Vor allem im deutschsprachigen Raum ist der texanische Bariton Scott Hendricks für seine Interpretationen italienischer Partien bekannt. Etwa sein nachdrücklicher Scarpia in München oder sein Gérard in Andrea Chénier bei den Bregenzer Festspielen ist Opernbesuchern noch in Erinnerung. Am Opernhaus Köln war Hendricks lange Ensemblemitglied, und dort tritt er immer noch regelmäßig auf. Mit seinen durchdachten, individuellen Rollenportraits, seiner musikalischer Intelligenz und seinem großvolumigen, kernigen Bariton hat er sich mittlerweile auch weltweit etabliert und konnte in den letzten Jahren an der MET, in Covent Garden, am Liceu, in Amsterdam, Brüssel und Washington D.C. Erfolge feiern. Dieses Jahr tritt er in gleich zwei Neuproduktionen von Werken zeitgenössischer Komponisten auf: In Rihms Oper Hamletmaschine singt er ab dem 24. Januar 2016 den Hamlet III in Zürich, in Brüssel ist er in der Titelpartie der Uraufführung von Mark Greys Frankenstein zu erleben. Der Sänger sprach mit Dieter Schaffensberger über sein breitgefächertes Repertoire, über moderne Musik, die Zürcher Produktion der Hamletmaschine und vieles mehr.
Gegenwärtig sind Sie in Werken zeitgenössischer Komponisten sehr gefragt und singen diesen Monat Hamlet III in einer Neuproduktion von Rihms Hamletmaschine am Opernhaus Zürich, im Juni folgt die Titelpartie in der Uraufführung von Mark Grey’s Frankenstein am La Monnaie in Brüssel. Das bedeutet wohl erst einmal stundenlanges Lernen. Wie lange dauert es, sich derart komplexe Musik einzuverleiben und wie studieren Sie Partien zeitgenössischer Komponisten? Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich schon immer schnell gelernt habe. Ich mag diesen Prozess und die Theorie hinter allem, die harmonischen Strukturen zu analysieren und so weiter… Ich bin einfach ein Musikfreak. Eigentlich mache ich beim Lernen eines zeitgenössischen Stückes nicht viel anders als beim Lernen eines Werkes des 18. oder 19. Jahrhunderts. Aber Hamlet III war wohl meine bisher größte Herausforderung. Die Originalpartitur ist handgeschrieben und nicht ganz einfach zu lesen, und so habe ich drei Monate damit verbracht, die Rolle in ein Notenprogramm einzugeben. Das war schon recht zeitaufwändig.
Bei allen Schwierigkeiten und der langen Vorbereitungszeit – was reizt Sie an moderner Musik? Naja, ich denke, dass die Kunstform Oper, was die Spielplangestaltung angelangt, seit geraumer Zeit nicht wirklich weitergekommen ist. Mir ist bewusst, dass das Publikum die „Hits“ wie Carmen, Tosca oder Traviata vorzieht und ich liebe diese Werke auch… Aber es ist einfach besonders aufregend, in einer Uraufführung mitzuwirken. Es gibt vorher keine bestimmten Vorstellungen darüber, wie es aufgeführt werden sollte, wie die Partie zu klingen hat und so weiter.
Wie unterscheidet sich Rihms Hamletmaschine von der literarischen Vorlage und was sind die Gemeinsamkeiten? Man erklärt es wohl am besten so, dass Hamletmaschine Shakespeares Hamlet „zerlegt“, und die Oper „zerlegt“ wiederum Müllers Schauspiel. Die Struktur der Oper ist eine andere als im Schauspiel. Es gibt Unterschiede bei den Charakteren, der Text wurde verändert.
Im Stück wird die Rolle des Hamlet ja aufgeteilt und von zwei Schauspielern (Hamlet I und II) und einem Sänger (Hamlet III) verkörpert. Was hat es damit genau auf sich? Unterschiedliche „Versionen“ von Hamlet wechseln einander in verschiedenen Lebensphasen ab. Wir geben quasi wie beim Staffellauf die Fackel weiter, helfen einander, schließen die Sätze und Gedanken des jeweils anderen ab. Wir sind etwas schizophren, wenn Sie so wollen.
