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Wie kann ich meine große Liebe zu Aprile Millo erklären? Vielleicht, weil sie angesichts der vielen belang- und gesichtslosen Zeitgenössischen eben ein Gesicht auf der Stimme hat? Weil sie auf eine bestürzend beglückende Weise ein altes Stimmideal verkörperte, so eine Mischung aus Renata Tebaldi und Zinka Milanov? Weil sie im Spintofach so gut wie keine gewichtige Konkurrenz bis heute hat? Weil sie diese etwas nasale, in der Höhe absolut leuchtende und in ihrer guten Zeit fast unendliche, aber bestens gedeckte Höhe hatte? Diese kraftvolle Mitte, die ihre Opernrollen wie Verdis Griselda ebenso wie seine Aida oder Ballo–Amelia, die Adriana Lecouvreur oder natürlich Gioconda zu packenden, lebendigen Figuren machte (was fetzt sie sich da mit Dolora Zajic bei der Richard-Tucker-Gala!)? Aber ganz abgesehen von der bombigen Technik ist es ihr unverkennbares italienisches Timbre, dass sie in der Nachfolge der genannten Damen so einmalig macht/e.
Gehört hatte ich sie erstmals im Auto (wenn das kein romantischer Beginn einer Liebesbeziehung ist!), auf der Fahrt zu Italiens Festivals, als eine Übertragung aus Bregenz mit Ernani (Ciannella, Bruson, Steinberg) gesendet wurde und ich meinem Fahrer buchstäblich in den Arm fiel: Das muss ich hören! Wir lauschten (kein anderes Wort ist passender) der Sopranistin, unglaublich! Erfüllt, ur-italienisch, hochindividuell, topsicher. Den Namen konnte ich mir nicht merken. Aber die Stimme bleib mir im Kopf, bis ich die erste (und einzige) Solo-LP von Aprile Millo im Electrola-Laden (dem Mekka der Opern-Fans) auf dem Berliner Ku-Damm sah und anhörte: Sie war´s. Verdi-Arien (zum Teil ohne Cabaletten), nicht ganz in der selben Wirkung für mich. Wie ich dann live feststellte.
Denn Aprile Millo ist ein „Bühnentier“, dessen Magnetismus erst „in action“ auf den Zuschauer/hörer überspringt. Und so sind es die vielen Live-Auftritte, namentlich an der Met unter James Levines schützender Hand und in der Nachfolge der Scotto, bei denen man den berühmten Schauer über den Rücken laufen spürt. Natürlich ist sie auch im nicht-amerikanischen Ausland aufgetreten, so in Paris, Rom, Santiago, Bregenz, Catania und anderswo (s. Wikipedia), aber es sind die Mitschnitte aus der Met, Philadelphia, San Francisco und natürlich auch die Auftritte bei Eve Queler und dem Opera Orchestra von Ney York (vorher Manhattan School of Music mit der Rossinischen Mathilde), die die Millo in ihrer ganzen Wirkung spüren lassen, italienische Oper at ist best, unerreicht. Für mich ist sie Amerikas letzte Spinto-Queen, da mögen Fans der verdienstvollen Frau Radvanovsky murren wie sie wollen.
Aprile Millo (geb. April 14, 1958) hat nicht viel an offiziellen Aufnahmen erhalten. Den Ballo in Maschera mit Pavarotti gibt’s als DVD bei DG, die Verdi-LP/CD wurde erwähnt, die Luisa Miller gibt’s bei Sony, ebenso einen Don Carlo neben Michael Sylvester von der Met, von diesen Haus auch eine Aida optisch bei und akustisch bei Sony/DG. Ich habe sicher weiteres vergessen.
Aber live ist die Millo wie viele (denken wir an die Gencer) bei Sammlern gut vertreten, bei mir auch. Wenn ich meine Festplatte in der Suchfunktion „Millo“ öffne springen mir mehr als 50 Einträge entgegen: besagter Ernani, diverse Luisa Miller 1990 in Rom, an der Met und anderswo, die Forza 1994 in Turin, Mascagnis Zaza bei Silipigni in Newark 1995, Trovatores en masse an der Met 1989 und anderswo, Otellos 2002 in Baltimore etc, viele Don Carlos ´von der Met 1986 bis Bologna dto. Mefistofele an der Met 1999 und ebendort auch Andrea Chenier 1996, natürlich eine Menge Aidas in Caracalla 1992, Tokio 1993 sowie an der Met um 2005 herum. Auch die Liu neben Eva Marton und Linda Kelm ab1990 sowie die Tosca 2006. Und La Gioconda 2006 eben hier. Ich habe sicher einige Auftritte vergessen.
Es gibt zudem hörbar lautstark bejubelte Live-Konzerte von ihr, bei vielen grauen Firmen jener Jahre, die in Teilen auch bei youtube sich wiederfinden. Die Millo in wechselnden Haarstilen und Roben, nicht immer so unendlich günstig, manchmal grenzwertig geschmackvoll, immer dicht bei ihrem Publikum, das sie kritiklos und rasend vergöttert. Amerika ist eben so. Die gemischten Programme dieser Abende (einschließlich „Danny Boy“) auch. Aber ihr „La mamma morta“ aus dem Chenier ist ein unerreichter Dauerbrenner an Wirkung, Kunst und Präsentation. Und jedesmal habe ich wieder den Schauer über dem Rücken.
