In der Nachfolge Claudio Monteverdis war Francesco Cavalli einer der berühmtesten und einflussreichsten italienischen Komponisten in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Von Kardinal Mazarin wurde er beauftragt, ein ganzvolles Werk zur Hochzeit des Sonnenkönigs Louis XIV. mit der spanischen Infantin, welche nach 25 Jahren Krieg den Frieden zwischen den Bourbonen und dem Habsburgischen Königreich sichern sollte, zu schaffen. Der Abbé Francesco Buti verfasste das Libretto mit dem Titel Ercole amante – ein großes Barock-Spektakel in einem Prolog und fünf Akten, das 1662 in Paris uraufgeführt wurde. Danach kam es zu keiner weiteren Produktion in der französischen Hauptstadt, erst 1981 inszenierte es Louis Martinoty im Châtelet mit Michel Corboz am Pult. Auf zwei DVDs gibt NAXOS nun eine spektakuläre Neuinszenierung aus der Pariser Opéra-Comique vom November 2019 heraus, die in Koproduktion mit dem Château de Versailles und der Opéra National de Bordeaux entstand (2.110679-80). Die aufwändige Produktion verantworteten Valérie Lesort und Christian Hecq (von der Comédie-Française).
Nach dem Prolog, in welchem das anwesende Königspaar anlässlich der Hochzeit mit Gesang und Pantomime begrüßt wird, führt das Geschehen in die griechische Mythologie. Ercole liebt Iole, Geliebte seines Sohnes Hyllo, und bittet Venere um Hilfe. Giunone will die Verbindung zerstören und lässt sich von den Winden zum Schlafgott Somno tragen. Während Ercole vernimmt, dass sein Sohn Hyllo sein Rivale ist, behauptet dieser plötzlich, Iole nie geliebt zu haben. Diese wiederum verspürt unerklärliche Zuneigung für Ercole. Auf Weisung Giunones versenkt Somno Ercole in den Schlaf. Iole soll ihn töten, doch Hyllo entreißt ihr die Waffe. Der erwachende Ercole lässt seinen vermeintlich schuldigen Sohn in den Kerker werfen. Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten im Tempel überreicht Iole Ercole ein vergiftetes Gewand, wodurch er verbrennt. Giunone verkündet, dass er in die Schar der Götter aufgenommen werde und Bellezza zur Gattin erhalte. Die himmlische Hochzeit erinnert alle Zuschauer an die irdische.
Zum spartanischen Bühnenbild von Laurent Peduzzi, das vor allem hohe weiße Mauern und Stufen zeigt, kontrastieren Vanessa Sanninos Kostüme von überbordender Phantasie. Sie erdachte monströse Fabelwesen und stattete die Personen mit originellen und witzigen Attributen aus.
Die Musik ist bei Raphaël Pichon am Pult des Orchestra PYGMALION in besten Händen. Er lässt ihre Festlichkeit mit Bläserglanz aufstrahlen und bringt ihren tänzerischen Rhythmus zu starker Wirkung. Nahuel Di Pierro als Titelheld profitiert von seiner attraktiven Erscheinung und einem substanzreichen Bass. Das großspurige Wesen des Mannes, den ein imposanter Helm mit Federbusch schmückt, zeichnet er stimmlich auftrumpfend und mit Raum greifender Gebärde. Seine Todesszene im vergifteten Gewand gestaltet er in existentieller Not. Seine Gattin Deianira im plissierten griechischen Gewand singt Giuseppina Bridelli mit klangvollem Mezzo. In ihrem Schmerz und ihrer Würde ist sie eine Figur in der Nähe von Monteverdis Ottavia.
In einem Blütenkokon fährt Venere (Giulia Semenzato mit farbigem Sopran) aus der Tiefe hervor. Später schwebt sie vom Himmel in einem wunderlichen Gefährt mit Flügelchen herab. Der über und über mit Grünpflanzen und Algen bewachsene Nettuno fährt in einem U-Boot aus der Tiefe hervor – Luca Tittoto verleiht ihm profunde Basswürde. Die im Belcanto- und Barock-Repertoire erfolgreiche Anna Bonitatibus ist Giunone mit doppeltem Augenpaar, die aus den Lüften herabsteigt, später auf einem Pfau reitet oder in einem Ballon hereinschwebt und mit ihrem expressiven wie sinnlichen Mezzo ein vokales Glanzlicht setzt. Vier Tänzer begleiten ihren Auftritt und illustrieren auch die stürmische Sinfonia, die zum 2. Akt überleitet.
Diesen eröffnet das junge Paar – Krystian Adam als Hyllo mit lyrischem, aber auch dramatisch ausladendem Tenor und Francesca Aspromonte als Iole mit lieblichem, aber auch strengem Sopran –, auf Säulen aus dem Boden herausfahrend mit dem gefühlvollen Zwiegesang „Amor ardor più rari“. In einem Käfig gefangen, hängt Hyllo zu Beginn des 4. Aktes über einem Meer aus barocken Theaterwellen in der Luft. Im Wasser tummeln sich Schwimmer in gestreiften Badeanzügen, in der Luft sorgen Springer für akrobatische Einlagen. Den munteren Pagen im Renaissance-Kostüm, der Iole Ercoles Einladung zu einem gemeinsamen Spaziergang überbringt, gibt der Countertenor Ray Chenez mit angenehmer, jugendlicher Stimme. An seiner Seite ein Urgestein der Barockszene mit Dominique Visse als Ercoles Diener Licco mit glänzender Kugel auf dem Haupt. Der Countertenor ist vor allem bizarrer Charakter und bedient sich eines grotesken Sprechgesangs. In commedia dell’arte-Manier vereinen sich die beiden Counter am Ende des 3. Aktes vor dem Vorhang zu einem komischen Zwiegesang. Im Fatsuit mit Zipfelmütze wird der stumme Somno hereingefahren, seine Gattin Pasithea im Gouvernanten-Outfit ist Eugénie Lefebvre mit lieblichem Sopran. Die Schlussszene zeigt die Hochzeit von Ercole und Bellezza, die in Sternenwagen durch die Lüfte herein schweben und vom Chor gebührend gefeiert werden. Bernd Hoppe