Zur Wiedereröffnung eine Weltpremiere

Mit gleich zwei World Premiere Recordings beginnt das Genueser Label Dynamic das neue Jahr: mit der DVD (und nachfolgender CD als Soundtrack derselben) von César Francks Stradella aus der nach langer Renovierungsphase 2012 hiermit wiedereröffneten Opéra Royal de Wallonie und der CD von Antonio Mazzonis  Antigono, wobei es sich um keinen Druckfehler handelt und von dem an anderer Stelle die Rede sein wird.  Der belgische Komponist ist vor allem durch seine geistliche Musik bekannt, sein „Panis angelicus“ ist in aller Tenormunde, dass er auch vier Opern, wenn auch teilweise unvollendet, komponiert hat, ist kaum bekannt. Umso verdienstvoller ist es, dass sich die Opéra Wallonie des interessanten Stoffs annahm, der das Leben und Lieben eines anderen Musikers vor allem geistlicher Kompositionen zum Inhalt hat, eines Komponisten, der sein Leben durch Meuchelmord verlor, was die Regie (Jaco Van Dormael) dazu berechtigte, die Oper abweichend vom Original tragisch enden zu lassen. Dazu bauchte man an der Musik nichts zu ändern, lässt die beiden Protagonisten in die Schlusshymne als selige Geister mit einstimmen. Von César Franck stammen nur die Gesangsstimmen, die Klavierbegleitung und vereinzelte Notizen zur Orchestrierung, wie das bei Dynamic immer sehr interessante Booklet berichtet. Es wird vermutet, dass der Komponist aus Zeitmangel und wegen häufiger Erkrankungen diese Arbeit nicht vollenden konnte. Vielleicht wirkte es auch entmutigend, dass es zum gleichen Stoff eine Oper von Louis Niedermayer gab, die 1837 uraufgeführt worden war. Die einfühlsame Orchestrierung stammt von Luc van Hove, und in dieser Form wurde das Werk zum ersten Mal am 12.9.2012 aufgeführt. Die Musik enthält täuschend echt klingend alle Merkmale Franckscher Kompositionen.

Marc Laho als Stradella/Foto Opéra Royal de Wallonie

Marc Laho als Stradella/Foto Opéra Royal de Wallonie

Das auch von Niedermayer vertonte Libretto stammt von Emile Deschamps und Emilien Pacini und schildert die Rivalität des Komponisten Stradella und des Duca di Pesaro um die Liebe der schönen Léonor. Der Gefolgsmann des Herzogs erteilt nach einer Entführung von Léonor und ihrer Flucht aus dem Herzogspalast zwei Auftragsmördern den Befehl, den Komponisten zu töten. Die nehmen von ihrem Vorhaben Abstand, als sie seine wunderbare Musik hören, und persönliches Glück des Paares und allgemeiner Jubel bilden den Original-Schluss der Oper. Stradella wurde in Genua ermordet, Francks Oper spielt hingegen in Venedig und Rom, in der Inszenierung durchgehend in Venedig, das hier wie ein unheimliches Brügge wirkt.

Der Handlungsort Venedig suggeriert natürlich Wasser, und davon gibt es auf der Bühne von Vincent Lemaire überreichlich, es scheint sogar Aqua Alta zu herrschen, denn auch der Palast des Duca steht unter Wasser, die Mörder nahen schwimmend, schwankende Stege, die auch ab und zu im Wasser versinken, vermitteln eine Atmosphäre ständiger Bedrohung, die wechselnden Farben des Himmels mit zu- und abnehmendem Mond, der auch einmal zu singen beginnt, schaffen eine faszinierende Traumwelt. Am Schluss treiben Léonor und Stradella in liebender Umarmung in einer riesigen Wasserblase, die wie auch andere Elemente der Inszenierung einschließlich des Orchesters und des Dirigenten durch Spiegel verdoppelt wird.

Die Inszenierung stellt ungeheuere Anforderungen an die Sänger, so wenn Isabelle Kabatu als Léonor in einem überbodenlangen Kleid mit unzähligen Volants singend durch die hoffentlich angenehm warmen Fluten waten muss. Allein dieses Gewicht zu bewegen kostet Kraft, dazu singt sie mit farbenreicher, gut tragender Sopranstimme eines interessanten Timbres. Ihr Partner ist Marc Laho, dessen Frisur ein Verbrechen gegen die Gesetze der Ästhetik ist, der aber mit einem angenehmen lyrischen Tenor, der nur in der Höhe manchmal etwas eng wird, zu erfreuen weiß. Die seine ist eine Bombenrolle mit wunderbaren Melodien. Warum der Duc mit einem Sack voller schwarzer Luftballons, am hinteren Kragenrand angeheftet, durch die Calli schreitet, weiß man nicht. Vielleicht sollen sie ihn bei einem Sturz in einen der Kanäle über Wasser halten, kann man nur vermuten. Philippe Rouillon singt ihn mit immer noch basspotenter Stimme. Markant tönt Werner Van Mechelen als böser Strippenzieher Spadoni, eher schütter hört sich Patrick Mignon als Stradellas Freund Beppo an, der eigentlich eine Mezzopartie ist. Mit frischen Stimmen besetzt sind die Meuchelmörder, die von Xavier Rouillon und Giovanni Iovino gesungen werden. Die ins Lächerliche gezogene Venezianer Polizei wird von Roger Joakim sonor angeführt. Himmlisch schön singt der Chor, der von Marcel Seminara betreut wurde. Sensibel und höchst aufmerksam, wie man beobachten kann, leitet Paolo Arrivabene das Orchester. Eine hoch interessante Oper, die durch eine spektakuläre Inszenierung noch gewinnt (Foto oben: Marc Laho (Stradella) rechts, Xavier Rouillon (Pietro), Giovanni Iovino (Michael) und Ensemble/Foto  Jacques Croisier/Opéra royal de Wallonie-Liège, DVD Dynamic 37692 und resteverwertend auch als CD CDS 7692/1-2 akustisch identisch).

Ingrid Wanja