Auch an Edda Moser erinnere ich mich genau. Sie war ein überwältigendes Bühnenereignis – ich denke, man wird der unglaublichen Wucht ihrer Stimme, aber auch deren Zartheiten und Nuancen darin nur gerecht, wenn man sie auf der Bühne erlebt hat. Sie war ein „Theatertier“. Zudem hatte ich das Glück, sie noch in ihrer früheren Phase der Siebziger zu erleben, als unglaublich intensive Donna Anna an der Deutschen Oper Berlin, bei deren Ausbrüchen die Bühne wackelte und die eine Furie der der Gekränktheit abgab (der Loosey-Film hat diese Interpretation ja eingefangen). Zudem war sie optisch eine schöne, stolze Frau und eine sensationelle Schauspielerin. Als Idomeneo-Elettra werde ich sie nicht aus meinem Kopf los, einer Furie gleich ging sie Peter Seifert an, gekränkt, rachsüchtig, verbittert. Was für eine Besetzung damals an der DOB. Aber – und das war die andere Seite ihrer Kunst – als Gilda, als Cardillac-Tochter und vor allem als Violetta (in Hannover) überraschte sie mit unendlicher Zartheit, mit vielen kleinen Nuancen und vor allem – wie auf allen ihren Einspielungen – mit vorbildlicher Diktion. Ich habe kaum je eine andere Künstlerin mit einem solchen Gewicht auf Sprache erlebt, ob nun im Italienischen oder im Deutschen.
Was ihren vielen Liederaufnahmen zu Gute kam. Liederabende habe ich einige von ihr live erlebt und mich an ihrer Sprachdeutlichkeit erfreut. Ihren letzten Wagner-Abend in Berlin im reiferen Alter habe ich verdrängt. Das war kein Vergnügen. Aber sie ist unendlich klug, zog sich auf das Unterrichten zurück und hat sich als ganz exzellente Pädagogin einen bedeutenden Namen gemacht.
So vital und beredt wie sie, ist mag man ihr ihre 80 (am 27. Oktober 2018) nicht glauben, zumal sie auf ihren unendlich vielen EMI-Electrola-Einspielungen ganzer Opern, vieler Querschnitte und vor allem Liedplatten zu einem Haushaltswort wie die Callas geworden ist.
Deshalb ist es uns eine Freude, im Anschluss das kurze Interview mit und von Thomas Voigt zu bringen, selber Musikjournalist von Rang und Lesern von operalounge.de nun wirklich kein Unbekannter, dessen Gesprächs-Buch mit Edda Moser „Ersungenes Glück“ gerade wieder neu im Henschel-Verlag aufgelegt worden ist.
2013 erschien eine CD-Box von Edda Moser bei der damaligen EMI/Electrola („Edda Moser – Electrola-Recitals/ Oper & Lied“), aus deren Beilagen wir das nachstehende Interview entnommen haben – mit Dank an Thomas Voigt. G. H.
Edda Moser im Gespräch mit Thomas Voigt: Edda Moser und EMI Electrola – das ist ein besonderes Kapitel Plattengeschichte. Den Beginn dieser Zusammenarbeit markieren zwei Mozart-Aufnahmen: Die komplette Zauberflöte unter Wolfgang Sawallisch und das RezitaI mit Opern- und Konzertarien unter Leopold Hager. Wäre es eine amerikanische Produktion gewesen, hätte die Soloplatte sicher den Titel „Coloratura spectacular“ gehabt. Stattdessen sieht man auf dem Cover eine Sängerin, die sich vor dem Genie Mozart verbeugt... Ich fühlte mich nicht als Primadonna, sondern als Dienerin des Komponisten, und mir war es wichtig, dass das auf dem Cover zum Ausdruck kommt.
Obwohl die Stücke ja zum großen Teil der Stoff sind, aus dem die Primadonnenroben gewirkt werden – Feuerwerke der Koloratur. Und dann dieser spektakuläre „stunt“ beim Aufstieg auf das dreigestrichene C in der Konzertarie „Popoli di Tessaglia“. Sicher, deshalb hieß das Album auch „Virtuose Arien von W. A. Mozart“. Dennoch ging es mir in erster Linie darum, den unterschiedlichsten Charakteren und den extremen gesanglichen Anforderungen gerecht zu werden. Das stand im Vordergrund – und nicht die Virtuosin. Übrigens zähle ich die Zusammenarbeit mit Leopold Hager zu den glücklichsten Erfahrungen meines Sängerlebens, im Studio wie auch im Konzertsaal. Es gab Momente, da sind wir ineinander versunken in der Seligkeit des Musizierens.
