Velluti-Ehrung

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Schon mit seiner CD Arias for Caffarelli erinnerte der Altus  Franco Fagioli 2013 an einen berühmten Kastraten und bei den Salzburger Pfingstfestspielen gab er 2014 einen Arienabend, der dem letzten berühmten Kastraten, Giovanni Battista Velluti, gewidmet war (wobei natürlich heutige Falsettisten nur einen Ersatz für die zu ihrer Zeit hochgepriesenen Kastraten darstellen). Der 1780 geborene Sänger wurde schon mit acht Jahren kastriert und in Bologna ausgebildet. 1800 debütierte er in Florenz, sang danach in mehreren Uraufführungen, so in Werken von Nicolini, Guglielmi, Mayr, Mercadante. Morlacchi, Rossini (Aureliano in Palmira) und Meyerbeer (Il crociato in Egitto). 1825 triumphierte er In London, ging jedoch nach Italien zurück, wo er letztmalig 1853 in Meyerbeers Crociato auftrat und 1861 verstarb. Gerühmt wurden die außergewöhnlich schöne Stimme, auch wegen ihrer Kraft und Beweglichkeit, sowie seine eindrucksvolle Stimmbeherrschung.

Nun veröffentlicht Château de VERSAILLES eine Platte mit Franco Fagioli und eben seiner Konzeption, der Hommage an eine Legende, die 2024 in Versailles entstand (CVS162). In der Arien-Auswahl gibt es freilich Unterschiede zwischen dem Konzert und der CD. In Salzburg sang Fagioli Szenen aus Rossinis Aureliano in Palmira und Meyerbeers Il crociato in Egitto. Auf der Platte ist der Schwan von Pesaro vertreten mit seiner Kantate Il vero omaggio, aus der die Arie „Al conforto inaspettato“ erklingt und den bravourösen Schlusspunkt der Anthologie markiert. Sonst aber findet man in der Sammlung eher unbekanntere Komponisten, einzig Salvatore Mercadante ist noch ein geläufiger Name. Aus seiner Oper Andronico stellt Fagioli zwei Szenen des Titelhelden vor – die Cavatina „Era felice un dí/Sì bel contento in giubilo“ und die Gran Scena „O solinghe dimore/Soave immagine/Non tradirmi“. Erstere ist ein Stück von lyrischer Noblesse mit feinen Verzierungen, welche der Solist mit hoher Kultur umsetzt, die zweite von ähnlich hohem Anspruch und ähnlich souveräner Bewältigung durch den Interpreten.

Giovanni Battista Vellutti sang den Tebaldo in der Venezianischen Uraufführung von Morlacchis „Tebaldo ed Isolina“/ Wikipedia

Die Reihe der unbekannteren Tonsetzer beginnt gleich mit dem Auftakt des Programms, bei dem eine Komposition von Paolo Bonfichi (1769 – 1840) vorgestellt wird – die Scena und Cavatina des Lotario, „Dolenti e care immagini/Vedrai quest´anima“, aus Attila. Fagioli kann hier den beeindruckenden Umfang seiner Stimme und deren aufregende Sinnlichkeit demonstrieren. Danach folgt Giuseppe Nicolini (1762 – 1842) mit sogar drei  Werken. Aus Balduino erklingen Recitativo ed aria des Titelhelden, „Ma i figli miei/Vederla dolente“. Der virtuose Zuschnitt dieser Nummer lässt Fagioli brillieren und verstehen, dass er bereits mit Erfolg den Arsace in Rossinis Semiramide gesungen hat.  Aus Traiano in Dacia ist die Aria des Decebalo, „Ah se mi lasci o cara“ zu hören, auch diese in rossinischer Manier komponiert. Schließlich stellt der Sänger aus Carlo Magno die ausgedehnte Scena e rondo des Vitekindo, „Ecco o numi compiuto/Ah quando cesserà/Lo sdegno io non pavento“, vor. Mit dramatischem Rezitativ, empfindsamer Arie und gestrafftem Schlussteil ist sie ganz im Stil des Belcanto konzipiert und gibt dem Sänger Gelegenheit zur Ausstellung seiner gestalterischen Fähigkeiten. Das Trio der Unbekannten vollendet Francesco Morlacchi (1784 – 1841) mit seiner Oper Tebaldo e Isolina, aus der die Scena e romanza des Tebaldo, „Notte tremenda… Caro suono lusinghier“ ertönt. Fagioli wartet hier mit einer reichen Palette von stimmlichen Farben auf und setzt das Brustregister effektvoll ein.

Der Solist wird begleitet vom Orchestre de l´Opéra Royal unter Stefan Plewniak. Der polnische Dirigent leitet das Orchester seit der Saison 2019/20 und hat für das Label Château de VERSAILLES bereits mehrere bedeutende Alben aufgenommen. Seine Affinität nicht nur zum Barock, sondern auch zum Stil der Grand opéra um Rossini und Meyerbeer ist in jedem Takt spürbar (11.03.25). Bernd Hoppe