Die drei Da-Ponte-Opern in sechs Wochen: noch einmal und mit seinem Concentus Musicus Wien wollte Nikolaus Harnoncourt die drei Mozart Opern im Theater an der Wien ganz nach seinen Vorstellungen aufführen und hatte dazu wieder das teilweise für alle Aufführungen, soweit es passte, identische Ensemble in sein Arbeitszimmer mit dem wunderschönen Kachelofen geladen. Hier vermittelte er den Sängern seine Sicht auf die Dinge, verhalf ihnen zu ganz neuen Erkenntnissen über ihre Partien und vergaß auch nicht zu erwähnen, wie mühsam Leben und Arbeiten jenseits der 80 Lebensjahre sein können.
Für die Aufführung bediente man sich derselben Szene wie für den Figaro: eine Rückwand mit den Portraits der Mitwirkenden, teils in Alltagskleidung, teils in Rollenkostümen, einiger weniger Requisiten, und für den Rollentausch von Don Giovanni und Leporello zum Schaden der armen Donna Elvira reichte der Wechsel der Krawatten (Kostüme Doris Maria Aigner). Wie beim Figaro fiel der Sinn fürs Herbe bei Christine Schäfer (der Donna Anna) und der fürs Elegante bei der eher aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Zerlina auf. Ein schöner Effekt war der der mit Taschenlampen beleuchteten Gesichter auf der ansonsten finsteren Bühne ( Szenische Arrangements Felix Breisach), wirkungsvoll die blutige Hand Giovannis nach der Ermordung des Commendatore, das von Rotwein durchtränkte Hemd als Zeichen der Höllenfahrt. Mit wenigen Mitteln erreicht man viel, und vor allem verdirbt man nichts. Ein so sparsamer wie wirkungsvoller Hinweis auf Distanzierung ist auch das Schlusssextett mit Klavierauszügen in den Händen der Sänger, während zuvor alle außer der Donna Elvira von Maite Beaumont auf dieselben verzichten konnten.
Bei der musikalischen Umsetzung fallen wieder die teilweise gesungenen, teilweise gesprochenen Rezitative auf und die manchmal sehr ungewohnten Tempi, so das sehr langsame „Vedrai carino“.
Aus dem Figaro von André Schuen ist nun ein Don Giovanni geworden, mit angemessen mehr Eleganz in der Stimmführung, eindrucksvollen Rezitativen, einer atemlosen Champagnerarie und einer Serenata in fein durchgehaltenem Piano. Viel adäquater als der Don Basilio ist der Don Ottavioa für den hübschen Tenor von Mauro Peter, der hier sehr edel und gar nicht wie heute üblich als blässlicher Schwachkopf gezeichnet ist, „Dalla sua pace“ empfindsam singt und für „Il mio tesoro“ saubere Koloraturen aufweisen kann. Etwas mehr silbriger Glanz könnte dem Timbre noch ein weiteres Quäntchen an Verführungskraft verleihen. Ebenfalls bereits im Figaro war Christine Schäfer, damals Contessa, nun Donna Anna, zu erleben. Zu Beginn fürchtet man, die Stimme sei zu zart, besonders im aufgeregten Beginn der Oper, aber „Or sai che l’onore“ wird sehr schön gesungen, nur hin und wieder klingt der Sopran angestrengt, „crudele“ wird in zartem Erschrecken gesprochen, in den wunderbar gestalteten Rezitativen ist sie die überzeugendste Anwältin der Intentionen ihres Dirigenten.