Sie sind die einzige Sopranistin, deren Stimme durch den Weltraum kreist. Ihre Aufnahme von „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ befindet sich an Bord der beiden interstellaren Raumsonden Voyager I und Voyager II, die 1977 in Cape Canaveral gestartet wurden. Die Arie ist auf „Voyager Golden Record“ gespeichert. Mir wurde erklärt, dass die Scheibe aussieht wie eine vergoldete LP. Und wenn man auf den Knopf drückt, fängt sie an zu spielen. Wie das konstruiert ist, weiß ich nicht. Geschätzte Lebensdauer: 500 Millionen Jahre. So viel zur Frage, die sich jeder Künstler stellt, nämlich: „Was bleibt?“ (lacht) Dass etwas bleibt, zeigt schon diese CD-Box, die ja mein Platten-Vermächtnis darstellt. „Der Hölle Rache“ entstand übrigens in einem Rutsch, morgens um zehn. „Wollen Sie einen Probelauf, oder nehmen wir gleich auf?„, fragte Wolfgang Sawallisch. „Von mir aus gleich Aufnahme!“ Dann legte ich los – und das war’s. Ein Take.
Der Produzent dieser Aufnahmen war meist Helmut Storjohann, und zu ihm hatten Sie offenbar einen sehr guten Draht. Wir kamen wunderbar miteinander aus. Und er hat mir bei meinen Solo-LPs viel Freiheit gelassen. Zum Beispiel durfte ich mir für meine erste Liedplatte das Programm und den Begleiter aussuchen. Also habe ich mir als erstes Lieder von Strauss und Pfitzner gewünscht, mit Erik Werba als Partner am Klavier.
Warum gerade Pfitzner? Seine Lieder werden bis heute unterschätzt, zumal im Vergleich zu Strauss. Er gehört zu den Komponisten, bei denen sich alte Vorurteile hartnäckig gehalten haben. Als ich zum Beispiel den Managern der Mailänder Scala mein Programm für den Liederabend vorstellte, sagten sie sofort: „Bloß keinen Pfitzner!“ Aber das hat mich nur darin bestärkt, seine Lieder zu singen. Außerdem war er ein Freund meines Vaters.
… des Musikwissenschafliers und Sängers Hans Joachim Moser. Vaters Gesang war mein Schlüsselerlebnis in Sachen Lied. Deshalb ist mein emotionales Verhältnis zum Lied auch viel älter als meine Beziehung zur Oper.
Wie war die Arbeit mit Erik Werba? Das war das Beste, was mir als Liedsängerin passieren konnte. Ich habe sehr viel von ihm gelernt; er hat ja alle großen Liedsänger begleitet und beraten, und wenn er einen begleitete, hatte er eine unglaubliche Ausstrahlung. Mit ihm hatte ich auch meinen ersten großen Liederabend im Wiener Musikverein. Danach habe ich oft und gern mit Christoph Eschenbach gesungen; auch Dalton Baldwin und Leonard Hokanson darf ich zu meinen Wegbegleitern zählen.
Mit Hokanson haben Sie ein Schubert-Rezital aufgenommen, elf Jahre nach Ihrer ersten Liedplatte. Warum haben Sie so lange mit Schubert gewartet? Aus Respekt und aus Sorge, seiner Musik nicht gerecht werden zu können. Schubert hat in vielen seiner Lieder eine Tessitura, die für Soprane unbequem ist.
Sie haben einmal gesagt, dass die Kunst des Liedgesangs immer mehr verloren geht. Nicht bei Festivals, aber im täglichen Musikleben. Da droht das Lied immer mehr zu einem Nischenprodukt für Liebhaber und Experten zu werden. Als ich in Berlin studierte, waren Liederabende selbstverständlicher Teil des musikalischen Alltags. Da verging keine Woche ohne einen Liederabend, und man hörte regelmäßig die Besten des Metiers: Fischer-Dieskau, Grümmer, Seefried, Prey, Schwarzkopf, Rothenberger, Streich und viele andere.