Den spannenden Anteil an der späteren Karriere hatte Eve Queler mit ihren Carnegie Hall Konzerten, nach frühen Zusammenarbeiten, wo die Millo bereits 1984 neben Chris Merritt Rossinis Mathilde gab, später dann Verdis Battaglia di Legnano 1987, die Imogene Bellinis 1989, schließlich so tolle Partien wie Puccinis Minnie, die Wally 1990, Puccinis Villi 2006, und natürlich atemberaubend die Gioconda 2006 sang, die ich anlässlich meines New Yorker Besuches bei meiner Freundin Eve live erlebte – Gelegenheit zu einem Gespräch mit der faszinierenden Erz-New Yorkerin, aus dem ich nachstehend einige Passagen wiedergebe. Die Lebhaftigkeit, die künstlerische Ernsthaftigkeit und die überspringende Empathie dieser tollen Person finden sich leider nur in Ansätzen im Geschriebenen wieder. Wie sie da in den Probenraum hereinschwebte, Hair-do und Fummel inklusive: Das war ein New Yorker Auftritt!
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Nun also La Millo original anlässlich ihrer Gioconda im Konzert mit Eve Queler in der New Yorker Carnegie Hall: Sie haben eine – im besten Sinne – „unmodische“, altmodische Stimme, die den Hörer an die Goldenen Zeiten erinnert, an eine Milanov, die Ponselle und andere Vorkriegsstimmen. Ist das ein Ergebnis Ihrer Ausbildung? Oder ist dieser dunkle Klang etwas ganz Ureigenes von Ihnen selbst? Ich bin selber in einem „Goldenen Zeitalter“ bei uns zu Hause aufgewachsen. Meine Mutter klang wie die Muzio, la Divina Claudia, und war eine fesselnde Schauspielerin. Mein Vater besaß eine der wunderbarsten Tenor-Stimmen in einer Mischung aus Pertile und Gigli. Sie beide waren meine Lehrer, bis ich nach New York zog, wo ich mit Rita Patane arbeitete, einer Schülerin von Maria Carbone. Meine eigene bewusste Wahl war es immer, meine Stimme eben das sein zu lassen, was sie Hause war und keine Farben darüber zu stülpen, die sie nicht hat. Als Kind hörte ich nur die Aufnahmen der Muzio, Ponselle, Milanov, Olivero, Callas und meiner geliebten Tebaldi. Ich finde es hingegen schockierend, daß sich nur wenige heutige Sänger den Luxus gestatten, diesen großen Sängern der Vergangenheit zuzuhören und sich von ihnen beeinflussen zu lassen – nur dies ist ein Weg, die wirkliche (!) Tradition am Leben zu erhalten, nicht dieses Nur-Notensingen, das wir heute hören.
Ein paar Worte zum Repertoire – Sie singen ja fast ausschließlich das italienische Fach. Ist Ihre Stimme dafür besonders geeignet? Ich halte nichts davon, dass heute jeder alles singt. Meine Stimme ist von Grund auf ein italienisches Instrument in Hinsicht auf Farbe und Temperament. Ich liebe auch das deutsche Fach und wurde von Karajan (den ich angebetet habe) wegen der Elsa und Donna Anna/Donna Elvira gefragt. Er sagte, meine Stimme wäre dafür ideal, und der Lohengrin sei die italienischste Oper Wagners – genau dies wollte er in seiner Elsa hören. Wer war ich, dass ich mit ihm darüber argumentierte. Aus manchen Gründen kam es leider nicht dazu. Ich liebe auch das französische Fach und den französischen Gesang und habe selber die Elisabeth im Don Carlos im Original gesungen – die Rolle ist ganz wunderbar in Hinsicht auf Klang und Diktion. Aber ich bin doch stolz auf meinen Weg im italienischen Repertoire, der mich ganz sicher zur Norma führen wird (wozu es dann leider nicht kam/ G. H.).
Und Ihre Meinung zu den Begriffen „Belcanto“ und „Verismo“ – Gebiete, in denen Sie ja viel gesungen und Erfahrungen gesammelt haben. Singt sich das unterschiedlich? Worauf muss man als Sängerin achten? Mein Gott, was für eine Frage! Belcanto ist genau das, was das Wort besagt: schöner Gesang. Aber natürlich auch viel mehr, und unter heutigen Standards der allgemeinen Unkenntnis will ich zumindest das festschreiben. Der Verismo ist auf den Belcanto drauf- gesetzt und bleibt das auch – die beiden vermischen sich nie. Verdi machte aus Bellinis Genius einen – sagen wir – charismatischen Belcanto und verbreiterte die Cantilena in bewundernswerter und ungeahnter Weise. Puccini muss gesungen und nie gebrüllt werden und ist zudem nie vulgär, wenngleich einige dunklere und vielleicht hässlichere Töne um der musikalischen Wahrheit willen erlaubt sind. Verismo erzählt eine organische Geschichte in ebensolchen Rhythmen und einer angemessenen, natürlichen Sprache. Verdi nahm dies bereits mit dem Rigoletto in Angriff und dann natürlich mit seinen Alterswerken. Aida, Otello oder Falstaff sind zweifellos grandiose Werke.
