Anita Cerquetti – was für eine wunderbare Sängerin und Frau. Ganz unverstellt: Es gibt zwei Sängerinnen, deren Kunst und Stimme ich verfallen bin – Anita Cerquetti und Sena Jurinac. (Pace: auch Maria Callas, aber eher vom Intellekt als von der rein emotionalen Anrührung her, davon später) Das sagt vielleicht mehr über mein Alter und meine musikalische Lernstrecke als über Objektivität und mein journalistisches Credo, aber wenn ich zu einer „Geliebten Stimme“ befragt würde, wären es diese beiden, die ich spontan nennen könnte. Namentlich die Cerquetti-Norma ist von solcher Kraft und majestätischen Würde, dass ich diese sogar über die in ihrem unvergleichlichen, interpretativen Willen natürlich einzigartigen Callas-Dokumente stellen würde. Die strömende Würde, die hohe Menschlichkeit, die Unangefochtenheit der vokalen Mittel – all das paart sich mit der blühenden Schönheit des Tons, der Großzügigkeit der Kommunikation. Dem unmittelbaren Eindringen in meine Seele.
Für mich ist sie die ideale Norma (wie man auf den Dokumenten aus Rom vor allem neben einem strahlenden Corelli und auf technisch schwierigeren aus Neapel nachhören kann). Die Fülle des Tons, dieses Gestalten nur aus der Musik heraus, die Würde der bedeutsamen, aber sich nicht selbstständig machenden Deklamation, dieses instinktive Wissen um Betonung und vor allem das Rezitativ – das findet man fast nur bei ihr. Eine Spinto-Stimme des großen Zuschnitts ohne die veristischen Momente einer Caniglia. Und ihre Gioconda: ebenfalls von tiefer Würde, von Kommunikation aus der Vorgabe der Musik heraus. Keine wie sie (vielleicht noch die Jurinac im anderen Fach) hat das so vorgelebt. Ihre Dokumente sind einigermaßen zahlreich, zum Teil (wie die Abengeraci vom Theater selbst aus Florenz soger erstaunlich, Don Carlo und Forza, Mosé und Oberon sehr anständig bei den verschiedenen Firmen. Aber die Krönung bleibt die Norma – ein glorioses Dokument einer großen Künstlerin und der gesungenen Menschlichkeit.
Ich hatte das ganz große Glück, sie noch vor ihrem Tod zu erleben – sie empfing mich in ihrer kleinen, engen Wohnung im römischen Olympiaviertel EUR, wo neben der Wäsche die Nachbarn aus dem Fenster hingen und lautstark unseren Besuch kommententierten („Anita, sono i giornalisti…!“, „Ma guarda, Tedeschi!“), und wo sie raumverdrängend präsidierte, die starke Physis mit einem unvergleichlichen, majestätischen Gesicht krönend, schüchtern zu Beginn, dann mit tiefer Stimme aus dem dto. tiefen Nähkästchen ihrer Erinnerungen Anekdoten und auch ein bisschen Tratsch holend („Tutto era tanti anni fa… quelle memorie“).
Ich werde diese Begegnung bei Wein und Gebäck nicht vergessen. kann mich an ihren Mann nur dunkel erinnern, aber er muss noch gelebt haben und war sicher dabei. Ich hatte mein Aufnahmegerät nicht dabei, wollte das Gespräch nicht so „kommerzialisieren“. Und das kam auch nur durch Zufall durch meine Freundin Mietta Sighele zustande, die ja in Rom wohnte und deren Mann in der römischen Oper gerade Rossini sang. Beide waren mit der Cerquetti befreundet und wussten von meiner tiefen Bewunderung zu ihr. Eine Überraschung also, eine unvergessliche und mir kostbare.
Und da wir bei operalounge.de beschlossen haben, in dieser Serie „Meine geliebte Stimme“ unserer ungezügelten Adoration freien Lauf zu lassen, gibt es nun ein auch historisches Interview mit dieser in jeder Hinsicht großen Frau von 1995, das unsere Kollegin Gina Guandalini in Rom mit der Cerquetti gemacht und uns liebenswürdiger Weise überlassen hat. Die Cerquetti wurde am 13. April 1931 in Montecosaro/Macerata geboren und lebte in Rom, nach ihrer Karriere zurückgezogen, aber unvergessen. Sie starb am 11. Oktober 2014 im Alter von 83 Jahren in Perugia. Diese Hommage an sie ist ein Zeichen unserer Dankbarkeit an sie als Künstlerin, als Monument wunderbaren Gesangs und als hinreißende Frau voller Humor und Güte. G. H.