Fischer-Dieskau hat die Hörgewohnheiten ganzer Generationen geprägt, er war ein Freund Ihres Vaters – hat das irgendeinen Einfluss auf Ihre Liedinterpretationen gehabt? Sagen wir so: Wer sich ernsthaft mit dem Liedgesang beschäftigte, konnte ihn gar nicht umgehen. Er war eine solche Autorität und Größe auf diesem Gebiet, und wer wie wir in Berlin wohnte, war froh und dankbar, ihn regelmäßig mit Liederabenden zu hören. Sicher hat das unterschwellig auch Einfluss auf mich gehabt, zum Beispiel in der Artikulation.
Was kann man tun, damit Liederabende wieder zum musikalischen Alltag gehören und nicht Sonderveranstaltungen für Spezialisten bleiben? Tja … da müsste man fast schon in der Schule ansetzen und versuchen, die Lust an Musik und Poesie zu wecken. Natürlich ist das eine harte Arbeit: Welches Kind hat schon Lust, sich mit Gedichten zu befassen? Wir wären ja auch lieber spielen gegangen. Aber wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: Es hat uns auch gezeigt, dass es noch etwas anderes gibt als das Nützliche und Materielle, dass der Mensch nicht nur von Essen und Trinken lebt, dass es auch eine seelische und geistige Nahrung gibt. Wenn wir uns das bewusst machen, ist der erste Schritt getan. ©Thomas Voigt, 2013
Als Erinnerungsstütze hier noch ein Auszug aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens (Großes Sängerlexikon): Moser, Edda, Sopran, * 27.10.1938 Berlin; Tochter des Musikwissenschaftlers Hans Joachim Moser (1889-1967). Gesangstudium bei Hermann Weißenborn und bei Gerty König in Berlin. 1962 debütierte sie als Kate Pinkerton in »Madame Butterfly« am Deutschen Opernhaus Berlin. Sie sang ein Jahr lang als Choristin am Stadttheater von Würzburg und war seit 1964 nacheinander an den Stadttheatern von Hagen (Westfalen) und Bielefeld sowie am Theater des Westens in Berlin tätig. 1967 begegnete sie bei einem Gastspiel am Staatstheater von Braunschweig dem Komponisten Hans Werner Henze, der sie veranlasste, bei einem Konzert in London die Soli in zwei seiner Kantaten zu singen. 1971 wirkte sie in Wien in der Uraufführung des Oratoriums »Das Floß der Medusa« von H.W. Henze mit. 1968 wurde sie durch Herbert von Karajan für die Salzburger Osterfestspiele als Wellgunde im »Rheingold« verpflichtet. Die gleiche Partie sang sie bei einem Gastspiel des Salzburger Ensembles im November 1968 an der Metropolitan Oper New York. Es folgten Gastspiele an den Opernhäusern von Frankfurt a.M., Hamburg, Paris (1977 Königin der Nacht an der Grand Opéra) und am Grand Théâtre in Genf. Im Konzertsaal schätzte man sie vor allem als Bach-Sängerin und als Interpretin zeitgenössischer Meister. 1970 bewunderte man sie an der Metropolitan Oper New York als Königin der Nacht in der »Zauberflöte«, ihrer besonderen Glanzrolle; sie sang an der Metropolitan Oper während einer Reihe von Jahren u.a. die Donna Anna im »Don Giovanni«, die Konstanze in der »Entführung aus dem Serail«, die Musetta in »La Bohème« die Liu in Puccinis »Turandot« und mit besonderem Erfolg 1984 die Armida in »Rinaldo« von Händel. 1978 gastierte sie in Moskau, Kiew, Odessa und Tallinn (Reval). Bei den Salzburger Festspielen sang sie 1971 die Aspasia in Mozarts »Mithridate«, 1978 die Donna Anna im »Don Giovanni«, 1979-82 die vier Frauenrollen in »Hoffmanns Erzählungen«, 1981-84 die 1. Dame in der »Zauberflöte« und trat 1970-89 dort immer wieder in Konzertveranstaltungen auf. Beim Festival von Aix-en-Provence hörte man sie als Donna Anna im »Don Giovanni«. 