Skandale in der Direktionsetage

 

Händels Dramma per musica Agrippina ist derzeit auf vielen Bühnen anzutreffen. Jüngst tourten Joyce DiDonato und Franco Fagioli damit konzertant durch Europa, an der Bayerischen Staatsoper gab es im Rahmen der Münchner Opernfestspiele in diesem Sommer eine Neuinszenierung durch Barrie Kosky und nun legt Naxos die Aufzeichnung vom März 2016 aus dem Theater an der Wien vor, welche eine Inszenierung von Robert Carsen festhält (2.110579-80). Der Regisseur und sein Ausstatter Gideon Davey holten die Handlung um Kaiserin Agrippina, die ihren Sohn Nerone zum Nachfolger des vermeintlich gestorbenen Kaisers Claudio machen will, in die Gegenwart. Zu Beginn sitzt sie im schwarzen Lederrock (!!!) in einer hohen Halle, die (mal wieder) an Mussolinis Architektur erinnert, am modernen Schreibtisch mit Computer und Telefonanlage. Nerone im Schlafanzug zappt in den TV-Programmen. Wie originell und neu…

Patricia Bardon singt die Titelpartie mit strengem Mezzo von hoher Autorität. Schon ihre erste Arie, „L’alma mia“, zeigt die Flexibilität der Stimme und das unvermindert große Volumen auch in den Koloraturläufen. Jake Arditti ist ein jungenhafter Nerone mit jugendlichem Countertenor. Für das Fernsehen wird eine Szene inszeniert, wo er Almosen an die Armen verteilt, um sich beim Volk beliebt zu machen. Die Kaiserin versichert sich der Unterstützung ihrer Gefolgsleute Pallante (Damien Pass mit imposantem Bassbariton) und Narciso (Tom Vereney mit hohem Counter von larmoyantem Klang), die beide in sie verliebt sind. Nacheinander versuchen sie gar ein stürmisches Liebesspiel mit ihr auf dem Schreibtisch. In Trauerkleidung gibt sie sich danach pathetisch ihrem Schmerz über den toten Gatten hin, während sein Diener Lesbo im dreiteiligen korrekten Anzug und Brille (Christoph Seidl mit verquollenem Bass) unter Trompetengeschmetter dessen Rückkehr verkündet. Es war der getreue Ottone, der ihm das Leben rettete und dafür die Thron-Nachfolge versprochen bekam. Der Counter Filippo Mineccia singt ihn mit passioniertem Einsatz und virtuosem Vermögen. Ottones Liebe gehört Poppea, die aber auch von Kaiser Claudio und Nerone hofiert wird. Danielle de Niese singt sie verführerisch, die reich verzierte Auftrittsarie „Vaghe perle“ absolviert sie kokett im Spitzenunterkleid in einem großen  Rundbett. Wenig später beweist sie in„Fa’ quanto vuoi“ vehemente Koloraturattacke, denn die Intrige der Kaiserin zeigt ihre Wirkung: Sie machte Poppea glauben, Ottone habe sie verraten und im Tausch gegen den Thron an Claudio abgetreten, Seine Aufwartung kündigt der Kaiser (Mika Kares mit grobem Bass) mit prachtvollen Blumenbuketts an. Seine Leidenschaft  für Poppea führt zu einer turbulenten Bettszene mit unfreiwillig komischer Wirkung. Sie beendet den 1. Akt mit der bewegten Arie „Se giunge un dispetto“, in welcher de Niese mit äußerster Entschlossenheit den Konflikt der Figur schildert.

Den 2. Akt eröffnet Ottone mit der furiosen Arie „Coronato il crin d’alloro“. Er ist in Ungnade  gefallen, kann aber Poppea seine Treue beweisen. Seine Arie „ Voi che udite il mio lamento“ ist eine schmerzliche Klage, die der Counter mit tiefer Empfindung vorträgt. Der Schauplatz wechselt zu einem Swimmingpool, umgeben von Badenixen auf Liegestühlen, wo Poppea die launische Arie „Bella pur nel mio diletto“ singt, während Ottone mit „Vaghe fonti“ eine der schönsten Eingebungen Händels anstimmt – ein kurzes Arioso in siciliano-Manier. Auch Nerone kann gefallen in dem kantablen “Quando invita la donna“, das er in Badehose mit der Gitarre wie ein Ständchen vorträgt. Dann folgt Agrippinas große Szene „Pensieri“, vom Orchester mit harschen Akkorden eingeleitet und begleitet, in der die Interpretin auch heulende Töne nicht scheut und im Mittelteil sich in rasenden Furor steigert. Sie fordert Pallante und Narciso auf, Ottone zu ermorden, und ringt Claudio das Versprechen ab, Nerone statt Ottone zum Thronfolger zu bestimmen. Den 2. Akt beendet sie mit dem beschwingten und an Trillern reichen „Ogni vento“, wo es bei den hohen Noten einige grelle Momente gibt.

Im 3. Akt  in Poppeas Salon finden die Verwirrungen ihren Höhepunkt, aber alles nimmt einen glücklichen Ausgang. Poppea und Ottone besingen in einem innigen Duett („No, ch’io non apprezzo che te“) ihr Glück, während Nerone noch die rasante Bravourarie „Come nube“ zufällt, in der sich die Koloraturläufe zu überschlagen scheinen. Arditti beweist hier seine hohe Kompetenz im Barockfach. Das letzte Solo aber gebührt der Titelheldin – das getragen-sanfte „Se vuoi pace“  beweist auch akustisch, dass sich (scheinbar) alle Wogen geglättet haben. Denn leider verzerrt Carsen dieses lieto fine, indem er eine ausgelassene Orgie mit Feuerwerk, Konfetti, Sex und Alkohol zeigt. Am Ende lässt der offenbar wahnsinnig gewordene Nerone seine Mutter und Poppea ermorden.

Kein Einwand aber lässt sich gegen Thomas Hengelbrock finden, der das Balthasar Neumann Ensemble zu einer Glanzleistung führt. Das Preludio im 2. Akt  ist von fiebriger Spannung, der nachfolgende Chor „Di timpani e trombe“ von pompösem Glanz. Selten hat man den Dirigenten am Pult so stringent, differenziert und Affekt geladen erlebt. Bernd Hoppe