Nun also Anita Cerquetti und O-Ton: Heute unterrichte ich, reise herum, halte Bühnen- und Meisterklassen ab, bekomme Preise und Anerkennungen überreicht. Ich nehme an Jurys von Gesangswettbewerben teil, aber jetzt nur noch auf nationaler Basis. 1987 war ich in der Jury des Rosa-Ponselle-Wettbewerbs in New York, und sie luden mich für das kommende Jahr wieder ein, aber ich fand das einfach zu weit zum Reisen. Im letzten Jahr machte ich einen Film mit Werner Schröter mit dem französischen Titel Poussieres d’amour („Staub der Liebe“, auf DVD erhältlich). Werner beteuerte mir immer, dass es in seinem Leben nur zwei Lieben gibt, die Callas und Anita! Ich habe unseren Film noch nicht gesehen, ein Kritiker schrieb, dass der eigentliche Titel „Anita Cerquetti “ lauten sollte. Abgesehen davon: Ich bin kein unruhiger Geist und bleibe lieber zu Hause bei meinem Mann und meiner Tochter.
Stimmen: Wenn Sie mich nach den heutigen Stimmen fragen – ob sie nun vorhanden sind oder nicht -, dann finde ich das ein sehr komplexes Thema. Ich denke, dass die Stimmen zu verschiedenen Zeiten verschieden üppig ausfallen. Es gibt Epochen mit besonders vielen Dichtern und Musikern, und es gibt unfruchtbare, tote, wo sich nur geringe künstlerische Schaffenskraft findet, und das bisschen, das es dann gibt, ist substanzlos und nur unzureichend zu einer künstlerischen Vollendung geführt. Die Lehrer sind dann schlecht, die Schüler oft auch.
Ich betone immer, dass man am Anfang Demut braucht, und viel davon. Heutzutage existiert „Demut“ gar nicht. Diese Kinder gewinnen Wettbewerbe und glauben, dass sie es dann „geschafft“ haben, während sie doch in Wirklichkeit nicht einmal mit der harten Arbeit angefangen haben. Sie sollten bescheiden genug sein, auf den Rat anderer zu hören, andere Künstler zu erleben und diese nicht zu imitieren. Jemanden nachzumachen stellt sich als der schlimmste Fehler überhaupt heraus, wissen Sie. Und sobald ich merke, dass meine Schüler nicht auf Ratschläge hören, lasse ich sie fallen .
Im Wesentlichen unterrichte ich Bässe, Baritone. Eben nicht nur die Mädchen. Sie sind alle ziemlich viel älter, als wir damals zu Beginn waren. Heute verbringen sie fünf Jahre am Konservatorium – reine Zeitverschwendung, meiner Meinung nach. Und wenn sie das hinter sich haben, geht alles noch mal von vorne los. Sie müssen einen Korrepetitor finden, um die Partituren zu lernen usw. Viele Soprane kommen zu mir und imitieren die Callas. Aber warum nur? Sie hatte einen so besonderen, faszinierenden Ton, sie war zudem in der Lage, ihre Unzulänglichkeiten in ganz besondere Qualitäten zu verwandeln. Aber die, die sie imitieren, können ja nur die Aspekte der negativen Jahre am Konservatorium betonen und machen sich so einfach lächerlich. Nein, die Callas war einzigartig.
Erinnerungen: Aber ich war so unerfahren und grün damals! Ich hatte ja nie zuvor eine Oper gesehen! Die Aida in Spoleto war die erste überhaupt für mich. Danach machte ich bei anderen Wettbewerben mit, bei der RAI in Mailand im Trovatore, und bekam als Preis ein Konzert im Radio. Dann begann ich mit Tourneen in Italien, und diese Erfahrungen waren absolut unerlässlich. Die alten Maestri, die Dirigenten, waren für uns von unschätzbarem Wert, denn sie gaben einem alles; sie sangen ganze Rollen vor, um ihre verschiedenen Gestaltungs-Vorschläge zu demonstrieren. Ich erinnere mich mit besonderer Wärme an Tullio Serafin, der für mich sogar seine Anweisungen niederschrieb. Ich versuchte eben, so viel wie möglich von allen zu absorbieren, zu lernen, Ratschläge anzunehmen. Heute sind die Dirigenten nur noch am Orchester interessiert – die Sänger kommen erst ganz zum Schluss.
