„Norma ist pures Gefühl“

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Die aus dem Kosovo stammende Sopranistin Marigona Qerkezi hat sich in einem Repertoire etabliert, das von Belcanto über Verdi bis zu Puccini spannt. Derzeit ist sie an der Oper Frankfurt als Norma zu erleben, einer ihrer zentralen Partien. Im Interview mit Beat Schmid spricht sie über ihre musikalischen Wurzeln, ihren Weg zu den großen Rollen des italienischen Fachs und über die Herausforderung, Normas emotionale Tiefe und vokale Raffinesse miteinander zu verbinden.

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Marigona Qerkezi soundcloud

Was sind Ihre frühesten Erinnerungen an Oper und Gesang? Und wann wurde Ihnen klar, dass Sie Sängerin werden wollen? Eine meiner frühesten und schönsten Opernerinnerungen ist, wie ich meine Mutter als Azucena in Verdis „Il trovatore“ auf der Bühne gesehen habe. Ich war bei vielen ihrer Vorstellungen, Konzerte und sogar Proben dabei, und habe mich in dieser magischen Welt immer zu Hause gefühlt. Sie war (und ist es noch heute, gemeinsam mit mir) ein großer Maria-Callas-Fan, und ich erinnere mich lebhaft daran, wie wir ihre Schallplatten gehört haben. Aufnahmen von Callas und anderen Legenden, die unser Zuhause mit Musik füllten. Mein Vater arbeitete außerdem in der Kostümabteilung der Oper, ich war also wirklich von dieser faszinierenden Welt komplett umgeben. Es war unmöglich, sich nicht darin zu verlieben. Ich wusste schon sehr früh, dass ich Teil dieser Welt sein wollte, und mit sechs Jahren trat ich bereits in Konzerten in Ljubljana auf, wo wir damals lebten.

Ihre Karriere begann mit Mozart, Ihr Bühnendebüt gaben Sie als Königin der Nacht in „Die Zauberflöte“, schnell gefolgt von der Contessa in „Le nozze di Figaro“. War dieser Fokus auf Mozart eine bewusste Entscheidung, eine Empfehlung Ihrer Lehrer oder entwickelte sich das ganz natürlich?
Es hat sich ganz natürlich entwickelt. Mozart ist für viele Sänger eine Grundlage, und seine Musik passte sehr gut zu meiner frühen stimmlichen Entwicklung und Technik. Rollen wie die Königin der Nacht, die Contessa oder Donna Anna waren wichtige Schritte zu Beginn meines Weges. Sie führten mich auch auf wunderschöne Bühnen, etwa das Royal Opera House in Muscat oder das New National Theatre in Tokio. Zu Beginn meiner Karriere habe ich auch viel Rossini gesungen, z. B. im Gran Teatre del Liceu, an der Dutch National Opera in Amsterdam oder beim Rossini Opera Festival.

Marigona Qerkezi & Stefano LaColla ijn „Norma“ an der Oper Frankfurt/Foto Barbara Aumüller

Auch in Rollen wie Lucia in Lucia di Lammermoor oder Gilda in Rigoletto haben Sie zu Beginn Ihrer Karriere Erfolge gefeiert. Hatten Sie die Höhe für diese Rollen von Natur aus, oder mussten Sie sich die Spitzentöne erarbeiten? Sowohl als auch. Ich hatte schon immer einen großen Stimmumfang und viel Flexibilität, aber um das in ein zuverlässiges und ausdrucksstarkes Werkzeug für diese extrem anspruchsvollen Rollen zu verwandeln, braucht es viele Jahre sorgfältigen, disziplinierten Trainings. Und das hört eigentlich nie auf. Die Stimme entwickelt sich ja ständig weiter, besonders wenn das Repertoire größer wird, und damit entwickelt sich auch das Training.

Wie haben Sie diese Kontrolle und Beweglichkeit der Stimme entwickelt, und diese präzisen Koloraturen? Vielen Dank! Ich glaube, Präzision ist genauso eine Sache des Geistes wie der Stimme. Durch konsequentes Training und gezielte Übungen wird die Koloraturtechnik zu einem kontinuierlichen Prozess. Da sich die Stimme immer weiterentwickelt, ist es wirklich eine tägliche Arbeit. Persönlich fand ich Koloraturen nie besonders schwierig, und dass ich Querflöte spiele, hat mir dabei definitiv geholfen. Ich bin überzeugt, dass man unabhängig von der natürlichen Veranlagung eine starke Grundlage für Koloraturtechnik aufbauen kann. Die Arbeit an der Beweglichkeit hält die Stimme fokussiert, flexibel und diszipliniert, auch wenn das Repertoire sie nicht ständig fordert.