Eine rundere, wärmere Mezzostimme hat die Spanierin Maite Beaumont, eine schöne Gesangslinie und selbst in größter Erregung die vokale Contenance wahrend. Auch sie gewinnt den Rezitativen, so vor „Mi tradi“ viel mehr ab als man gewohnt ist. Etwas mehr gesanglichen Pep haben könnte die Zerlina von Mari Eriksmoen, die Susanna im Figaro war. Sehr klotzig und als dröhnenden Polterkopf gestaltet Mika Kares den Leporello und kann mit diesem Stimmmaterial als Commendatore viel mehr Ehre einlegen. Dunkler, weniger nobel und damit rollendeckend singt Ruben Drole den Leporello und ist damit das angemessene Pendant zu seinem Herrn. Der Arnold Schoenberg Chor gibt die fröhliche spanische Hochzeitsgesellschaft. Das Orchester mit Originalinstrumenten in dem recht kleinen Theater an der Wien gestattet den Sängern einen schlanken, unangestrengten Klang, was sicherlich die Intention des Dirigenten gewesen ist. Nun fehlt noch Così fan tutte, aber sicherlich nicht mehr lange (2 DVD Unitel 803908). Ingrid Wanja
Das Beste kommt zum Schluss der beiden DVDs mit Mozarts Le Nozze di Figaro, wenn Dirigent Nikolaus Harnoncourt teils in seinem Heim, teils bei der Bühnenprobe Sängern und Zuschauern seine Sicht der Dinge nahebringt. Innerhalb eines Monats wurden im Theater an der Wien alle drei Mozart-Da-Ponte-Opern aufgeführt, und die Aufnahmen davon dürfen als Vermächtnis des Meisters angesehen werden. Den Zuhörer berührt es, wenn der Dirigent bekennt, dass er sich zwar seit Jahrzehnten mit den Werken auseinandersetze, „aber es ist mir noch nicht gelungen, was ich am allermeisten will“. Zu diesem „Es“ gehören die Rezitative, bei denen es dem Dirigenten auf die Tonhöhe auch des gesprochenen Wortes, nicht auf den Rhythmus ankommt, nach Harnoncourt auch die Auffassung von den und die Darstellung der Personen als durchweg anfechtbar gelten kann, abgesehen vom Antonio, der als Einziger im Figaro ohne Falsch ist, während in Cherubino schon der spätere Don Giovanni zu erahnen ist. Schön zu sehen ist die große Aufmerksamkeit, ja Andacht, mit der die Sänger, die sich im Rollenkostüm aus einem Bilderrahmen äußern dürfen, den Worten des Meisters lauschen, ihm sogar abnehmen, dass Barberina nicht über die verlorene Nadel, sondern die ihrer Jungfräulichkeit trauert, wenn sie Ihre Arie in Moll singt.
Die Aufführung selbst gewinnt nicht dadurch, dass sie sich nicht auf zwei CDs beschränkt. Das Szenische Arrangement von Felix Breisach postiert die Sänger vor drei Stellwände, in deren Aussparungen teils Spiegel, teils Portraits, so das Mozarts, wie er auf den nach ihm benannten Süßigkeiten erscheint, oder der Sänger in unterschiedlichen Kostümen durchaus nicht nur derer des Stücks zu sehen sind. Seltsamerweise gibt es auch einen Costume Designer (Doris Maria Aigner), so dass man die seltsame Kostümierung der Sänger nicht ihrem persönlichen Geschmack anlasten kann. Es berührt schon seltsam, wenn die Contessa im langen, aber schlichten schwarzen Hemdblusenkleid erscheint, während Barberina in kostbarer Robe mit reichlich Glitzer auftritt. Keine Einheitlichkeit konnte man auch erzielen, wenn der Conte sich spielend über die Bühne bewegt, während die Contessa sich bei jedem Auftritt den Klavierauszug vors Gesicht hält, ja selbst der Basilio für seinen kurzen Auftritt im ersten Akt nicht auf denselben verzichten mag. Befremdlich ist zudem, dass sich Partner, selbst wenn sie Adressat einer Arie sind, die Bühne verlassen. Auch die Kameraführung erweist sich dann nicht als die glücklichste, wenn sie ein Faible für Aufnahmen von ihr Instrument säubernden Bläsern bekundet.
Maestro Harnoncourt hat sich für sein Mozart-Testament Sänger ausgesucht, die seinen Intentionen am stärksten entsprechen konnten und die darum zum großen Teil auch in den beiden anderen Da-Ponte-Opern auftreten. Das Orchester ist natürlich der von ihm gegründete Concentus Musicus Wien mit seinen Originalinstrumenten, die ihr Dirigent zu für den Hörer ungewohnten Tempi animiert. Perfekt erfüllt der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner seine Aufgaben.
André Schuen ist ein schmucker Figaro, der sich zunehmend frei singt und temperamentvoll das Geschehen dominiert, dazu auch noch einen angenehmen Bassbariton hören lässt. Susanna ist die hübsche Mari Eriksmoen mit feiner Zwitscherstimme leichter Höhe und noch ausbaufähiger Mittellage. Souverän trotz aller Bedeutungsbefrachtung der Aufnahme ist Bo Skovhus als viriler Conte, während Christine Schäfer ein makelloses „Dove sono“ singt, aber stellenweise auch säuselt und dem Vergnügen an extremem Ätherischsein manchmal die Verständlichkeit opfert. Mit köstlicher Mimik und die an sich recht farbige Stimme ins Kindliche zwingend ist Christina Gansch eine anmutige Barbarina. Ildiko Raimondi klingt recht hell für die Marzelline und weiß viel aus ihrer Partie zu machen. In ein extrem schnelles Tempo wird Elisabeth Kulman mit ihrer ersten Arie als Cherubino gezwungen, umso schöner und vollmundiger klingt dann „Voi che sapete“. Peter Kálmán ist ein polternder Baartolo, Mauro Peters Tenor ist für den Basilio fast zu schön.(Unitel 803708/ Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.). Ingrid Wanja