Wie neu gehört

 

Kann man Erbsen mit Bohnen vergleichen? Zumindest sind sie ja beide Hülsenfrüchte, immerhin. Bei Arthaus ist nun eine Neuausgabe der Meyerbeerschen Africaine von 1988 aus San Francisco erschienen – wiedererschienen muss man sagen. Und natürlich ist die erste Reaktion: Warum nun das schon wieder? Die Video-Aufnahme von Brian Large mit Plácido Domingo und Shirley Verrett ist ja bekannt genug und oft besprochen worden in ihren vielen Erscheinungsformen von der großen goldenen Pioneer-Laserdisc über VHs-Ausgaben bis hin zu verschiedenen DVD-Editionen bei dto. verschiedenen Firmen. Warum nun also wieder – recht uncharmant-frugal verpackt – bei Arthaus?

meyerbeer africaine arthausAh! Da eben liegt der ganze Unterschied (würde die Marschallin sagen): Es ist der absolut ravissante Sound des neuen Hi-Res-Audio-Verfahrens, der aus dem ehemals muffigen Video-Sound ein durchhörbares, aufregendes Hör-Erlebnis macht. Im mageren Beiheft mit wenigen Fotos (nicht einmal Domingo ist nennenswert zu erkennen, nur Diaz und der Verrett ist ein größeres Bild gewidmet) findet sich ein erklärender Artikel zur technischen Seite dieser bekannten Aufnahme. Denn der Klang ist einfach überwältigend besser als das alte Bekannte. Man hat das Gefühl, mit auf der Bühne zu stehen, mit Inès im Schiff zu sitzen (eine der besten szenischen Lösungen) und mit der Verrett unter dem Manzanilla-Baum zu sterben. Wunderbar! Arthaus hat hier in der 24 Bit Resolution und dem 192 khz Sampling ein kleines Restaurations-Wunder hingelegt. Wie neu hörend ist man von der Akustik fasziniert.

Denn singen tun sie alle für heutige Verhältnisse überwältigend – und gemessen an der mageren, optisch ziemlich unattraktiven Produktion der Deutschen Oper Berlin mit ihrem Vasco da Gama gebe ich dieser alten Konserve allemal den Vorzug (Jacob Peters-Messers minimalistische Bühne in Chemnitz 2011 war da wesentlich evozierender), auch wenn rabiate Meyerbeerianer nun aufschreien. Roberto Alagna hatte in seinem Interview mit dem Opernglas im November 2015 absolut recht, wenn er kritisierte, dass der Vasco (vor Berlin in Chemnitz aufgeführt und im letzteren ja auch bei cpo auf die CD gelangt) nur ein musikwissenschaftlich interessantes Kunstprodukt sei, das so nie zu Meyerbeers Lebzeiten auf die Bühne gelangt wäre. Denn es enthält zwar unendlich viele hinterlassenen Noten, aber eben kein Leben für eine Bühnenaufführung. Der neue Vasco ist ein sehr langes musikwissenschaftliches Forschungsprodukt, mehr nicht und auch nicht weniger. Selbst die gegenüber Chemnitz gekürzte Fassung in Berlin hat gezeigt, wie viel Langeweile, wieviel Leerlauf darin steckt. Chemnitz war – für mich – spannender wegen des unbestreitbaren Feuers der Mitwirkenden (auf der Bühne, nicht auf den kalt aufgenommenen cpo-CDs, die trotz des beeindruckenden Tenors zu sehr unter der Titeldarstellerin leiden: eine Sélika á la Provinz-Carmen, pardon Madame!). Berlin im Oktober 2015 ließ mich trotz des bewunderten, aber angeschlagenen Alagna, trotz der soliden Koch und des überragenden Brück kalt. Die Inszenierung tat alles, um die Längen des Stückes und die fehlende Bühnenwirksamkeit deutlich zu machen. Frau Nemirova verstand vielleicht was von Folklore, aber nichts von üppiger Grand Opéra.

Giacomo Meyerbeer: "L´Africaine" aus San Francisco 1988/ Szene/ Still aus der Blu-Ray-Ausgabe bei Arethaus

Giacomo Meyerbeer: „L´Africaine“ aus San Francisco 1988/ Szene/ Still aus der Blu-Ray-Ausgabe bei Arthaus

