Spannende Reiseoper

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Wohl zu allen Zeiten reisefreudig waren, glaubt man der Opernliteratur, die Italienerinnen, auch wenn die Rossinis (von 1813) nicht freiwillig gleich bis nach Algier reiste und die weit weniger bekannte Domenico Cimarosas erst auf der Suche nach dem untreu geglaubten Geliebten bis nach London gelangte. Auch dem Dirigenten und dem Regisseur der Frankfurter Aufführung aus dem Jahre 2021 war das Werk nicht bekannt, Il Matrimonio segreto ein Begriff, dem Dirigenten allerdings auch ein Flötenkonzert des Italieners. Dieser lässt in L’Italiana in Londra (1778) in einem Londoner Hotel fünf Personen, die typisch für das Land ihrer Herkunft sein sollen, aufeinandertreffen (und an Rossinis Viaggio a Reims erinnern): die titelgebende Italienerin aus Genua, deren Landsmann aus Neapel, einen englischen Lord, einen holländischen Geschäftsmann und die Inhaberin der Herberge. Typisch für die Oper vor Rossini ist, dass die Liebhaber der beiden Damen über tiefe Stimmen verfügen, während der offensichtlich Ältere und unbeweibt Bleibende von einem Tenor gesungen wird.

Die Frankfurter Produktion siedelt in dem zweckmäßigen Bühnenbild von Paul Steinberg das Geschehen in einem Hotel der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts an mit noch einer Telefonzelle, einem Tresen und begrenzt von einer drehbaren Rückwand mit geographischem Muster. Die Kostüme (Doey Lüthi) sind teils witzig wie für die Wirtin, teils glamourös wie für die Italienerin, die zum Schluss wie ein aufgeplusterter Flamingo über die Bühne schwebt, und für die Männer die jeweilige Nation vertretend, d.h. der Neapolitaner in Grün-Weiß-Rot, mit Goldkettchen und Brustbehaarung. In seinem Gehabe allerdings gleicht er trotz aller Bemühungen eher einem kanadischen Holzfäller als einem Südländer. Natürlich wird in London viel Tee getrunken, und man hüllt sich auch gern in die damals allerdings noch nicht existierenden Flaggen. Mit immer neuen Einfällen weiß die Regie das Publikum bei der Stange zu halten, Monty Python, Brian Rix oder Linder Sterling scheinen Pate gestanden zu haben, und alle fünf Sänger sind mit sichtbarer und hörbarer Begeisterung dabei.

Auch die hoch amüsante akustische Seite lässt den Streit darüber, ob Cimarosa zweitrangig, weil zu vorhersehbar, sei, als müßig erscheinen, denn der auch am Hammerklavier begleitende Leo Hussain weiß die Erfahrung des Frankfurter Orchesters mit älterer Musik zu nutzen und sorgt für eine frische, durchsichtig erscheinende, temperamentvolle Begleitung. Auch die Rezitative sind unterhaltsam, da durchaus auch den Zuschauer von heute interessierende Themen berührend.

Einen hellen, zarten Sopran, der auch einer Blonde gut anstehen würde, hat Bianca Tognocchi für die liebeskranke Wirtin, die sich schließlich doch den dem Aberglauben verfallenen Neapolitaner sichert. Einen lyrischen, kühlen und höhensicheren Sopran setzt Angela Vallone für die titelgebende Livia ein, ist sehr attraktiv und hat mit „Dunque per un infido la libertà perdei?“ die bemerkenswerteste Szene. Mit präzisem  Charaktertenor und sicherer Höhe gestaltet Theo Lebow den Holländer, Iurii Samoilov ist der zu Unrecht treulos geglaubte Milord mit etwas dumpfem, aber sehr beweglichem Bariton, Gordon Bintner hat die sonorere, prägnantere dunkle Stimme für den Don Polidoro. Alle gemeinsam bilden ein hochkompetentes, sich einander ergänzendes Solistenensemble, das den Zuschauer für mehr als zweieinhalb Stunden bei der Stange halten kann (Naxos NBD0155). Ingrid Wanja