Niemand kann sagen, ich bewunderte die Arbeit des Palazetto Bru Zane nicht, und es gibt kaum drei Monate, in denen wir nicht bei operalounge.de über deren Konzerte, Aufführungen und Neuaufnahmen im hochverdienstvollen Programm der romantischen französischen Oper berichten, fast schon obsessiv in den Augen mancher. Und natürlich sind diese Leckerls wie Uthal oder Herculanum, Les Bayadères, Les Danaides, Les Barbares oder vor allem auch Dimitri unverzichtbar! Lobeshymnen sind bei uns nachzulesen. Chapeau und un très grand merci!
Und natürlich ist man als Sammler und Opernliebhaber dankbar, sehr dankbar, für die vielen ebenso seltenen wie unbekannten Titel, die da aufgenommen werden, nicht nur beim Palazetto. Und ebenso natürlich weiß man, dass den meisten Firmen das Geld fehlt, eine sorgsam vorbereitete Studioproduktion wie zu Walter Legges Zeiten zu machen, die dann auch noch – anders als in manchen Fällen bei Opera Rara – ebenso idiomatisch besetzt ist. Insofern bleibt vielen Compagnien (und dem Musikliebhaber) nichts anderes übrig, als sich mit Live-Mitschnitten zufrieden zu geben, die eben (wenngleich oft spannender als Studioaufnahmen) nur eine Moment-Aufnahme des Geschehenen sind und die trotz manchmal möglicher Nachaufnahmen eben den Stand der Dinge widerspiegeln. Gelegentlich – und leider immer öfter – läuft es aber auch auf eine Art musikalisches Fast-Food hinaus. Wie in manchen Aufnahmen aus Italien oder Belgien, wo offenbar Nachaufnahmen nicht mehr möglich waren und man sich kostengünstig an die Rundfunkbänder dranhängt (oder DVD-Firmen an wirklich zu viele TV-Übertragungen sehr oft der lässlichen Art – kaum eine Woche vergeht, wo nicht die x-te Aida etc. als DVD-Mitschnitt herauskommt).
Das ist nun bei den Palazetto-Aufnahmen, denen nun zu Beginn meine Kritik gilt, nur bedingt der Fall. Aber immer häufiger mehren sich hier doch jetzt die Eindrücke von schlecht geplanten oder schlampig besetzten oder vor allem editorisch zweifelhaften Projekten, die den gutgewillten Sammler und Bewunderer verstimmen. Die gerade in Amsterdam abgelaufene Olympie Spontinis, aus Versailles kommend und von dem gewiss sehr hübschen und wie ein Halbgott in Paris gehandelten Jeremy Rhorer dirigiert, ist so ein Fall. Das klingt durchgedroschen, um das Ballett und manche Musik beraubt, uninspiriert auf einem leidenschaftslos-historischen Klangkörper abgestrickt. Und man ärgert sich über diese vertane Chance. Da greift man doch lieber zur alten Radioaufnahme mit der kompetenten Hayashi und einem leuchtenden Hollweg unter dem wissenden Gavazzeni, dem Rhorer zu keiner Minute das Wasser reichen kann. Ihm fehlen Pathos und Würde im viel zu brutalen Duktus. Da will sich jemand wichtig machen.
Und warum ist eigentlich das Herculanum Davids nun kürzlich aus Wexford um 33 Minuten länger als die Münchner/Versailler Einspielung bei Ediciones Singolares? Woher haben die dieses mehr an Musik? Das fragt man sich ebenso, wie man seine Verärgerung nicht verbergen kann, wenn man hört, dass die für 2017 geplante Reine de Chypre Halévys nur bearbeitet, gekürzt und orchestral reduziert gegeben (und aufgenommen) werden soll. Volker Tosta hat doch eine Edition in ganzer Länge erstellt, warum also Kürzungen und orchestrale Bearbeitungen? Das gilt – apropos Orchester – auch für die Mini-Fassung der Phèdre von Lemoyne, die demnächst auf uns zukommt. In einer von Studenten erstellten „entschlackten“ Orchesterfassung für kleine Besetzung! Das Letzte, was die große französische Oper braucht, ist eine Minifassung! In Paris gings um Rausch, Hüftenschwenken und ganz große Pappe, vor allem im Orchester. Nicht um Sparprogramme.
