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Hätten sich die in die Historie eingegangenen Herrscher der Vergangenheit nur halb so viel mit amourösen Angelegenheiten befasst, wie uns Opernlibrettisten glauben machen wollen, dann wäre die Menschheitsgeschichte weit weniger blutrünstig verlaufen, als es leider der Fall ist. So wissen die Geschichtsbücher von einem König Xerxes I. zu berichten, der Aufstände gegen die Herrschaft der Perser in Ägypten und Babylonien niederwerfen ließ, dessen Heere bei den Thermopylen die Griechen („Wanderer, kommst du nach Sparta…“) besiegten und in der Seeschlacht von Salamis von ihnen besiegt wurden, der die Meerenge bei den Dardanellen mit 300 Peitschenhieben bestrafen ließ, weil eine gerade fertiggestellte Brücke einstürzte.
In Händels Oper Xerxes ist der Herrscher ausschließlich damit befasst, die Liebe der schönen Rodelinda zu gewinnen, die seinen Bruder Arsamene liebt, was sie mit ihrer Schwester Atalanta gemeinsam hat, während Xerxes‘ Gattin Amastre (historisch beglaubigt) erfolgreich versucht, den Gatten zurück zu gewinnen. Daraus ergeben sich natürlich viele heikle Situationen, Missverständnisse und Anlässe für Arien und Duette.
Die Oper verschießt ihr treffsicherstes Pulver gleich zu Beginn mit Xerxes‘ Arie „Ombra mai fu“, die vor dem Bild eines reich beblätterten Baumes vor dem Vorhang gesungen wird, ehe das Bühnenbild ( Karoly Risz) für die ersten beiden Akte sichtbar wird: eine reich gedeckte Tafel, an der die Protagonisten sich den Freuden des Essens und Trinkens hingeben, ehe allmählich mit den immer stärker aufwallenden Gefühlen die guten Sitten verloren gehen und schließlich pasta mista und insalata verde sowie alles andere den Partnern und besser Gegnern an den Kopf geworfen werden. Bis zu Beginn des dritten und letzten Akts ist dann die Tafel so demoliert, dass nur noch die Stühle nach Wiederaufgehen des Vorhangs auf der Bühne stehen. Das klingt alles nach brutalstem Regietheater, ist aber so fein spielerisch, so ironisch, so wenig provozierend, dass es eher zum Schmunzeln als zur Empörung animiert. Auch die Kostüme von Susanne Uhl sind nicht die Sänger und Sängerinnen bloßstellend, sondern eher ironisch charakterisierend, aber das in der allerfeinsten Art, deren sich auch die Personenführung (Regie Tilmann Köhler) befleißigt, indem sie bei allem Jux und aller Tollerei die Figuren nie der Lächerlichkeit preisgibt.
Mehr als zufrieden sein kann man auch mit der Leistung der Sänger. Gaelle Arquez ist ein androgyner Xerxes, dem das vokale Zupacken wie die zartesten vokalen Gespinste gleichermaßen zur Verfügung stehen, der die Rezitative fein modelliert, weitgehend von sanftem Klang ist und über ein schönes Legato verfügt. Die Sängerin brilliert auch in den Duetten wie dem mit Romilda („L’amerete?“) oder mit dem zweiten Mezzosopran in „Gran pena é gelosia“. Tanja Ariane Baumgartner hat für die verlassene Amastre eine warme und corporeiche Stimme, für die in Liebesdingen unschlüssige Romilda setzt Elizabeth Sutphen einen geschmeidigen, vor Schärfen nicht zurückschreckenden Sopran ein. Ihre Schwester Atalanta singt Louise Alder mit leichter, heller Sopranstimme. Einen ungewöhnlich reich timbrierten Altus hat Lawrence Zazzo für den doppelt geliebten Arsamene, dem er eine runde, ebenmäßige Stimme und eine generöse Phrasierung zu teil werden lässt. Markant und energisch gibt sich Thomas Faulkner als Elviro, auch Brandon Cedel vertritt als Ariodate die dunklen Stimmen und ist ein würdiger deus ex machina oder besser angelo ex machina mit körnigem Bass. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter Constantinos Carydis spielt schlank, straff und elegant.
Mehrfach und auch für die vergangene Saison wurde die Oper Frankfurt zum besten Opernhaus des Jahres gewählt, was, berücksichtigt man diese Produktion, nicht verkehrt sein kann (C Major 747908). Ingrid Wanja