Mit 18 gehörte Martin Redlinger zum Bundesliga-Kader des Handballvereins Frisch Auf Göppingen (Baden-Württemberg) und studierte nach dem Abitur Sport, Musik und Kulturmanagement. Seit 2002 ist er Direktor für Marketing und Vertrieb im Konzerthaus Berlin. Hanns-Horst Bauer unterhielt sich mit ihm über Sport, Kultur und Leidenschaften.
Sie waren bereits vor Ihrem Abitur im Bundesliga-Kader von Frisch Auf. Hand aufs Herz, für welche Mannschaft schlägt es, wenn heute die Berliner „Füchse“ auf Ihre frühere Mannschaft treffen? Das war anfangs ganz schwierig für mich. Mittlerweile bin ich allerdings, da ich kaum mehr Kontakt zu meiner früheren Heimat habe, eher auf der Seite der Füchse. Mit denen hatten wir sogar im Konzerthaus eine Zusammenarbeit beim spektakulären „Beethoven-Marathon“. Wenn man in Göppingen aufwächst, kommt man, das war zumindest in meiner Kindheit so, als junger Bub am Handball gar nicht vorbei. Und man möchte dann natürlich am liebsten gleich bei Frisch Auf mitspielen. Das hat bei mir auch tatsächlich geklappt. Das war schon irre damals: Auswärtsspiel in Kiel und am nächsten Tag zurück auf die Schulbank. Und am Abend vielleicht noch ein Auftritt mit einer Rock- und Jazzformation, denn neben dem Handball war Musik meine zweite große Leidenschaft, zunächst klassisch verwirklicht auf dem Klavier, später jazzig mit dem Saxophon.
Nach dem Abschluss Ihrer Handball-Karriere haben Sie in einem achtmonatigen Crashkurs Querflöte gelernt und auch studiert. Mit einem äußerst erfolgreichen Abschluss wurden Sie als Querflötenlehrer an der Musikschule in Heidelberg eingestellt. Warum haben Sie diesen festen sicheren Job aufgegeben und noch mal was ganz Neues ausprobiert? Ende der 80er Jahre kam plötzlich das Berufsbild des Kulturmanagers auf, anfangs heftig und äußerst kontrovers diskutiert. Da hat man sich schon über die Wortkombination zerstritten. So etwas ging eigentlich gar nicht. Aber gerade das hat mich gereizt. Und so wurde ich als einer ersten Kulturmanager auf den Markt gespült. Das war für mich eine Bomben-Chance. Mich hat an diesen neuen Berufsbild gereizt, klassische Musik so lebendig vermitteln zu können, dass sie auch Spaß macht, das hat mich gereizt. Leute in den Konzertsaal zu holen, die dieser Musik sonst eher skeptisch gegenüberstehen, das habe ich als lohnende Aufgabe gesehen. Leidenschaft für die Musik zu wecken, wie ich sie immer noch empfinde.
Ich möchte in erster Linie Brücken bauen und versuchen, Leute zum Konzertbesuch zu verführen. Wir müssen heute, vor allem auf einem so heiß umkämpften Markt wie Berlin, das Freizeit-Budget der Leute ins Kalkül ziehen. Da müssen sich Programm-Macher, Orchester, Marketing-Abteilung und natürlich Chefdirigent Iván Fischer gemeinsam positionieren und Ideen entwickeln, wie man sich, durchaus auch auf emotionaler Ebene, präsentieren will. Dabei sprechen wir die potentiellen Besucher möglichst direkt an, nehmen sie ernst und involvieren sie so, dass sie sich mit unserem Angebot identifizieren können. Und nicht nur die jungen Leute: Auch, aber nicht nur. „Nachwuchs“, dem wir klassische Musik schmackhaft machen wollen, sind für uns durchaus auch 40- oder 50-Jährige.
Sie waren damals der erste „Wessi“ an dem ehemaligen Ost-Vorzeige-Haus. Wie sind Sie dort empfangen worden? Die Aufnahme war sehr nett. Man hatte im Konzerthaus lange auf die Besetzung der Position warten müssen, denn es galt ja eigentlich ein totaler Einstellungsstopp. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen. Irgendwie fühlte ich mich wie so eine Art Zaubermaus, die alle Probleme gleichzeitig lösen sollte: Der Kartenverkauf war eingebrochen angesichts sehr anspruchsvoller Programme und schlechter Kommunikation, die Abos bröckelten, das Ticketing erfolgte „aus dem Schrank“ statt computergestützt. Es gab keine Dienstleistungsmentalität, denn zu DDR- Zeiten war immer alles ausverkauft – zielgruppenorientiertes Marketing war damals gar nicht nötig. In der vom Westen geprägten Presse war man eigentlich gar nicht auf der Landkarte, und zudem hatte der damalige Intendant – in der Sache ganz richtig, aber ohne strategischen Vorlauf – das Haus von Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Konzerthaus Berlin umbenannt. Und natürlich war man latent unterfinanziert und brauchte dringend Sponsoren.
