Lena Belkina

.

Die Mezzosopranistin Lena Belkina ist mit zahlreichen wichtigen Rollen an den großen Opernbühnen vielbeschäftigt. Im letzten Jahr (2021) fand die in Taschkent geborene, in Kiew und Leipzig ausgebildete Sängerin aber zur Innerlichkeit der kleinen Form im Kunstlied. Auf ihrer aktuellen CD Spring Night (Solo Musica 381)widmet sie sich zusammen mit der russischen Pianistin Natalia Sidorenko den hierzulande selten gehören Liedern von Peter Tschaikowski und Sergej Rachmaninoff. Zwischen den Proben für Gastspiel am Gran Teatre del Liceu in Barcelona fand sie Zeit für ein Gespräch mit Stefan Pieper.

.

Ich bin doch mal neugierig auf Ihre Herkunft. Sie sind offiziell Ukrainierin, aber in Usbekistan geboren, sind aber auf der Krim aufgewachsen und leben heute in Wien.  Ich bin auf der Krim aufgewachsen, meine Mutter ist Krimtatarin. In sowjetischer Zeit war es so, dass die Menschen irgendwo arbeiten mussten und sich dies nicht aussuchen konnten. Meine Eltern haben sich in Taschkent in Usbekistan kennengelernt, wo sie zum Arbeiten hingeschickt wurden. Ein paar Jahre, nachdem ich geboren wurde, ist die Sowjetunion zerfallen und die Krim- Tataren durften endlich wieder in ihre Heimat zurück übersiedeln. Mein Vater ist Russe aus Sibirien. 1990 sind wir auf die Krim übergesiedelt und deswegen habe ich in Kiew studiert. Seit 10 Jahren lebe ich in Wien, vorher habe ich in Leipzig studiert und an der Oper gearbeitet.

Haben Sie früher einmal gedacht oder sich erträumt, dass Ihr Leben heute so aussehen würde? Ich glaube schon. Ich habe seit meiner Kindheit gewusst, dass ich Sängerin werden möchte. Aber ich musste erst lernen, wie man sich diese professionelle Karriere erarbeitet, um ein solches Ziel zu erreichen. Ich habe noch nicht mein Maximum erreicht und fühle mich nach wie vor auf einem Weg, auf dem es einiges zu bewältigen gibt.

Vor der Pique Dame hier in Barcelona standen Sie in Moskau beim Neujahrskonzert zusammen mit dem Countenor Max Emanuel Cencic auf der Bühne… Ja, singe die Paulina hier im Liceu. Es ist eine absolute Star-Besetzung. Die Rolle des Herrmann wird von Yusif Eyvazov gesungen. Die Rolle der Lisa übernimmt Sondra Radvanovsky.  Und ich freue mich, in Moskau zusammen mit einem der besten Countertenöre seines Fachs auftreten zu können. Eigentlich wollten wir dort Rossinis Oper Donna del Lago konzertant machen. Wegen der Pandemie wurde sie aber zweimal verschoben. Schließlich hat Max gesagt, dass er die Partie des Malcolm nicht mehr singen möchte. Stattdessen haben wir ein anderes Konzertgemeinsam gemacht.

Mich beeindruckt Ihre große Vielfalt. Ein frühes Video zeigt Sie in Bachs Matthäuspassion. Was würden Sie sagen, hat sich seitdem verändert und weiterentwickelt? Ich bin bei dieser Aufnahme 20 Jahre alt. Ich habe seitdem meine Technik weiterentwickelt und übe jeden Tag, dass ich nicht auf einem Level stehen bleibe.

Viele Profis sagen, man muss immer den Wunsch haben, noch besser zu werden. Nur so lange ist man gut. Würden Sie das bestätigen?
Ja, absolut. Es geht dabei nicht nur um die Zufriedenheit über das bereits Erreichte, sondern auch um die Arbeit am technischen Können. Auch geht es darum, Entscheidungen zu treffen. Welche Rolle passt mir gerade? Was kann ich mit meiner Stimme besonders gut und besser als meine Kolleginnen singen? Solche Gedanken beschäftigen mich, damit ich mich weiterentwickele. Ich ruhe mich nie auf etwas aus. Auch wenn meine Umgebung sagt, ich habe wunderbar gesungen, bin ich eigentlich selbst nie zufrieden. Ich sehe immer noch Details und bin in jedem Moment mein eigener Kritiker.

Lena Belkina als Sonya in der Oper „Krieg und Frieden“ von Sergej Prokofiew am Grand Theatre de Genève / Foto Carole Parodi

Wie sieht es mit Zeitdruck aus? Ich gehe davon aus, dass Sie ständig in sehr begrenzter Zeit riesige Partien einstudieren müssen. Wie fühlt sich das an?  Ich bin gerade dabei, in dieser Hinsicht etwas umzudenken und mir ein neues Konzept zu überlegen. Ich möchte künftig nicht mehr so viele Aufträge annehmen, eben damit die Qualität nicht irgendwann leidet. Heute ist mir an einer ausgewogenen Lebenssituation gelegen. Früher hatte ich keine Familie. Da konnte ich jedes Angebot annehmen. Dabei habe ich gelernt, jede Rolle super schnell studieren und lernen zu können. Eine Hauptrolle kann ich in einer Woche auswendig lernen, wenn ich will. Das ist alles möglich, aber ob das gut ist, ist dann die zweite Frage. Ich möchte in erster Linie auf Qualität setzen. Also weniger Auftritte singen und darauf Wert legen, dass ich ausgeruht bin und Zeit habe, etwas zu lesen und auch anderen Interessen und Hobbys nachzugehen. Ich habe während der Pandemie-Zeit etwas Neues ausprobiert und einen Kurs im Bereich Film- Regie absolviert. Ich produziere gerne selber Videofilme und schreibe auch Drehbücher.