Die findet man in dem Video aus San Francisco 1988, nun als Blu-Ray bei Arthaus. Sicher, manches ist inzwischen ein bisschen staubig und zeitlich eingegrenzt, manches lässt einen auch etwas lächeln. Aber welche Präsenz, welche Präsenz haben die Sänger und der Chor! Shirley Verrett ist eine ganz großartige, würdevolle, regale Africaine, stimmlich in Bestform, bei sehr passablem Französisch. Plácido Domingo macht aus jedem seiner Auftritte ein Fest, und seine große Szene („Oh Paradis!“) hat Aplomb und Glanz (ausgerechnet da zeigte Alagna seine Schwachstellen, die sein Chemnitzer Kollege weitaus besser meistert). Domingos Französisch bleibt latinohaft-allgemein, aber doch werkdienlich. Justino Diaz ist ein attraktiver Nélusko mit schlankem Bassbariton, und Ruth Ann Swenson singt defintiv netter als ihre Berliner und Chemnitzer Kolleginnen (die in ihren Fassungen auch viel mehr zu tun haben). Mit Michael Devlin und Philippe Skinner sind auch die Nebenrollen in dieser immer noch luxuriös wirkenden, eben üppigen Produktion von Lotfi Mansouri (die Bühne stammt von Wolfram und Amrei Skalicki) bestens besetzt. Zumal Maurizio Arena aus seinem Orchester den oben gerühmten vollen Klang herausholt.(Als Anmerkung: Dies ist nicht die Aufnahme von 1972, die als LP/CD-Ausgabe erhältlich ist; damals war Evelyn Mandac die Inès, die restliche Besetzung ist in Teilen verschieden von der des zweiten Durchlaufs von 1988, der auf Video festgehalten wurde/ Gala u. a.)

Und ganz ehrlich – ich finde diese Bastard-Fassung von Fétis viel theatralischer, überzeugender, viel spannender. Wie schnell ist man durch den ersten Akt hindurch (der doch auf der Chemnitzer und Berliner Bühne so lang schien)? Der dritte Akt zur See wird zu einem spannungsgeladenen Ereignis. Und auch wenn es ein Jammer um die im Vasco so interessante lange Sterbeszene der Sélika ist – die Verrett stirbt zwar kürzer, aber einfach eindringlicher, würdiger, opernnäher und vor allem königlicher. Jaja – ich weiß, meine musikwissenschaftlich ketzerischen Ansichten stempeln mich zum Banausen. Aber Oper ist auch Entertainment, Meyerbeer-Opern allemal. Und ich bezweifle, ob der alte Mann sich widerspruchslos durch den uns nun vorliegenden Vasco gesessen hätte. Nein – Meyerbeer hätte drastisch gekürzt. Alagna hatte recht: Man sollte eine Mischfassung aus der bekannten Africaine und dem Vasco machen, die Africaine mit einigem aus dem Vasco auffüllen. In der Zwischenzeit hör´ ich mir den Soundtrack der neuen Arthaus-Ausgabe an: ah, quel plaisir (Arthus Blu-Ray 101 181)! Geerd Heinsen

  1. Geerd Heinsen Beitragsautor

    ach lieber herr wiertz,
    wie nett! de gustibus eben – über geschmack kann man streiten. ich denke im zuge des opernalltags eben doch, dass kürzungen angebracht gewesen wären. konzertant und bei festspielen aufgeführt wäre der „lange“ vasco sicher eine feste größe, aber im opernalltag fand ichs zu lang. chemnitz hatte mich wegen des überspringenden engagements der beteiligten erreicht, und da auch die darstellin der Sélika natürlich sehr. rein akustisch fand ich, beide mitschnitte (chemnitz eben quasi studio) stehen für mich an spannung und gesang hinter der „korrupten“ fétis-fassung aus sf weit zurück. aber das ist ja wirklich ansichtssache.
    danke für die netten worte re operalounge.
    ganz herzlich geerd heinsen

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  2. Walter Wiertz

    Lieber Herr Heinsen,
    Ich gehe mit Ihnen im wesentlichen d’accord, was die Bewertung und den Vergleich der beiden Vasco-Aufführungen in Chemnitz und Berlin betrifft. Inszenierung (und auch das Dirigat von F. Beermann) waren in Chemnitz adäquater und überzeugender. In puncto Sängerleistungen bin ich jedoch der Meinung, dass sowohl Frau Sorokina (Sélika) als vor allem Guibee Yang (Inès) ihren Kolleginnen in Berlin überlegen waren. Vor allem aber teile ich überhaupt nicht Ihre (und Herrn Alagnas Meinung) hinsichtlich der Kürzungen und dramatischen Wirksamkeit beider Versionen. Nicht nur wir – und wir sind zwar überzeugte Meyerbeer-Anhänger, aber keine „rabiaten Meyerbeerianer“- empfanden bei den über 5 Stunden der Chemnitzer Aufführung, diesem „nur musikwissenschaftlich interessanten Kunstprodukt“ nie Langeweile(anders als in Berlin !) und wenn der Weg nicht gar so weit wäre, hätten wir mehr als nur zweimal die Strecke Aachen-Chemnitz zurückgelegt. Und dass Sie sicher sind, dass Meyerbeer selbst „drastisch gekürzt hätte“, ist reine Spekulation, auch wenn er bei seinen vorausgehenden Grand opéras mit dem einen oder anderen Strich einverstanden sein musste.
    P.S.
    Haben Sie übrigens schon eine Aufführung des Karlsruher „Le prophète“ erlebt ? Dringende Empfehlung !!
    Im Übrigen bin ich von Ihrer Opera Lounge mit all ihren Facetten sehr angetan. DANKE und GRATULATION !

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