Überhaupt die Auswahl von M. Alexandre Dratwicki, musikalischer Chef der Palazetto Bru Zane Stiftung! Muss gespart werden? Dann doch weniger Gounod (dessen Idiom ist bekannt, wie man im Cinq-Mars hörte). Und keinen wirklich strunzlangweiligen Saint-Saens (auch wenn dessen Proserpine sicher sein Wagner-Coming-Out darstellt und musiklogisch hoch interessant ist. Fade war das Konzert aus München und Wien dennoch). Nach eben der Proserpine kommt nun auch noch Le Timbre d’argent. Vorher dieser wirklich behäbige Lalo, der nicht mal 100 Prozent Lalo war (La Jacquerie), aber dafür auch nicht vor Rausch sprühte. Nun, wo wir doch – dank auch und vor allem wegen des Palazetto – viel mehr über dies bislang obskure Umfeld wissen, sind wir mit dem sich häufenden Zweitklassigen nicht mehr zufrieden. Salieris Rom-Oper Les Horaces ist so ein Fall (Wien und Versailles 2016): Waren die Danaides wirklich eine Sensation, so schien Dirigent Rousset diesmal nicht gut vorbereitet und zogen sich die ellenlangen Rezitative doch quälend durch die auch stimmlich (Sopran!) nicht wirklich erstklassig besetzte Oper. Das kommt auch auf die CD. Im Ganzen möchte man dem Palazetto zurufen: weniger und dafür mehr Qualität und mehr wirklich Unbekanntes, nicht so viel Lässliches
Aber die Jeremiade über anfechtbare Neuaufnahmen, die den Markt für weitere Einspielungen desselben Titel verstopfen, sind ja noch nicht zu Ende. Nicolais Heimkehr der Verbannten bei cpo wird es ganz sicher nicht noch einmal auf CD geben (schon das Konzert des Salzburger Templario war ein Wunder und kommt ebenfalls auf CD heraus) – nur weil der Chemnitzer Dirigent aus wenig nachvollziehbaren Gründen eine verhunzte Wiener Fassung (wohl wegen der Leonoren-Arie, dafür mit abenteuerlich bearbeitetem Libretto) und nicht die künstlerisch überragendere Berliner wählte, stehen wir nun mit einer mäßig gesungenen, unbefriedigenden Aufnahme eines vielversprechenden Werkes da. Zumal die Berliner Fassung ja als Edition vorlag. Warum also nicht die? cpo-Editionen bzw. Aufnahmen haben es ja oft in sich, und manche Operetteneinspielungen lassen die Augenbrauen im Haaransatz verschwinden (Ausnahmen wie Giuditta bestätigen da oft die Regel) ob der provinziellen Qualität der Ausführenden bzw. Editionen. Der neue Studentenprinz von Romberg fand bei uns niemanden, der ihn rezensieren wollte…. Aber natürlich gilt das Wort „hochverdienstvoll“ für cpo und seine vielen unbekannten Titel!!!
Und auch die italienische Firma Dynamic kommt nicht ohne Schelte davon. Die neue Fedra von Paisiello ist wirklich eine kaum erträgliche Aufnahme (aus Catania). Schlecht gesungen und orchestral suspekt reiht sich dieser Mitschnitt in eine längere Reihe von gewöhnungsbdürftigen Dokumenten ein, ob nun Mayrs Medea in Corinto oder anderes, das eben – wie zu Bongiovannis Zeiten – einfach so von der Bühne übernommen wird. Es sind musikalische Fast-Food-Produkte, Momentaufnahmen aus einem Opernhaus mit meist zu wenig Geld für Sorgfalt der Besetzungen. Aber sie blockieren den Markt, denn eine Fedra wird es eben auch so schnell nicht wieder geben, da greift man doch auf die alte Tucci-Einspielung zurück, wenngleich auch die barbarisch gekürzt und schwerblütig ist.
Immer öfter geht deshalb der Opernfan in jüngerer Zeit auf die Knie und dankt den Rundfunkanstalten für ihre Arbeit älteren Datums. Denn was die Rai und der französische Rundfunk nebst BBC und einigen deutschen Anstalten damals produzierten, hat oft mehr Bestand als vieles von dem Heutigen (man denke an die Abencerages oder den immer noch unschlagbaren Prophete sowie die vielen prachtvollen Opernaufnahmen im französischen Repertoire des ORTF). Auch Orfeo sei Dank für Wiederbelebungen – und natürlich den Piraten!!! Ich wünschte mir für die heutigen Produktionen des Besonderen größere editorische Sorgfalt und weniger Eingriffe durch Dirigenten, Regisseure oder Produzenten.
Und vor allem: mehr Transparenz! Wenn denn schon bearbeitet oder gekürzt oder verändert wird möchte man das als Käufer/Musikliebhaber auch wissen. In kaum einer Live-Ausgabe wird darauf hingewiesen. Und das wärer sowohl die Aufgabe des Programmhefts der Quelle oder des beiliegenden Ausatzes im jeweiligen Booklet. So bleibt der Käufer mit den oft fragwürdigen Ergebnissen einer Bühnen-/ Konzertaufführung oder Produzenten-Entscheidung perplex und auch unwissend. Wer unter den normalen Käufern ist schon ein Musikwissenschaftler, dass er beurteilen kann, was fehlt oder verändert wurde? Und was vorenthalten wurde? Wie im Falle des Davidschen Herculanum bei Ediciones, wo die Mezzosopranistin wohl wegen ihrer Krankheit nur eine Arie statt zweier beisteuerte – wie man nun nach Hören der umfangreicheren Übertragung aus Wexford weiß. Bei unbekannten Stücken ist das kaum nachzuverfolgen. Nur unbekannt ist einfach nicht genug. Womit wir wieder bei Alexandre Dratwicki angekommen sind (Foto oben: Winter). Geerd Heinsen