Sie wurden in Uruguay geboren und sind dort aufgewachsen. Wie ist Ihr Weg von dort bis hin auf die großen internationalen Bühnen verlaufen? Uruguay ist ein fruchtbares Land, wenn es darum geht, neue Stimmen hervorzubringen. Mein Gesangsstudium habe ich zu einem für die dortige Kultur weniger vorteilhaften Zeitpunkt begonnen, alle Opernhäuser Uruguays waren damals geschlossen. Ich habe zunächst in Produktionen im Ausland mitgewirkt, anfangs im Chor. 2005 hat eines der Opernhäuser meines Heimatlandes überhaupt erst wieder den Spielbetrieb aufgenommen und 2010 ein weiteres. Während der ersten Jahre meines Studiums und meiner professionellen Laufbahn musste ich zwischen Buenos Aires und Uruguay pendeln – in Buenos Aires habe ich studiert und meine ersten Schritte auf der Bühne gemacht. Da ich mich stimmlich weiterentwickeln wollte, habe ich an Wettbewerben im Ausland teilgenommen, nachdem ich schon ein paar in Uruguay und in anderen Ländern Südamerikas gewonnen hatte. Die Wettbewerbe gaben mir die Möglichkeit in Europa zu reisen, mir Opernvorstellungen anzusehen, andere Sänger dort kennenzulernen, an Meisterklassen teilzunehmen und vor allem meinen Blick für die dortige Opernkultur im Allgemeinen zu schärfen.
Ich habe dann einige Wettbewerbe in Europa gewonnen. Bei manchen war der Preis eine Partie in einer Opernproduktion – ich konnte es mir allerdings damals nicht leisten, nur für ein paar Vorstellungen aus Uruguay anzureisen – vor allem nicht ohne Gage. Im Jahr 2006 habe ich in Dresden den für mich wichtigsten Wettbewerb gewonnen: die Competizione dell’Opera. Anschließend bin ich aus persönlichen Gründen nach Italien gezogen, habe dort eine Agentur gefunden und 2008 in Puccinis Le Villi debütiert. Das war mein Durchbruch und von diesem Zeitpunkt an an kam es zu Zusammenarbeiten mit etwa Franco Zeffirelli, Graham Vick, Daniel Barenboim, Zubin Metha und vielen mehr.
Unter Ihren Gesangslehrern ist auch die große Ileana Cotrubas. Was konnten Sie von ihr lernen und wie haben Sie die Arbeit mit ihr empfunden? Ileana ist eine großartige Lehrerin, ihre Technik und Kunst habe ich immer bewundert und schon von ihren Aufnahmen viel gelernt, bevor ich überhaupt mit ihr gearbeitet habe. Es war sie, die mich aus dem internationalen Wettbewerb „Montserrat Caballé“ für eine ihrer Meisterklassen mit großem Publikum ausgewählt hat. Dort hat sie mir einen Satz mit auf den Weg gegeben, der mein Schicksal veränderte: „Sie singen das falsche Repertoire, Sie müssen Ihre Stimme finden um dann das für Sie richtige Repertoire singen zu können.“ Die ganze Geschichte ist lang, aber von da an hat für mich damals ein harter Weg begonnen, für den ich jedoch langsam immer mehr belohnt wurde. Ich höre mir heute noch immer von Zeit zu Zeit die Aufnahmen meiner Gesangsstunden mit ihr an. Die wichtigsten Dinge, die ich von ihr mitgenommen habe, sind Respekt, Passion und Liebe für diesen Beruf. Ich bin ihr sehr dankbar. Als ich an der Wiener Staatsoper als Tosca debütiert habe, hat mich der Gedanke, dass sie im Publikum war, sehr nervös gemacht. Nach der Vorstellung habe ich schon in meiner Garderobe gehört, wie ihre Stimme den Korridor füllte – und wusste gleich, was sie über die Vorstellung dachte. Je härter ein Lehrer ist, desto eher schafft er es, das Beste aus einem Künstler herauszuholen, vor allem wenn es sich um einen Menschen handelt, der nie locker lässt, wenn er einen Traum hat. Komplimente reichen manchmal nicht, das Beste aus einem Sänger herauszuholen.
Dieses Jahr singen Sie die Tosca nicht nur an der Berliner Staatsoper, sondern auch an der Deutschen Oper Berlin, der Oper in Stuttgart und in Istanbul. Wie legen Sie die Partie an? Wer ist Tosca für Sie? Tosca ist eine meiner absoluten Lieblingsrollen. Das Schöne an ihr ist vor allem, dass man viel Weiblichkeit, Fragilität, Sensibilität ausdrücken kann und dass die Partie sehr gut geschrieben sowie reich an Farben und Nuancen ist. Sie ist sehr eifersüchtig, naiv genug, um den Worten eines Baron Scarpia Glauben zu schenken, und im zweiten Akt wird sie zu einer wahren Tigerin, zu einer Frau, die schwere Entscheidungen fällt. Zu einem Wesen, das fähig ist zu töten und dabei fast in eine Art Ekstase verfällt, obwohl ein Mord natürlich gegen ihre moralischen Werte als Christin steht. Es macht viel Spaß eine Rolle zu interpretieren, die so viele Facetten hat.
