Am 16. April 1995 verstarb Gertrude Grob-Prandl, 1917 in Wien geboren und trotz der nicht immer erwiderten Gegenliebe der Wiener Institutionen eine erz-österreichische Person. Mit ihr ging ein Zeitalter zu Ende, in dem die voluminösen, kraftvollen und vor allem schönen Stimmen wesentlich häufiger waren als heute. Anders als die von Birgit Nilsson war ihre riesige Stimme menschlich, warm und leuchtend. Menschlich vor allem.
Gertrude Grob, in erster Ehe verheiratete Prandl, in zweiter Ehe King, lebte die letzten Jahre ihres Lebens zurückgezogen bei Wien – eine Frau von starkem Willen und liebenswert-starken Grundsätzen. Ihre nur im diskreten Gegenüber (Thomas Voigt) geäußerten Kommentare über Sänger trafen stets den Punkt und zeugten von ihren hohen Maßstäben ebenso wie von ihrem Witz. Und ihre lsolde, Turandot, Bethoven-Leonore und vor allem auch Brünnhilde gehören zu den Ausnahmedokumenten der Gesangsgeschichte ihres Jahrhunderts. Leuchtkraft, wortdeutlichste Deklamation und tief-menschliche Gestaltung zeichnen diese Figuren aus.
So unauffällig sie als Privatperson blieb, so verlief auch ihre Karriere, ohne Skandale und lange im Schatten anderer, namentlich der Konetzni-Schwestern in Wien, wo sie 1944 an der Staatsoper kurz vor der kriegsbedingten Schließung mit der Elsa debütiert hatte. Im März 1945 wurde das Haus zerstört. Es ist bezeichnend, dass sie zur Wiedereröffnung 1955 nicht die Fidelio-Leonore sang (das war Martha Mödl, aber ironischerweise sang die Grob die Partie kurz nach der Eröffnung der Berliner Staatsoper wenig später). Immer waren in Wien andere vor ihr. Dennoch ging ihre Laufbahn steil bergan, von steter Qualität getragen, namentlich an der Volksoper, nachdem sie bei den legendären Lehrern Paier und Singer-Burian (einer Schülerin der Ponselle) studiert hatte. Die Marschallin, die 1944 der Elsa folgen sollte, fiel zum Bedauern der Grob dem Bombenalarm zum Opfer – ein Jammer, wie sie stets betonte, denn vor dem Krieg waren diese Partien Domänen der Hochdramatischen. Auch die Rosalinde gehörte dazu, die sie gerne gesungen hätte. 1949 gab sie ihre erste Walküre unter Krauss, sie „überlebte“ Dirigentenwechsel und Intendanten, sang neben Senta und Ariadne die Walküre unter Böhm in Buenos Aires und kam überhaupt viel herum.
Sie wurde im Ausland wesentlich glanzvoller aufgenommen als zu Hause: in Italien als Turandot, Ballo-Amelia, bei der RAI mit einem fulminanten Konzert als Rezia u. a. (ihre Arie der Isabella/ Robert der Teufel gehört auf dem Recital in Deutsch zu meinen absoluten Immortellen gleich neben Anita Cerquettis Auszug aus Agnese di Hohenstaufen); vor allem aber an der Scala – nach ihrem Einstand 1951 in Neapel – als lsolde unter Victor de Sabata mit Max Lorenz. Wer die hohe Kunst der Grob-Prandl kennenlernen möchte, muss sich den Mitschnitt anhören, auf dem die Stimme gleichermaßen strömt wie auch mühelos die langen, leuchtenden Phrasen singt. Es gibt keine klangschönere, wortdeutlichere und präsentere lsolde auf Dokumenten für mich, weder Traubel noch Flagstad noch Nilsson. Neben Reisen nach Nordamerika, nach Brüssel, Dortmund (!) und Berlin (!) kam es bemerkenswerterweise nicht zu Auftritten in Bayreuth, wo die Kolleginnen Varnay und Mödl fest installiert waren. Dafür sang sie die Turandot auf Englisch (!) 1951 unter John Barbirolli in London und die Ortrud in Italienisch in Reggio Emilia.
Die Beziehung zur Wiener Staatsoper war in den letzten Jahren stets gespannt gewesen. 1972 gab sie nach mehr als 28 Jahren Zugehörigkeit zum Haus ihren Vertrag zurück. Sie hatte genug von den Anfeindungen, der Claque, der Ungezogenheit der Presse, die sich auch gegen ihre voluminöse Körperfülle richtete. Dass man sie ein „Buffet auf Rädern“ nannte, war wohl auch gemeiner Weise in einer Wiener Tageszeitung zu lesen. Von Montserrat Caballé oder Jane Eaglen hat man das nie gesagt. Die Akzeptanz hat sich eben geändert. Es ist bezeichnend für ihren Charakter, dass sie nicht um ihre Rollen kämpfte – sie hatte einfach genug. Der Prophet gilt eben nichts im eigenen Land, wie sich an dieser wunderbaren, großen und leuchtenden Ausnahmestimme zeigt
Hoffentlich kommt irgendwann die von ihr selbst zurückgehaltene Elektra-Inhouse-Aufnahme aus Graz auf den Markt, die nur bei Sammlern kursiert! Eine weitere aus Wien leidet unter schlechtem Sound. Das RAI-Konzert (Cetra), die Turandot (aus dem Fenice bei ehemals Remington und eine aus Wien live inoffziell) nebst Wiener Radio-Recital (bei Myto), der Wiener Ring (nur Siegfried und Götterdämmerung als Ersatz für Helena Braun/Myto u. a.), der Tristan aus der Scala (Nuova Era etc.), die Venus/Tannhäuser unter Karajan (RCA), den bizarren Idomeneo und Don Giovanni (Haydn-Society bzw. Vox/ MMS) sowie die Erste Dame/Zauberflöte (Music & Arts et. al.) gab es kommerziell – heute abervweitgehend nicht mehr greifbar. Dazu kommen vielleicht noch weitere – man kann nicht alles wissen. Es wird Zeit – auch für Wien! – , diese bedeutende Sängerin offiziell mit einer Box ihrer Aufnahmen zu ehren und ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. S. L.