Die stimmliche Gefahr für den Sänger besteht in der Vulgarisierung seiner Kunst bei der Ausführung durch den Gesang. Emotionen sollten durch das Gefühl eher ausgedrückt werden als durch den Klang, und billige stimmliche Tricks und ein sich vordergründig In-Szene- setzen sollten vermieden werden. Sie dienen nicht der Musik, sondern nur dem Sänger und verschleiern die eigentliche, musikalisch ausgedrückte Wahrheit.
Gefühle sind so eine Sache, und als Sänger ist man nicht frei davon, von den Emotionen beherrscht zu werden. Da muss man sehr aufpassen. Ich war von dem Text der Margherita im Mefistofele so überwältigt, dass ich lange brauchte, um sie gut singen zu können. Und gerade jetzt – die Worte der Gioconda: was für ein Elend, welcher Kummer, was für seelische und physische Qualen. Und was für eine Oper!
In technischer Hinsicht ziehe ich flexible, spontane Tempi vor – nicht rigide, sondern organisch aus dem Text und den Intentionen des Komponisten heraus. Sehr wenige Dirigenten können das heutzutage. Das verlangt wirkliches Verständnis und wenig Ego seitens des Maestro, denn er (oder, wie im Falle von Eve Queler, sie) ist ja dafür da, die Stimme zu begleiten. Eve macht das ganz außergewöhnlich, und deshalb fühlen sich ihre Sänger auch von ihr so beschützt.
Wenn Sie mich nach großen Musikern fragen, die mein Leben beeinflusst haben, fällt mir Elisabeth Schwarzkopf ein, deren Unterstützung und Zuneigung mein Leben geprägt haben. Sie brachte mich nach Salzburg und arrangierte mein Vorsingen bei Herbert von Karajan. Und mit ihm zu arbeiten war einfach unglaublich. Ich werde nie vergessen, wie er mich gelobt und weitergebracht hat. Er wollte eine Elsa und eine Arienplatte mit mir aufnehmen. Seine Augen strahlten eine unglaubliche Kraft aus. Ich fühlte mich bei ihm unendlich wohl, wirklich „zu Hause“. Er schätzte es, dass ich keine Angst vor ihm hatte, und sagte mir das auch. Ich erwiderte, dass ich nur nervös sei, wenn ich vor Leuten singen müsste, die nichts davon verstünden. Mit so bedeutenden Künstlern wie ihm ist für mich alles sehr unkompliziert.
Eine etwas delikate Frage (und ich möchte kein Salz in irgendwelche Wunden reiben): Warum, glauben Sie, haben Sie keine wirklich ganz große Karriere gemacht, die Sie doch eigentlich verdient hätten? Und warum eigentlich nur eine in den USA? Und warum haben wir hier in der Alten Welt so wenig von Ihnen gesehen? Ich will Sie nicht verletzen, aber ich finde, Sie hätten eine Riesenkarriere machen müssen angesichts vieler heutiger Sänger auf heutigen Bühnen… Ich blieb in Amerika wie Rosa Ponselle, weil ich ganz „altmodisch“ an die Werte der Produktionen und an den Respekt gegenüber den Komponisten in diesem Land glaube. Ich habe hingegen oft Produktionen abgelehnt, in denen Aida ihr Motorrad am Nil parkt und ähnlicher Unsinn mehr. Das ist nichts für mich, und das ist einer der Gründe, warum ich hiergeblieben bin und das europäische Regietheater vermieden habe. Und ich habe ja doch auch einige wirklich gute Aufnahmen gemacht, immer mit guten Kollegen. Mit James Levine fand ich das richtige Ambiente für unseren Verdi-Zyklus.
Ich liebe jedoch das deutsche Publikum – man behandelt bei Ihnen die Oper, wie man sie wertschätzen sollte, mit totaler Hingabe und großer Aufmerksamkeit (und in den Aufführungen ist es so still wie in der Kirche). Ich schätze Christian Thielemann sehr und höre, dass er diese „altmodischen“ Traditionen liebt, eine „altmodische Seele“ hat. Ich würde gerne mit ihm eine Oper machen. In jedem Fall stelle ich weiterhin meine Kunst in den Dienst Gottes und der Musik. Und das Publikum versteht und anerkennt dies. Allein schon die Ankündigung, dass wir die Gioconda machen würden, versetzte die New Yorker Musikliebhaber in Raserei – die Carnegie Hall war im Nu ausverkauft, die Leute standen in langen Schlangen nach Restkarten an. Ich war überwältigt. Das ist alles, was ich zum Leben brauche, nicht dieses ganze Getue um die richtigen Agenturen, Hype und Ego, was nichts mit Musik und dem Dienst am Komponisten zu tun hat. (Dank an Wolfgang Denker für die Archivarbeiten)