Operette, haben sogar im vergangenen Jahr bei den lokalen Stauferfestspielen im baden-württembergischen Göppingen den Adam im Vogelhändler gesungen, bei dem nicht nur Ihre Frau, sondern auch Ihr jüngster Sohn Julius (7) mitgewirkt haben. Was reizt Sie an diesem Genre? Operette ist einfach faszinierend und bietet lyrischen Tenören ganz tolle, aber auch immens schwierige Traumpartien. Man muss hier eine gute Mischung finden zwischen der relativ tiefen Tessitura, die ein gewisses Gewicht verlangt, und der Kraft, die Stimme wieder nach oben zu führen. In dieser Musik stecken außerdem so viele Nuancen wie in einer Mozart-Arie oder in einem Schubert-Lied. Dazu kommt bei der Operette noch ein fast Dada-hafter Wortwitz. Damit kann man ungeheuer spielen. Bei meiner Abschlussprüfung an der Stuttgarter Musikhochschule habe ich „Schatz, ich bitt´ dich, komm heut´ Nacht“ aus Lehárs Frasquita gesungen. Operette war schon immer ein Teil meiner stimmlichen Entwicklung.
Und das auch mit Ihrer Frau, der Sopranistin Natalie Karl, zusammen? Auf der Bühne stehen wir ja nur noch selten zusammen. Aber wir haben eine Operetten-CD aufgenommen, Die ganze Welt ist himmelblau. Im vergangenen Jahr haben wir beim Bayerischen Rundfunk Tonfilmschlager gemacht. Und die gibt´s noch mal mit dem WDR zum nächsten Jahreswechsel. Wie gehen Sie denn als Sänger-Ehepaar mit gegenseitiger Kritik um? Wir können uns ganz gut kritisieren. Das haben wir gewissermaßen „von klein auf“ gelernt, denn wir kennen unsere Stimmen in- und auswendig schon seit Studienzeiten. Das ist etwas sehr Wertvolles.
Wie haben Sie denn Ihre Begeisterung fürs Singen entdeckt? Ich komme aus einer hausmusikalischen Familie. Meine Eltern waren passionierte Chorsänger, unter anderem auch in Wolfgang Gönnenweins Süddeutschem Madrigalchor. So ist meine früheste Opern-Erinnerung, da war ich zwei oder drei Jahre alt, die Generalprobe einer Zauberflöte im Ludwigsburger Schloss. In meiner Familie wurde eigentlich immer gesungen. Daneben habe ich Geige gelernt, die ich allerdings in der Pubertät durch eine E-Gitarre ersetzt habe, die ich heute noch im Keller spiele. Dort finden jetzt Sessions mit meinem älteren Sohn Linus (12) am Schlagzeug statt, der, glaube ich, einmal richtig gut wird. Die Rockmusik hatte einen sehr großen Einfluss auf mich. Die Musik der Beatles war die erste, mit der ich mich analytisch beschäftigt habe, die mich auf einer intellektuelleren Ebene berührt und gefesselt hat. Daneben habe ich auch immer im Schulchor gesungen. Dann hatte ich das Glück einer großartigen Theater-AG an unserem Gymnasium. Bei einer Produktion von Jesus Christ Superstar habe ich in der Band gespielt und durfte den Superstar-Song aus dem Off singen. Damit war klar: So will ich mich ausdrücken. Ich will auf die Bühne.
In welchen neuen Rollen wollen Sie sich in den kommenden Jahren noch weiter ganz persönlich ausdrücken? Das französische Fach reizt mich sehr. Ganz konkret mache ich in der nächsten Spielzeit Mime im Siegfried in Düsseldorf und in der Folge in Chicago. Und ich finde, dass ich mich irgendwann mal einem Lohengrin aussetzen sollte. Ob das andere auch finden, weiß ich natürlich nicht… (Und ein Blick zu Amazon zeigt, was es alles auf CD und DVD von Matthias Klink gib – von Lèhar über Strauss bis zu Rihm! Foto oben: Matthias Klink als Golozin in der Stuttgarter „Chowanschtschina“/ Szene/ Foto: A.T. Schaefer)
Zur Person: Matthias Klink wird 1969 in Waiblingen geboren. Gesangsstudium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und an der Indiana University Jacobs School of Music in Bloomington. 1995 Mitglied des Opernstudios, ein Jahr darauf Ensemblemitglied der Städtischen Bühnen Köln. Ab 1998 freischaffend tätig, 2006-2010 festes Ensemblemitglied der Oper Stuttgart. Er gastierte u.a. in Hamburg, Dresden, Frankfurt, an den drei großen Berliner Opernhäusern und an der Mailänder Scala. Auftritte führten ihn zu den Festspielen in Baden-Baden, Aix-en-Provence und der Ruhrtriennale. Seit seinem Salzburger Debüt 1999 bei der Uraufführung von Berios Cronaca del luogo ist Matthias Klink dort regelmäßig zu Gast. Er war als Tamino (Die Zauberflöte) und Matteo (Arabella) an der Wiener Staatsoper sowie im September 2009 ebenfalls als Tamino an der Metropolitan Opera zu erleben. 2010 wirkte Klink als Ein Gast/Apollon in der Uraufführung von Wolfgang Rihms Dionysos bei den Salzburger Festspielen mit. In den vergangenen Jahren hat er sein Repertoire um Partien wie Don José, Erik, Alfredo, Tom Rakewell, Hoffmann und Herodes erweitert. 2015 sang er Alwa (Lulu) unter Kirill Petrenko an der Staatsoper München und Der Kavalier (Cardillac) unter Franz Welser-Möst an der Staatsoper Wien. 2016/17 gastiert Klink u.a. als Alwa in der Regie von Christoph Marthaler an der Staatsoper Hamburg unter der Leitung von Kent Nagano. Als Ensemblemitglied der Oper Stuttgart seit 2014/15 ist Matthias Klink in der laufenden Spielzeit als Don José in Carmen und als Gustav von Aschenbach in der Neuinszenierung von Der Tod in Venedig zu erleben.Quelle Oper Stuttgart
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