Sie haben sich aktuell mit selten gesungenem Liedrepertoire beschäftigt und mit der Pianistin Natalia Sidorenko eine Duo-CD aufgenommen. Markiert dies ein neues künstlerisches Kapitel? Ja und nein. Ich habe diese Lieder während des Studiums in verschiedenen Recitals gesungen und wollte sie immer schon mal aufnehmen. Es war jedes Mal etwas kompliziert, einen Pianisten dafür zu finden. Auch jetzt war ursprünglich ein anderer Pianist geplant, der aber wegen der Pandemie nicht anreisen konnte. Da bin ich auf Natalia Sidorenko gestoßen. Wir haben auf Anhieb sehr gut zusammen geprobt. Wir konnten in Ruhe daran arbeiten und haben uns viel Zeit dafür genommen. Das kommt auf jeden Fall der Qualität dieses Produkts zugute. Auch kamen uns die Bedingungen während der Pandemie entgegen. Normalerweise hätten wir viel mehr Druck gehabt dabei. In der Regel muss eine Aufnahme zwischen zwei Produktionen geschoben werden. Wenn ich eine CD aufnehme und damit etwas für die Ewigkeit schaffe, will ich auch top vorbereitet sein. Auf diese Weise bin ich dann selber mit mir zufrieden und kann sagen, ich habe hier eine große Leistung vollbracht. Jetzt freue ich mich, dass ich über die neue Aufnahme schon viel positives Feedback von vielen Menschen bekommen habe.

Wie unterscheidet sich die künstlerische Herausforderung zwischen einer Opernproduktion und diesem Liedprogramm?
Opernrollen haben riesige Anforderungen an das technische Können. Lieder brauchen natürlich auch eine gute Gesangstechnik, aber es braucht noch etwas anderes darüber hinaus – nennen wir es mal seelisches Können. Es geht in diesen Liedern von Tschaikowski und Rachmaninoff nicht nur um den Text. Noch mehr kommt es darauf an, Bilder zu singen. Die thematische Gegenüberstellung von zwei Komponisten gefällt mir gut und ich möchte sie gerne noch für andere Aufnahmen verwenden. Vielleicht mache ich irgendwann mal ein Programm mit Schubert und Schumann oder mit Debussy und einem anderen französischen Komponisten. Auf jeden Fall gefällt mir die Liedkunst und ich möchte so etwas auf jeden Fall weiter machen.
Das Ganze ist eine neue Bereicherung, vor allem wenn man auf meinen Alltag in meinem Business schaut: Wenn ich einmal eine Rolle gut singe, werde ich überall immer wegen dieser Rolle engagiert. Ich möchte aber gerne neue Programme und unbekannte Opern singen und wünsche mir Direktoren und Intendanten, die genug Mut haben, um solches Repertoire zu inszenieren.

Wie haben Sie das Release-Konzert im Dezember im Berliner Pianosalon Christophori erlebt?
Ich habe nicht nur die Lieder aufgeführt, sondern eine Mischung aus Arien und Liedern. Die Reaktion war großartig. Es war zwar nicht so viel Publikum da, aber dieses spendete stürmischen Applaus mit der Folge, dass ich insgesamt vier Zugaben gesungen habe und dabei das Publikum auch habe wählen lassen. Ich habe immer gefragt, ob ich Carmen oder doch lieber Tschaikowski oder Rachmaninoff singen soll. Es wurde jedes Mal Letzteres gewählt. Carmen habe ich aber trotzdem noch gesungen.

Hatte Sie überrascht, dass die Leute als Zugabenwunsch nicht Carmen hören wollten?
Wenn sich ein Publikum gut in der Literatur auskennt, möchte es meist nicht so einen Hit wie Carmen hören, sondern lieber etwas Unbekanntes entdecken. Wenn sich ein Publikum nicht so gut auskennt, möchte es in erster Linie die tolle Stimme erleben –  da hilft ein Stück, was alle gut kennen. Aber grundsätzlich lege ich jedes Konzertprogramm auf Vielfältigkeit an, so dass für alle etwas dabei ist.

Können wir uns auf weitere Aufführungen Ihres aktuellen Liederprogrammes freuen? Auf jeden Fall. Am 6. April gastiere ich in Hamburg, und dann gibt es endlich einen Nachholtermin für mein verschobenes Debutkonzert in Wien am 15. Mai (Fotos Bofil Barcelona). Stefan Pieper