Manche Begegnungen waren schöne als andere, aber an wirkliche Schrecken kann ich mich nicht erinnern. Mitropoulos, was für ein Musiker! Wie sein Orchester mich im Ernani begleitete – ich erinnere mich an seinen Zeigefinger, der das Tempo angab, er dirigierte ohne Stock. „Wofür brauche ich den?, sagte er, „Ich habe zehn Taktstöcke!“ Ich war aber auch eine disziplinierte Sängerin, und man arbeitete gut mit mir. Meine Einstellung war stets die, dass man alles einstecken musste, auch Kritik.
In Chicago erinnert man sich besonders liebevoll an mich, ich hatte dort ein wunderbares Debüt und fühlte mich wie zu Hause. Damals war Carol Fox Direktorin dort, Tito Gobbi und Boris Christoff auch. Ich sang Ballo und Don Carlo mit Bergonzi und Björling! Publikum und Presse waren enthusiastisch, man verglich uns mit der Ponselle und Caruso. Die Ponselle hörte mich im Radio und hinterließ mir nach ihrem Tod eine herrliche Brosche mit den Initialen R. P. und der Anweisung, dass ich in der Jury des von ihr gegründeten Wettbewerbs sitzen sollte. Während meines ersten Aufenthaltes mochte ich das Essen dort nicht, also nahmen mein Mann und ich im folgenden Jahr alle diese wunderbaren italienischen Sachen mit: Spaghetti, Parmesan, Olivenöl, na, Sie wissen schon. Nicola Rossi Lemeni, der ein enger Freund von uns und ein sehr kultivierter, intellektueller Mann war, amüsierte sich erst darüber, aber dann roch er meinen selbstgemachten sugo und lud sich selbst zum Essen bei uns ein …
Rollen: Ich liebte immer Verdi – tutto! Alles und jedes von Verdi. Ich begann mit Aida, und Verdi ist mein Favorit geblieben. Und dann diese starken, komplexen Rollen – Norma! Ich liebe auch die Gioconda (aber ich hätte sie noch mehr geliebt, hätte Verdi sie geschrieben). Leider habe ich nichts von Donizetti gesungen, das bedaure ich. Mario Missiroli, der damalige Direttore Artistico der Arena di Verona, schickte mir einen Blankovertrag für die Turandot – ich hätte die Gage, den Dirigenten und alles andere bestimmen können. Aber ich liebte diese kalte, undankbare Rolle nicht und sprach darüber mit Bergonzi, der meinte: „Ich glaube nicht, dass Du eine Turandot bist, und ich glaube auch nicht, dass sie viel zu Deiner Karriere beitragen würde.“ Karajan wollte mich als seine lsolde (!!!), und ich hätte sie gerne in Italienisch gesungen. Denn ich muss einfach jedes einzige Wort, das ich singe, verstehen, nicht nur die allgemeine Bedeutung der Wörter im Libretto – wie hätte ich das je auf Deutsch lernen können. Ich spreche kein Deutsch und für uns Italiener ist es ja fast unmöglich, das akzentfrei zu singen. Also wurde nichts daraus. Serafin wollte mich auch als Violetta, er bestand absolut darauf. Und es war mir sehr unangenehm, ihm absagen zu müssen. Ich sagte, ich sei physisch zu gewaltig und szenisch ungeeignet. Serafin konterte: Er würde nur voluminöse Sänger neben mir engagieren. Und ich sagte, ich würde darüber nachdenken. Aber es wurde nichts daraus, und das tut mir heute leid.
Zumindest hätte ich die Traviata für die Schallplatte aufnehmen sollen. Aber die Carmen und Violetta lehnte ich zumindest nicht aus stimmlichen Gründen ab. Dokumente: Meine Beziehung zu den Aufnahmestudios ist schnell erzählt (Decca nahm mit mir ein Arien-Programm/nun bei Preiser und die Gioconda auf). Zu meiner Zeit musste man erst einmal berühmt sein, um Schallplatten-Angebote zu bekommen. Heute ist es anders herum. Und ich selber ziehe Live-Aufnahmen vor – sie sind echter, authentischer. Außerhalb Italiens gibt es einen großen Markt für meine eigenen Live Mitschnitte: Ernani, Mosè, Forza, Tell, Don Carlo, Norma, Vespri, Ballo, verschiedene Konzerte – ich glaube, meine Stimme ist ganz gut repräsentiert. Und da gibt es auch noch den Oberon für die RAi mit ganz gutem Klang. (Ein Blick zu jpc und zu Amazon zeigt, was noch auf dem Markt ist, seitdem die Live-Firmen verschwunden sind. Redaktion Geerd Heinsen)