Später sind Sie in Repertoire übergegangen, das zwar weiterhin virtuos ist, aber mehr dramatisches Gewicht verlangt. Rollen wie Anna Bolena, Leonora in „Il trovatore“, Lucrezia Contarini in „I due Foscari“, Abigaille in „Nabucco“ und natürlich Norma. Wie haben Sie diese Entwicklung stimmlich und darstellerisch gemeistert? Indem ich meiner Stimme genau zugehört und ihrer allmählichen Entwicklung über die Jahre vertraut habe. Es war klar, dass sie auf natürliche Weise an Volumen und Wärme gewonnen hat, ohne an Beweglichkeit zu verlieren. Diese Entwicklung geschah ganz organisch. Dramatisch gesehen sind viele der Rollen, die ich in letzter Zeit gesungen habe, starke, komplexe Frauen, die extreme emotionale Höhen und Tiefen erleben. Ich habe festgestellt, dass meine eigenen Lebenserfahrungen mir helfen, diese Figuren authentisch und mit mehr Tiefe darzustellen.

Momentan sind Sie als Norma an der Oper Frankfurt zu erleben. Wann und wo haben Sie diese Rolle zum ersten Mal gesungen? Norma gilt oft als Meilenstein für eine Sopranistin, als Synthese aus Virtuosität und emotionaler Tiefe. Wie nähern Sie sich dieser komplexen Figur? Ich habe mein Debüt als Norma 2024 an der Palm Beach Opera in Florida gegeben, und es war eine unglaublich bereichernde Erfahrung. Norma ist wirklich eine gewaltige Rolle, eine Frau voller Widersprüche und psychologischer Komplexität. Sie ist göttlich, mütterlich, leidenschaftlich und zugleich zerstörerisch. Diese Rolle verlangt mir alles ab, stimmlich wie emotional. Norma zu singen bedeutet, pure Gefühle zu transportieren.

Was sind aus rein vokaler Sicht die größten Herausforderungen beim Singen der Norma? Die größte Herausforderung ist es, der Stimme die richtige Farbe und Autorität zu geben und gleichzeitig die enormen technischen Anforderungen zu bewältigen, die diese Rolle stellt. Die Gesangslinie mit der emotionalen Erzählung in Einklang zu bringen und die dramatische Tiefe dieses Belcanto-Meisterwerks herauszuarbeiten, erfordert völlige Hingabe. Bellini schrieb mit solcher Eleganz, seine Linien sind lang, getragen und müssen stets ausdrucksvoll bleiben. Norma lebt genauso sehr von innerer Spannung wie von äußerem Glanz und dramatischer Kraft. In dieser Partitur steckt alles: Intensität, Zartheit, Stärke und ein Hauch göttlicher Schönheit. Es ist eine monumentale Rolle in jeder Hinsicht.

Gibt es neben Norma noch andere Rollen, die Sie als Wendepunkte in Ihrer künstlerischen Laufbahn betrachten? Es gibt mehrere Rollen Giuseppe Verdis, die besonders prägend für meine Entwicklung waren: Leonora in „Il trovatore“, Giovanna d’Arco, Elvira in „Ernani“, Aida, Abigaille und Lucrezia Contarini. Diese Partien sind mit bedeutenden Auftritten an Theatern und Festivals verbunden, etwa beim Festival Verdi in Parma, am Teatro La Fenice in Venedig, beim Savonlinna Opera Festival, den Festspielen St. Gallen, an der Polnischen Nationaloper, der Dubai Opera, der Ópera de Oviedo, in A Coruña oder an der Deutschen Oper am Rhein, um nur einige zu nennen. Diese Rollen gehören heute zu meinem festen Repertoire und haben mich künstlerisch stark geprägt. Ich nähere mich auch immer mehr Puccini-Rollen. Neben Mimì („La Bohème“) und Manon Lescaut wird nun bald auch die wunderbare Tosca dazukommen.

Wenn Sie nur eine einzige Oper mit auf eine einsame Insel nehmen dürften, welche wäre es? Und wer ist Ihr Lieblingskomponist? Oh, wenn ich wirklich nur eine Oper mitnehmen dürfte, würde ich einfach viele Reisen auf die Insel unternehmen, um ganz viele Opern mitzunehmen! (lacht)
Aber im Moment würde ich Verdis „Messa da Requiem“ wählen. Das ist zwar keine Oper im eigentlichen Sinn, enthält aber all das Drama, die Tiefe und die emotionale Intensität einer Oper.
Was meinen Lieblingskomponisten betrifft, ist es schwer, nur einen zu nennen. Verdi und Puccini haben immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen gehabt.

Zum Schluss: Können Sie uns von einigen Ihrer kommenden Engagements erzählen? Nach der Norma-Serie in Frankfurt singe ich die Aida am Teatro Lirico di Cagliari, gebe mein Debüt als Tosca an der Royal Danish Opera in Kopenhagen, bin erneut als Norma in konzertanten Aufführungen an der Staatsoper Prag zu erleben und gebe mein Debüt als Lady Macbeth am Theatro Municipal in São Paulo, Brasilien. Das sind einige der Abenteuer, auf die ich mich schon sehr freue! (Foto oben: Marigona Qerkezi als Norma an der Oper Frankfurt/Foto Barbara Aumüller) Beat Schmid