Neben Puccini und weiteren Verismo-Partien finden sich auch viele der großen Verdi-Heroinen in Ihrem Repertoire. Was verlangt Verdi im Gegensatz zu Puccini von der Stimme? Verismo-Partien erlauben es dem Sänger, sich musikalisch in ganz spezieller Art und Weise, die in anderem Repertoire nicht möglich wäre, auszudrücken. Der Text und der Ausdruck sind wichtiger als die musikalische Linie, da der Schwerpunkt eher im Spiel und der Interpretation liegt. Man muss natürlich trotzdem auf die musikalische Linie achten und auf die Art und Weise, wie man eine Phrase aufbaut und Dynamik einsetzt. Ich finde die Aussage falsch, bestimmte Stimmen können keinen Verdi singen, weil es „Verismo-Stimmen“ sind oder umgekehrt. Der „Verdi-Sänger“ muss sich meiner Meinung nach einfach mit dem auseinander setzen, was der große Meister geschrieben hat. Das Wort ist immer wichtig , aber die Gesangslinie, das Legato, wie man Töne ansetzt und die Tonproduktion an sich, die Spitzentöne und Kadenzen sind besonders wichtig und müssen mit besonders großer stilistischer Sorgfalt behandelt werden, wenn man von „Verdigesang“ sprechen will. Ich denke nicht, dass die Stimme an sich entscheidend ist wenn es darum geht, Verdi- oder Verismo-Partien gerecht zu werden, sondern vielmehr die Art und Weise, wie der Sänger die Stimme einsetzt.
Bisher haben Sie von den frühen Verdi-Partien nur die Lucrecia in I due Foscari interpretiert. Gibt es weitere Pläne in dieser Richtung? Masnadieri, Jérusalem, Giovanna d’Arco? Oder gar Attila, Macbeth, Nabucco? Momentan bleibt es, was frühen Verdi angeht, bei I due Foscari. Mir wurden einige der oben erwähnten Partien angeboten, aber momentan will ich mein Repertoire nicht in diese Richtung erweitern. Neue Verdi-Partien werden die Desdemona in Otello, Elisabetta in Don Carlo und Elena in I Vespri Siciliani sein. Was frühen Verdi angeht würden mich eher Werke wie Giovanna d’Arco, Il Corsaro oder I Masnadieri reizen, nicht Nabucco oder Macbeth.
Und Belcanto? Zum Beispiel Norma? Das ist eine gute Frage, mit der Norma habe ich mich bisher noch nicht wirklich beschäftigt und habe Belcanto im Allgemeinen bisher auch noch nicht auf der Bühne gesungen. Als ich studiert habe, habe ich Arien aus Lucia, Sonnambula und so weiter gesungen, aber nie ganze Belcanto-Partien auf der Bühne. Ich würde das jedoch gerne probieren und falls ein Opernhaus bei Belcanto einmal an mich denken sollte, würde ich das sicher gerne machen. Ich denke eigentlich, dass eine Norma früher oder später kommen wird.
Haben Sie je ans deutsche Fach gedacht? Salome oder Wagner-Partien wie Senta oder Sieglinde? Ja, daran habe ich schon gedacht, aber ich würde gerne erst mein Repertoire mit weiteren italienischen Partien erweitern.
Welche Auftritte und neue Partien sind in Zukunft geplant? In welche Richtung wollen Sie Ihr Repertoire entwickeln? Gibt es spezielle Partien, die Sie unbedingt singen wollen? Ich würde wirklich gerne französisches Fach singen, mein Traum wäre eine Thais, eine Marguerite in Faust oder dramatischere Massenet-Partien wie die Chimène in Le Cid. Ich habe bereits eine wunderbare französische Partie gesungen, und zwar die Rachel in La Juive, die ich gerne öfter machen würde. Mozart liebe ich ebenfalls sehr und würde gerne öfter Mozart-Partien singen, das ist wie eine Erholungskur für die Stimme. Aber auch hier liegt die Entscheidung letztendlich nicht bei mir, sondern bei den Opernhäusern. In Zukunft steht bei mir vor allem Verdi und Puccini im Kalender, und bei diesen Komponisten fühle ich mich stimmlich auch besonders wohl.
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