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Weniger als 40 000 Einwohner hat die Stadt Jesi in der italienischen Region Marche, aber eine Piazza Federico, auf der in einem Zelt zu Weihnachten 1194 Konstanze von Sizilien den späteren Kaiser Friedrich II. gebar, und ein Teatro Pergolesi-Spontini, da 1710 Giovanni Battista in und 1774 Gaspare nahe bei Jesi geboren wurden. Das verpflichtet zu einem regen musikalischen Leben, zu dem auch die aus Wexford, wo man immer um Ausgrabungen und Neuentdeckungen bemüht ist, stammende Produktion von Francesco Cileas L’Arlesiana gehört. In Wexford und Jesi wollte man sich weder damit abfinden, dass die Titelfigur nicht auf der Bühne erscheint, noch damit, dass der Tenor nur eine Schmonzette zu singen hat: das Lamento des Federico, den bei der Mailänder Uraufführung Enrico Caruso sang. Um Abhilfe für das Erstere zu schaffen, hatte man Regisseurin Rosetta Cucchi engagiert, die gleich eine ganze Heerschar von Arlesiane die Bühne bevölkern ließ, die, um die Verwirrung vollkommen zu machen, der Vivetta sehr ähnlich sahen. Sie begründet es damit, dass auch die real Existierenden, Madre Rosa, Fratello L’Innocente und die anderen, reine Fiktion des kranken Gehirns von Federico sein könnten. Freudigerer Zustimmung gewiss kann die Wiederauffindung der zweiten Arie des Federico Una mattina aus dem dritten Akt der ersten Fassung des Werks durch den Tenor Giuseppe Filianoti sein, der diese beim Erforschen der vokalen Kammermusik Cileas entdeckte und bereits 2014 auf einer CD der Gesamtaufnahme des Werks wieder vorstellte.
Die Handlung der Arlesiana ist düster, die Landschaft, in der sie spielt, Daudets Provence, ist heiter, die Bühne in Jesi jedoch durchgehend dunkel, mit viel abweisendem Mauerwerk und vielen Gittern (Bühne Sarah Bacon). Auch die Kostüme lassen eher an einen Trauerfall als an eine immerhin beabsichtigte Hochzeit denken (Claudia Penigotti).
Orchester und Chor sind auch die der alljährlich stattfindenden Sommerfestspiele im Sferisterio von Macerata und stellen unter der Stabführung von Francesco Cilluffo ihre Erfahrung mit italienischer Oper unter Beweis. Das Werk hat durchaus neben der des Federico noch weitere sehr dankbare Rollen. Da ist zum einen Rosa Mamai, eine zweite Mamma Lucia, nur mit sehr viel mehr zu singen, darunter das herzzerreißende „Esser madre è un inferno“, das Annunziata Vestri mit herbem, reifem, etwas dünnem Mezzosopran und tief berührendem Spiel zu einem Höhepunkt der Vorstellung werden lässt. Auch der vom Bariton Stefano Antonucci gesungene treue Hirte und Vertraute Baldassare präsentiert mit seinem großen Auftritt ein schönes Beispiel von vokaler Stilsicherheit. Mit klarem, hellem lyrischem Sopran wirbt Mariangela Sicilia als Vivetta um die Zuneigung des manischen Federico, um deprimiert feststellen zu müssen: „Sono respinta“. Welche Schuld das Aquarium, das sie stets mit sich herumträgt, daran hat, bleibt im Dunkeln. Ein wunderschönes Solo hat der mit einer Spontanheilung frappierende Innocente von Riccardo Angelo Strano, der seinem zweiten Vornamen alle Ehre macht. Furchteinflößend ist der dunkle Bariton von Valeriu Caradja als Nebenbuhler Metifio, schwarz klingt der Bass von Christian Saitta, der einen kurzen Auftritt als Marco, Bruder der Rosa, hat. Und der Tenor? Dmitry Golovnin hat natürlich, wie könnte es anders sein, keine italienische Stimme und ist so zwar ein wackerer Tenor mit viel Durchschlagskraft und Squillo, aber doch zu scharf, zu eng, zu herb und damit zumindest akustisch ein Fremdkörper bleibend. Der Wiederentdeckung des Werks durch auch andere Bühnen dürfte eigentlich nun, noch bereichert um eine weitere effektvolle Tenorarie, nichts im Wege stehen (Dynamic 37688). Ingrid Wanja