Auch wenn man den Eindruck bekommen könnte, Sie wären auf zeitgenössische Musik spezialisiert, wenn man sich Ihren diesjährigen Terminplan ansieht, sind eigentlich die großen Baritonpartien Verdis und Puccinis „Ihr“ Repertoire. Den Scarpia haben Sie auf der ganzen Welt gesungen, an der MET haben Sie als Sharpless debütiert und Sie haben so gut wie alle wichtigen Verdi-Partien im Repertoire. Liegt Ihre Leidenschaft eigentlich bei der italienischen Oper? Ich habe da eigentlich keine bestimmte Präferenz. Mir ist es wichtig, einen ausgewogenen Kalender zu haben und sowohl moderne als auch traditionelle Werke zu interpretieren. Ich muss sagen, dass ich es wirklich genieße, auch in neuen Stücken aufzutreten, vor allem, wenn es sich um Uraufführungen handelt.
Von Verdi haben Sie ja so gut wie alle wichtigen Partien schon gesungen. Es fehlen noch Nabucco, Rigoletto und Simon Boccanegra, oder? Rigoletto habe ich im Jahr 2009 an der Houston Grand Opera gesungen. Das hat viel Spaß gemacht! Boccanegra würde ich liebend gerne machen. Nabucco werde ich erstmals in der Spielzeit 2016/17 singen, und ich freue ich schon sehr darauf.
Haben Sie außer dem Jochanaan in Salome, den Sie in Brüssel gesungen haben noch andere Strauss-Partien im Repertoire? Da gäbe es doch eine Reihe reivoller Rollen, oder? Ich habe auch Robert Storch in Intermezzo gesungen. Ja, ich würde sehr gerne weitere Strauss-Partien singen! Alle Baritonpartien von Strauss würden mir gut liegen.
Wird auch Wagner kommen? Beispielsweise Telramund oder Amfortas? Bisher steht kein Wagner auf meinem Kalender. Amfortas wurde mir vor ein paar Jahren angeboten, aber es hat nicht geklappt, weil ich schon in einer anderen Rolle unter Vertrag war. Auch Wolfram wurde mir ein oder zwei Mal angeboten. Andere Wagnerrollen wären mir wahrscheinlich zu tief.
Was sind Ihre Traumpartien? Sowohl Rollen, die Sie bereits gesungen haben als auch noch unerfüllte Träume. Ich würde liebend gerne den Wozzeck singen. Und ich liebe den Posa in Don Carlo, das war viele Jahre lang meine Lieblingsrolle. Ich genieße den Prozess, etwas Neues zu schaffen und auf die Bühne zu bringen mehr als je zuvor, egal in welcher Rolle und bin sehr dankbar für all die Möglichkeiten, die man mir bietet.
Wie sind Sie zum klassischen Gesang gekommen und wie würden Sie Ihren Werdegang von Texas an die großen Bühnen der Welt beschreiben? Erstmal muss ich sagen, dass ich spät angefangen habe. Ich habe ab meinem letzten Jahr in der Highschool im dortigen Chor gesungen, und bin fast nicht aufgenommen worden, weil ich bei meinem Vorsingen so schüchtern und sanft gesungen habe. Aber als ich erstmal aus meiner „musikalischen Schale“ ausgebrochen bin, um es so zu sagen, ist alles ganz schnell gegangen. Ich habe die Louisiana State University und die University of Illinois besucht, zwei wichtige Institute, die mir wunderbare Möglichkeiten eröffneten, sowohl was das Lernen, als auch was Auftritte anbelangte. Ich war zwei Sommer lang Mitglied im Filene Young Artist Programm der Wolf Trap Opera, und dann wurde ich im Opernstudio der Houston Grand Opera angenommen.
