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Als wollten sie das gebeutelte Publikum für eine inzwischen bereits Jahrzehnte andauernde Qual, verursacht durch armselige Bühnenbilder, Sänger entstellende Kostüme zwischen Trenchcoat und Schiessers Feinripp und sinnlose, aber vorzugsweise brutale Handlungen auf der Opernbühne mit einer einzigen Produktion entschädigen, haben sich Regisseur Daniele Finzi Pasca, Bühnenbildner Hugo Gargiulo und Kostümbildnerin Giovanna Buzzi ins Zeug gelegt und Wunderwerke an das Herz berührender Schönheit auf die Hamburger Opernbühne gewuchtet. Es ging im September 2021 mitten in Corona-Zeiten um Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, und um das Glück inzwischen auch des Blu-Ray-Betrachters vollkommen zu machen, war auch das Sänger Ensemble zumindest teilweise sensationell, das Dirigat Kent Naganos beeindruckend durch Feinfühligkeit, Eleganz und atmosphärische Dichte. Sollte eine durch Corona trübe Realität das Verlangen nach einem Ausgleich durch die Kunst so sehr verstärkt haben, dass es sich zunehmend als zwingender erweist als das der modernen Regie, vor den Augen des mehr oder weniger angewiderten Zuschauers alle Scheußlichkeiten dieser Welt auf der Opernbühne aufzutürmen? Auch in Dresden gab es kürzlich eine Aida, die hoffen lässt, selbst wenn sie eher einen Verzicht auf Absurditäten darstellt als das Positivum einer Alternative.
Was Bühnenbildner, Kostümbildner, Gewandmeister, Perückenhersteller und alle, die sich in der letzten Zeit heillos unterfordert sehen mussten, leisten können, wenn man sie denn lässt, beweisen die wunderbaren Bühnenbilder: Ein Giulietta-Akt mit den Wahrzeichen Venedigs, Taubenkostümen für den Chor und herrlichen Rokokokostümen für die Solisten oder ein Kabinett voller aufgespießter Schmetterlinge, als deren einer Antonia selbst in einem wunderschönen Kostüm auftritt- alles in einem sanften bleu mourant, der Erfindung der Berliner Porzellanmanufaktur und von Friedrich dem Großen geliebt. Ähnlich phantasievoll sind auch die anderen Schauplätze, Luthers Weinkeller und die Schatulle, in der die Puppe Olympia aufbewahrt wird, gestaltet. Nicht satt sehen kann man sich an den kunstvollen Hintergrundprospekten. Und auch die Technik wird gefordert, wenn Muse oder Mutter bzw. deren Doubles auf die Bühne schweben. Das alles ist so phantasievoll, wie es die Phantasie anzuregen versteht, und es gibt genügend Anlässe zum Nachdenken, so darüber, warum im ersten und letzten Bild die Komparsen zweigeteilte, halb Anzug, halb Kellnerkostüm, Gewänder haben.
Sein Rollendebüt in der Titelpartie gab der französische Tenor Benjamin Bernheim, ein junger, munterer Geselle, nicht zerquält wie weiland Dauer-Hoffmann Neil Shicoff oder ein Klein-Zack-Imitat wie Kenneth Riegel, sondern ein romantischer, wenn auch als Liebhaber scheiternder und letztlich doch als Künstler triumphierender Held mit der timbrereichsten, geschmeidigsten und mit perfekter voix mixte auftretenden Stimme, die man sich für die Partie wünschen kann. Ihm zur Seite steht mit Angela Brower eine Muse bzw. ein Nicklausse der charmantesten Art mit hellem, flirrendem Mezzosopran. Immer heikel ist die Besetzung aller vier Frauenrollen mit einer Sängerin. Olga Peretyatko ist als Stella so schön wie als Antonia, Olympia oder Giulietta, vokal perfekt aber nur als Olympia, ansprechend als Antonia, aber enttäuschend als zu hellstimmige Giulietta. Am dämonischsten am vierfachen Bösewicht sind bei Luca Pisaroni die überlangen Spinnenfinger, dazu ist er ein sehr guter italienischer Bariton, dem man etwas mehr vokale Düsternis für di Partien wünschte. Angemessen unterschiedlich gestaltet Andrew Dickinson die drei Dienerpartien und amüsiert das Publikum mit seinem Couplet als Franz. Martin Summer ist so sonor als Luther wie ganz besonders als unglückseliger Crespel. Einen kurzen, aber eindrucksvollen Auftritt hat Kristina Stanek als Mutter. Der Exberliner Eberhard Friedrich hat den Chor auf seine vielfältigen Aufgaben bestens vorbereitet. Kurz und gut: Ob im Theatersaal oder vor dem Fernsehschirm ist ein beglückender Abend garantiert (DG 2068594). Ingrid Wanja