Wie heisst eigentlich das Kind?

 

Wenigstens einen Namen verdient hätte in der Amsterdamer Inszenierung von Bergs Wozzeck aus dem Jahre 2017 Wozzecks Junge, der hier, obwohl der Titelheld und seine Marie erst seit drei Jahren „zusammen“ sind, bereits mindestens zehn Jahre alt  und von Anfang bis Schluss die Hauptperson ist in seinem vergeblichen Bemühen, das Schicksal der kleinen Familie durch das gefährliche Fahrwasser der Versuchungen und Anfechtungen zu lenken. Bei Büchner und Berg geht es um die sozialen Abhängigkeiten, die Wozzeck zum Erdulden von allerlei Unwürdigem wie Bohnenessen zwingen, um eine verlogene Moral, wenn ihm der Hauptmann das uneheliche Kind vorwirft, um eine zumindest auf den Helden unheimlich wirkende Natur in der zweiten und in der Schlussszene. In der Inszenierung von Kryzsztof Warlikowski bleibt davon nichts, wird im Bühnenbild von Malgorzata Scszesniak aus dem See ein Aquarium ohne Fische, aus dem vom Hauptmann abhängigen Soldaten ein Friseur (wie der historische Woyzeck), werden aus Handwerkern und Soldaten Mitglieder einer Gesellschaft in Feierlaune, die sich gern von einem Kinderballett in rosa Tüll unterhalten lässt oder auch von einer Transe und einer Art Clown, zu denen allen die wenn auch verballhornten Volkslieder überhaupt nicht passen wollen. Von sozialem Elend kann auch kaum die Rede sein, wenn Wozzeck zur Ermordung Maries im schicken schwarzen Anzug erscheint und der Ungetreuen ein weißes Brautkleid aus Spitze mitbringt. Dazu sieht er aus wie Andy Warhol mit Brille, der sich in eine geschmacklose, auch mit zwei Mickymäusen bestückte Revue verirrt hat. Das ist alles brillant gemacht, hat aber mit der Vorlage nur den Wortlaut, nicht  die Atmosphäre, die zu diesem gar nicht mehr passen will, nichts zu tun, am allerwenigsten mit der immensen Aufwertung der Rolle des Kindes, das wohl sogar doppelt, als der kleine Wozzeck, der von den anderen Kindern drangsaliert wird, und  Jahre später als dessen  Kind die Aufmerksamkeit und Anteilnahme des Publikums auf sich zieht.

Vorzüglich ist die Sängerbesetzung mit einem robusten Christopher Maltman mit sonorem Bariton an der Spitze, der zudem in der Darstellung des unseligen Antihelden doch einiges von dessen Hilflosigkeit und Dumpfheit vermitteln kann. Eine hocherotische Marie, leider in rotem Leder und schwarzem Lack, ist Eva-Maria Westbroek mit leuchtendem Sopran. Beider Kind ist der phantastische Jacob Jutte, dem in zartem Alter allerhand zugemutet wird wie auch den Kindern, die sich im Turniertanz üben. Frank van Aken darf nicht mit Uniform und Schnauzbart protzen, ist allerdings auch im blauen Anzug und dazu noch tenoral vokal ansehnlich. Eigentlich eine zu warme, sanfte und schöne Stimme hat Willard White für den Quälgeist von Doktor, während Marcel Beekman als Hauptmann mit scharfem Charaktertenor ordentlich chargiert. Eine äußerst mondäne Nachtclubsängerin ist hier die geifernde Nachbarin Margret, die von Ursula Hesse von den Steinen sehr schön gesungen wird. Jason Bridges ist ein in jeder Hinsicht ansehnlicher Andres.

Marc Albrecht setzt der Schicki-Micki-Bühne die ganze expressive Härte der Musik und eine ungeheure rhythmische Präzision entgegen, bringt die Zwischenspiele zu der ihnen gebührenden Bedeutung und versöhnt mit der an sich perfekten, aber unpassenden Bühne (Naxos NBD0081V). Ingrid Wanja