Und ganz zum Schluss …

 

Pech hat Ludwig van Beethoven mit dem Jahr seines 250. Geburtstags, denn aus vielen Vorhaben  zu seinen Ehren wurde dank Corona rein gar nichts, einige immerhin konnten wenigstens in veränderter, sich auf das Geschehen einstellende Produktionen das Licht der Welt erblicken, so wie die Aufführung der zweiten Fassung des Fidelio von 1806, der stilistisch zwischen der Leonore von 1804 und der endgültigen, dritten Fassung von 1814 steht. Von seinem Vorgänger unterscheidet sich das Werk durch die Reduzierung auf zwei Akte, von seinem Nachfolger unter anderem durch das Fehlen des schnellen Teils („Ein Engel, Leonore“) in der Arie des Florestan, eine weitere Arie des Pizarro mit Chorbegleitung oder ein Duett Marzelline-Fidelio: „Um in der Ehe froh zu leben“.

Nach einer kurzen Führung durch den Aufführungsort Theater an der Wien wird dem Zuschauer verdeutlicht, dass es sich nicht um eine Theateraufführung, sondern um eine Filmaufnahme handelt, indem viele Kameras und die Arbeit an ihnen gezeigt wird, erst danach darf die Leonore Nr. 3 erklingen, und Manfred Honeck führt die Wiener Symphoniker zu leidenschaftlichem, überaus engagiertem Spiel. Zu diesem scheint die fast abstrakte Szene gar nicht zu passen, ist aber optisch das wirklich Sensationelle der Aufnahme, ein Kunstwerk von Barkow Leidinger, eine so imposante wie schwerelos erscheinende, sich vielfach windende und zu einer Ellipse führende Treppe, auf der allerdings die Sänger wie verloren, ja bedeutungslos erscheinen. Zudem sind sie von Judith Holste in unscheinbare graue Klamotten gewandet, sogar Marzelline muss in grauen Schlabberhosen versuchen, Fidelio zu umgarnen. Nur Don Fernando ist ein Anzug in zartem Grün vergönnt, wohl weil er ein Hoffnungsträger ist. Christoph Waltz führt Regie und verdammt Solisten wie Chor dazu, bis zum Ende miesepetrig dreinzuschauen, von Befreiungsoper keine Spur. Es gibt einzelne feine Nuancen in der Personenführung, an denen man aufmerkt und sich mehr davon erhofft, jedoch gleich wieder durch Einfallslosigkeit enttäuscht wird, wenn Ausdruckslosigkeit verordnet zu sein scheint. Und nicht zu den besten, wenn auch spektakulärsten Einfällen gehört sicherlich, dass zu Beginn Florestan bzw. sein Stunt die gewaltige Treppe hinunter kullert, um an ihrem Boden, d.h. seinem Gefängnis, zu landen. So etwas muss man vorher lange trainiert haben, wenn man nicht Schaden nehmen will.

Mit hellem Sopran nicht ohne Schärfen singt Nicole Chevalier die Leonore, gefällt am meisten in den lyrischen Teilen, so in einem innigen Beitrag zu „Mir ist so wunderbar“, aber mit Problemen in „Ich folg dem innern Triebe“, wo die Stimme flach zu werden scheint. Insgesamt wünscht man sich für die Partie mehr Rundung und Wärme. Der Florestan von Eric Cutler profitiert davon, dass in dieser Fassung vom Engel Leonore nicht die Rede ist, die Stimme ist wenig geschmeidig, das Timbre nicht ansprechend, und im Dialog ist er kaum verständlich. Viele große Rollen singt seit einiger Zeit Christof Fischesser und bewährt sich auch als Rocco, der in dieser Produktion Leonore entwaffnet, was ihn nicht sympathisch macht. Ein junger Pizarro ist Gabor Bretz, der nicht brüllt, sondern singt und das textverständlich, weniger auch vokales Grimassieren beim „Er sterbe“ würde ihn noch glaubhafter erscheinen lassen. Ein feines Soubrettenstimmchen hat Mélissa Petit für die Marzelline, silberhell und mit leichtgängigen Koloraturen, die aus der ersten Fassung verblieben sind. Ein kerniger Spieltenor ist Benjamin Hulet als Jaquino, etwas verquollen hört sich die Stimme von Károly Szemerédy  für den Don Fernando an. Stellvertretend für den Florestan kugelt Gerhard Salem die Treppen hinunter. Eine Offenbarung ist weder die Regie des Oskarpreisträgers noch sind es die Leistungen der Sänger, eher schon die vom Arnold Schoenberg Chor und vom Orchester. (Unitel 803208). Ingrid Wanja