Wieder einmal an ihre Geburtsstätte, die Opéra Comique von Paris, zurückgekehrt war Bizets Carmen im Jahre 2009, wovon es jetzt eine DVD bei Naxos gibt. Die recht kleine Bühne wird von Mark Thompson optimal genutzt, indem auf drei Ebenen agiert wird, so im ersten Akt aus der Tiefe kommend die Arbeiterinnen, Auge in Auge mit dem Publikum die Wachsoldaten und auf einer Empore Spaziergänger und der Fluchtweg Carmens. Im dritten Akt ragen dann viele Leitern aus der Schlucht hinaus himmelwärts, und im vierten Akt schließlich lässt sich die Regie von Adrian Noble die Chance entgehen, die drei Ebenen für einen glanzvollen Aufzug der am Stierkampf Beteiligten zu nutzen, stattdessen wird wie wild ins Publikum hinein gewinkt. Insgesamt wirkt die Szene bräunlich vergilbt wie ein altes Bild, es wird duster, wenn es schicksalsträchtig wie beim Blumenwurf wird, Rotlicht herrscht bei Lillas Pastia vor, Blau in der Schlucht, im vierten Akt sollen viele Fahnen für eine angemessene Atmosphäre sorgen. Personenregie findet in bescheidenem Maße statt, nur die Auseinandersetzung zwischen Don José und Escamillo lässt den Zuschauer ahnen, dass er sich im Land der Mantel- und Degenfilme befindet.
John Eliot Gardiner, nach der Pause hemdsärmelig auftretend, setzt mit dem Orchestre Révolutionnaire et Romatique auf das Filigrane, beiläufig, aber straff Wirkende der Partitur, versucht nie zu überwältigen, selbst der rasante Beginn besticht eher durch Klar- als durch Grellheit. Eine ungetrübte akustische Freude sind die Chöre (Monteverdi Choir und Maitrise des Hauts-de-Seine).
Allround-Sängerin Anna Caterina Antonacci, die sich nie eindeutig zwischen Sopran- und Mezzopartien entscheiden mochte, ist eine beeindruckende Carmen, nicht aufs Exotische oder Verruchte setzend, es gibt weder Hüfteschwenken noch sinnliches Gurren, aber wenn sie sich ein Zigarillo am nackten Oberschenkel rollt oder stoisch im Kartenterzett ihren nahen Tod voraussieht, dann ist sie eine Carmen, eine herbe, persönlichkeitsstarke und von jedem Klischee weit entfernte. Vokal ist sie sopranlastig, singt die Habanera wie beiläufig, die Seguidilla dunkel getönt, aber nicht mit Mezzofülle, das Chanson des 2. Akts ohne Rücksicht auf Schöngesang.
Micaela ist Anne-Catherine Gillet mit frischem, klarem Sopran, der in der Höhe aufblühen kann und dies in der großen Arie auch berührend tut. Ihr inniger langer Kuss hätte eigentlich wirksamere Abwehrkräfte gegen die Verführungskünste Carmens aufbauen müssen, als es der Verlauf der Handlung vorsieht.
Einen nicht mehr und nicht weniger als soliden Don José singt Andrew Richards mit wenig einprägsamem Timbre, verdienstvollerweise auch mit feinen Pianissimi, von denen aber übergangslos ins Forte gewechselt wird, insgesamt recht dumpf klingend und die Blumenarie zwar wie von Bizet notiert, aber in der Höhe flach und ohne Glanz singend. Ein schmucker Escamillo ist Nicolas Cavallier, dessen Probleme beim Auftrittslied in der Tiefe liegen, der insgesamt aber gefallen kann. Die neben Carmen vier anderen Komponenten des Schmugglerquintetts bleiben vokal und darstellerisch unscheinbar, dort und im Kartenterzett hätte man sich mehr Prägnanz gewünscht. Ohne die das Ganze mehr noch als rollengerecht dominierende Carmen der Antonacci wäre die Aufnahme eine doch recht trübe Angelegenheit (Naxos 2.110685-86/ Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja