Leo Bochard war ein Dirigent mit deutsch-russischen Wurzeln, der am 31. März 1899 in Moskau geboren wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges folgte er Wilhelm Furtwängler, der von der amerikanischen Besatzungsmacht zunächst als politisch belastet eingestuft worden war, an die Spitze der Berliner Philharmoniker. Das erste Konzert im zerstörten Berlin fand am 26. Mai 1945 unter seiner Leitung im zum Konzertsaal umfunktionierten Kino Titania-Palast an der Schlossstraße im Bezirk Steglitz statt, der heute nur noch in seiner originalen Fassade erhalten ist. Auf dem Programm stand unter anderen Werken die vierte Sinfonie von Tschaikowski. Nicht zuletzt durch den großen Erfolg beim Publikum wurde Borchard wenig später vom Berliner Magistrat mit der Leitung des Orchesters beauftragt. Seine Amtszeit war nur von kurzer Dauer. Unter tragischen Umständen wurde er am 23. August 1945 an einem alliierten Grenzpunkt am Bundesplatz (Bezirk Wilmersdorf) von einem amerikanischen Soldaten erschossen. Das Auto mit Borchard hatte – entgegen der vorherrschenden Befehlslage – nicht angehalten.
Beigesetzt ist der Dirigent auf dem Steglitzer Friedhof in einem Ehrengrab. An seinem ehemaligen Wohnhaus in der Nähe erinnert eine Gedenktafel an Borchard, die allerdings sein Wirken als Dirigent ausspart. Gewürdigt wird darauf der Widerstand gegen die Nationalsozialisten, den er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Schriftstellerin Ruth Andreas-Friedrich, leistete. Wenige Tondokumente vermitteln nur eine annähernde Vorstellung von der Begabung des Dirigenten. Die meisten stammen bereits aus den 1930er Jahren. Testament hatte auf einer CD Einspielungen mit den Berliner Philharmonikern zusammengefasst (SBT 1514). Es sind nur kurze Stücke oder Auszüge aus sinfonischen Werken, die auf Schelllackplatten passen mussten. Mit fast sechzehn Minuten ist Wotans Abschied und Feuerzauber aus Wagners Walküre das umfänglichste Stück, welches seine Bedeutung aber mehr von der Tatsache herleitet, dass Hans Reinmar als Solist besetzt ist. Nachhaltiger blieb der vielseitige Leo Borchard durch seine Mitarbeit an dem Oratorium Der Großinquisitor von Boris Blacher in Erinnerung. Er richtete dafür den Text nach dem Roman „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Dostojewski ein. Außerdem ist er als Übersetzer von Tschechow und der Tschaikowski-Biographie „Geschichte eines einsamen Lebens“ der russischen Autorin Nina Berberowa in Erscheinung getreten. R.W.