Mit welchen Schwierigkeiten mussten Sie kämpfen? Mein Team setzte sich ausschließlich aus „Ossis“ zusammen, war im Vergleich zu alten Zeiten um über die Hälfte reduziert, wo man doch eigentlich mehr als das Doppelte zu tun hatte. Mein auf Beteiligung ausgelegter Führungsstil kam erst gar nicht an, denn den Leuten fehlte die Motivation fürs Übernehmen von Verantwortung. Gelernt war ein enormes Obrigkeitsdenken. Die Angst, Fehler zu machen, überwog. Man hatte immer einen Notfallplan in der Schublade, so dass man – falls etwas schief ging – es selbst nie gewesen sein konnte. Es dauerte eine Weile, ehe sich die ersten Mitarbeiter zeigten und Lust bekamen, neue Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen. Und plötzlich ging es voran: Computergestütztes Ticketing als eines der ersten Häuser in Berlin, Auslastungssteigerung von 24 Prozent nach meinem ersten Jahr. Es gelang uns allmählich, das Haus als das mit der interessantesten Programmatik im deutschsprachigen Raum zu platzieren. Wir konnten wichtige Sponsoren gewinnen, und dank eines Agentur-Sponsoring erarbeiteten wir uns auch endlich eine klares Markenbild: Heute sind wir nur noch das Konzerthaus Berlin, unser Orchester ist das Konzerthausorchester. Unser Publikum kommt gleichermaßen aus allen Bezirken: Wir sind wirklich Berlins klassische Mitte.
In Berlin gibt es sieben subventionierte große Orchester, darunter auch die omnipräsenten Berliner Philharmoniker. Wie hart empfinden Sie den Konkurrenzkampf? Die einzelnen Orchester sind sich bewusst, dass sie den Markt mit unterschiedlichen Konzepten und Programmangeboten bedienen müssen. Die medial weltweit aufgestellten Berliner Philharmoniker sind zum Beispiel ein Orchester mit einem Haus, der Philharmonie, wir sind umgekehrt eher ein Haus mit Orchester, dem Konzerthausorchester Berlin. Wir veranstalten als Konzerthaus nicht nur Konzerte mit unserem Orchester, sondern wir haben zusätzlich 250 Veranstaltungen, die wir in programmatische Linien bringen. So können wir einer Saison auch ein besonderes Gesicht verleihen. Unser Credo ist: Komm in dieses tolle Haus, lass dich mitreißen von unserem Programm! Beispielsweise mit nachmittäglichen Espresso-Konzerten an Überraschungsorten oder Mozart-Matinéen unter dem Motto „Frühstück mit Wolfgang“ inklusive Croissants und Kinderbetreuung. Von der Nachfrage nach diesen Angeboten sind wir fast erschlagen worden. Die größte Belohnung ist für mich, und da kommt der Musiker in mir durch, dass ich unendlich viele Möglichkeiten habe, tolle Konzerte zu hören. Wichtig ist, dass Kultur nicht im Elfenbeinturm produziert wird, dass sie nicht abgehoben elitär, sondern ganz einfach für alle da ist.
Biographie: Martin Redlinger wurde 1959 in Göppingen (Baden-Württemberg) geboren. Seit seinem sechsten Lebensjahr spielte er Klavier, später auch noch Saxophon und war Mitglied diverser Rock- und Jazzformationen. Gerade 18 Jahre alt, hatte er parallel zum Abitur seine erste Profi-Saison im Bundesliga-Kader von Frisch Auf Göppingen. Mit der Aufnahme seines Sport- und Geographiestudiums an der Technischen Universität Karlsruhe wechselte er ins Bundesligateam vom TSV Karlsruhe-Rintheim.1980 brach er seine Handball-Karriere ab, nahm acht Monate lang Querflötenunterricht und studierte das Instrument an der Musikhochschule Karlsruhe. Nach dem Diplomabschluss als Querflötist 1986 absolvierte er in Genf bei Maxence Larrieu ein zweijähriges Aufbaustudium zum Konzertexamen. Parallel dazu gab er Solo- und Kammermusikkonzerte und übernahm schließlich in Heidelberg eine feste Stelle als Querflötenlehrer. An der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg begann Martin Redlinger 1989 ein Kulturmanagement-Studium und wurde 1992 einer der ersten Diplom-Kulturmanager Deutschlands. Nach diversen Projektleitungen in Bremen, Frankfurt und Berlin startete er 1994 als erster „Wessi“ im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt seine Arbeit als Pressereferent und war verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit, Marketing, Sponsoring und Vertrieb. Seit 2002 ist er Direktor für Marketing und Vertrieb des Konzerthaus Berlin. hhb
Alle Fotos © Hanns-Horst Bauer