Ich wollte schon immer in Europa leben und arbeiten, und habe dann die tolle Möglichkeit bekommen, ins Ensemble der Kölner Oper zu wechseln. Dort blieb ich drei wunderbare Spielzeiten. Seitdem hatte ich das Glück, auf der ganzen Welt arbeiten zu dürfen. Und nun bin ich hier… 17 Jahre unterwegs, und ich bin immer noch so begeistert und aufgeregt wie am Anfang. Ich liebe meine Arbeit einfach.
Bleibt neben der Karriere Zeit für Hobbies? Ich nehme mir die Zeit wenn ich unterwegs bin. Zur Zeit mache ich einen Abschluss in Musikproduktion über Berklee Online, das macht mir viel Spaß. Ich lerne, meine eigene Musik zu komponieren, produzieren, aufzunehmen, zu mixen und auf CD zu brennen. Ich interessiere mich auch für Fotografie.
Zukünftige Projekte? Ich werde unter anderem an das Monnaie, an die Houston Grand Opera, das Opernhaus Zürich, das Staatstheater Stuttgart und das Royal Opera House Covent Garden zurückkehren. Leider kann ich keine Details bzgl. des Repertoires nennen, aber ich freue mich, dass mein Kalender auch in Zukunft eine schöne Balance zwischen zeitgenössischer Musik und Standardrepertoire wahren wird.
Biographie: Scott Hendricks, geboren (laut Kutsch-Riemens/Sängerlexikon 1972 ?) in San Antonio/Texas, sammelte seine ersten Bühnenerfahrungen im Opernstudio der Houston Grand Opera und wurde später Ensemblemitglied der Oper Köln. Das breit gefächerte Repertoire des Baritons umfasst sowohl bekannte Partien wie Graf Almaviva, Sharpless, Escamillo, Posa, Giorgio Germont sowie die Titelrollen in Król Roger und Eugen Onegin, als auch Raritäten wie The traveller (Brittens Death in Venice), Tamare (Schrekers Die Gezeichneten) oder Roderick (Debussys La chute de la maison Usher). In der letzten Spielzeit sang Scott Hendricks u.a. Renato (Un ballo in maschera) am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, Jack Rance (La fanciulla del West) am Opernhaus Zürich und Sharpless an der Houston Grand Opera. Zu den Höhepunkten der jüngeren Zeit gehören seine Debüts an der Met als Sharpless und in Covent Garden als Scarpia, seine Interpretation des Giorgio Germont in der Regie von Andrea Breth (La Monnaie, Brüssel), Rollendebüts als Michele (Il tabarro und Gianni Schicchi) in Köln sowie als Förster (Das schlaue Füchslein) an der Opéra National du Rhin, die Titelrolle in Rigoletto in Houston, Sharpless in Washington mit Plácido Domingo, Jochanaan (Salome), Graf Luna (Il trovatore) sowie die Titelrolle in Macbeth in Brüssel. Letztere wurde von der Zeitschrift «Opernwelt» als Produktion des Jahres ausgezeichnet. Internationale Beachtung fand auch seine Interpretation der Titelrolle in der Uraufführung von Giorgio Battistellis Richard IIIan der Vlaamse Opera (Regie: Robert Carsen). Weitere Gastengagements führten ihn an das Teatro La Fenice in Venedig, das Gran Teatre del Liceu in Barcelona und immer wieder zu den Bregenzer Festspielen. (Quelle Opernhaus Zürich)
Ein interessantes Interview mit dem Chefredakteur des britischen Opernmagazins Opera, John Allison, findet sich in dessen Ausgabe 2013 und im Netz; Foto oben Scott Hendricks: Roderick Usher in „The Fall of the House of Usher“, Bregenzer Festspiele 2006 (Karl Forster)/ Hendricks; der Künstler versichert, alle Pubikationssrechte an den hier gezeigten Fotos zu haben.
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