1971 feierte man sie an der Wiener Staatsoper als Konstanze in der »Entführung aus dem Serail«, als Königin der Nacht und in anderen Partien für Koloratursopran; sie blieb dann Mitglied dieses Opernhauses. Durch Gastspielverträge war sie den Staatsopern von München und Hamburg verbunden. In Hamburg hatte sie 1974 spektakuläre Erfolge als Lucia di Lammermoor. 1972 sang sie in London in einer konzertanten Aufführung von »Le Rossignol« von Strawinsky. 1974 gab sie Konzerte in der New Yorker Carnegie Hall. Sie wechselte dann vom lyrischen und vom Koloraturfach in den Bereich des dramatischen Soprans und sang an der Deutschen Oper Berlin und an weiteren Bühnen (u.a. in Bonn und Leipzig) Rollen wie die Senta im »Fliegenden Holländer«, die Leonore im »Fidelio«, die Titelpartie in »Salome« und die Marschallin im »Rosenkavalier« von Richard Strauss. 1988 Gastspiel in Rio de Janeiro als Ariadne in »Ariadne auf Naxos« von R. Strauss, 1989 am Teatro Valli in Reggio Emilia als Marie im »Wozzeck« von A. Berg. Tourneen, bei denen sie sich auch als große Liedersängerin präsentierte, führten sie nach Südamerika, Italien, Frankreich, Belgien und Dänemark. Sie war dazu pädagogisch tätig.
Zahlreiche Schallplatten der Marken Electrola/ EMI (»Idomeneo« von Mozart, »Die Zauberflöte«, »Paradies und die Peri« von Schumann, Leonore in der Ur-Fassung von Beethovens »Fidelio«, »Abu Hassan« von Weber, »Der häusliche Krieg« von Schubert, »Genoveva« von Schumann, »Die Abreise« von d’Albert, Mozart- Arien; Operetten- und vortreffliche Lied-Aufnahmen) und DGG (Ring-Zyklus aus Salzburg, »Orpheus« von Gluck, »Rappresentatione di Anima e di Corpo« von Cavalieri, »Das Floß der Medusa« von Henze), CBS (»Don Giovanni« als CD und Film), Calig-Verlag (1. Akt »Walküre«, Aufnahme einer konzertanten Aufführung vom Juni 1994 in Schwerin).
[Nachtrag] Moser, Edda; sie war 1968-71 am Opernhaus von Frankfurt a.M. engagiert. An der Metropolitan Oper New York sang sie seit 1968 acht Rollen in neun Spielzeiten (Debüt als Wellgunde im »Rheingold«), 1972, 1975, 1979-80, 1981-82 und 1983-84; man hörte sie dort als Königin der Nacht in der »Zauberflöte«, als Donna Anna im »Don Giovanni« (48mal), als Musetta in »La Bohème«, als Liu in Puccinis »Turandot«, als Nedda im »Bajazzo« und als Armida in »Rinaldo« von Händel. Bereits 1973 unternahm sie eine sehr erfolgreiche Rußland-Tournee mit Auftritten in Moskau, Leningrad und Riga. An der Oper von Marseille gastierte sie 1981 als Gräfin in »Figaros Hochzeit«, an der Staatsoper von Wien sang sie noch 1994 die Salome in der gleichnamigen Oper von R. Strauss. Ihr Vater Hans Joachim Moser (1889-1967) war auch als Konzertsänger tätig und nahm auf der Marke Parlophon-Schallplatten mit Musik des Mittelalters auf. Ihr Halbbruder Wolf-Hildebrand Moser (* 1943 Berlin) wurde ebenfalls als Sänger bekannt. [Lexikon: Moser, Edda. Großes Sängerlexikon, S. 17119 (vgl. Sängerlex. Bd. 4, S. 2442; Sängerlex. Bd. 6, S. 540) (c) Verlag K.G. Saur] (Foto oben: Edda Moser: als Donna Anna in Joseph Looseys-Verfilmung von „Don Giovanni“ 1979/ kinozeit.de)