Ohne falsches Pathos

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„Gurnemanz non finisce mai, stöhnte bereits nach einer halben Stunde Parsifal vor Jahren mein italienischer Freund, und Regisseur  Graham Vick wusste wohl um die Ungeduld italienischer Zuschauer und peppte das spröde Bühnenweihfestspiel für das Teatro Massimo in Palermo 2020 ordentlich auf, ehe er ein Jahr später an Covid starb. Dabei verzichtete er keineswegs auf traditionelle naturalistische Passagen wie die des sterbenden Schwans, fügte aber, ohne die Substanz der Oper zu entstellen, einiges an Handlung hinzu, vorwiegend als Schattenspiel hinter einer Brecht-Leinwand und vorzugsweise Gewalttätiges bis hin zum Meucheln einer Schwangeren, aber auch Sinnenfreudiges oder ganz das Gegenteil davon, wenn Klingsor die Hosen herunterlässt, um einen blutigen Fleck auf Schiesser-Feinripp an der Stelle zu zeigen, an der er kurz entschlossen und ein für alle Mal hatte Schluss mit dem Sündigen machen wollen. Aus den Gralsrittern sind bei Vick Fremdenlegionäre geworden, es könnte aber auch eine auf Abwegen geratene Friedentruppe in Afrika sein, Titurel war einmal Militär, wie die Ordensspange verrät, trägt nun aber Business, Amfortas nur ein Lendentuch plus Dornenkrone, Parsifal und Gurnemanz Räuberzivil und Kundry mal Modell Schwarze Witwe, mal Ökokonformes (Kostüme Mauro Tinti). Die Charaktere aber bleiben unverändert, dem Publikum bleibt ein Schock wie ein Kundry meuchelnder Gurnemanz wie in Berlin erspart, Vick nimmt auf das italienische Publikum Rücksicht, und so war sein schlimmster Fauxpas einst eine 56jährige Mariella Devia mit Minirock als Violetta in der Arena di Verona. Die liebliche Taube, die über den Bühnenhorizont zieht, hätte er sich diesseits der Alpen wohl kaum erlaubt, dafür fällt aber der Gral, ein Henkeltöpfchen unter einem Staubtuch, recht bescheiden aus, und so unbarmherzig die Ritter hinter der Leinwand mit der einheimischen Bevölkerung umgehen, so grausam sind sie durch blutiges Ritzen ihrer Arme sich selbst gegenüber. Das alles findet auf einer absolut kahlen Bühne (Timothy O`Brien) statt. Am Schluss ist der mitteleuropäische Zuschauer erstaunt, eine Idylle mit einem herzigen Parsifal, umgeben von erlösten Kindlein zu erblicken, ist er doch daran gewöhnt, sich happy ends ins Gegenteil verkehren zu sehen, so mit einem Maccolm schlimmer als Macbeth, einem Fidelio-Minister als neuem Unterdrücker, natürlich einem Parsifal als alles andere als Erlöser.

Generalmusikdirektor Omer Meir Wellber wollte nach eigenem Bekunden Parsifal von falschem Pathos befreien, was einen durchsichtigen Klang, recht hurtige Tempi und sängerfreundliche Lautstärken zur Folge hat, irgendwie italienischer klingt, als man es gewöhnt ist.

Vorzüglich ist mit wenigen Ausnahmen das Sängerensemble mit einem in jeder Hinsicht Autorität ausstrahlenden Gurnemanz, dem John Relyea die gebieterische Statur und eine auch vokale Dominanz verleiht, die den Zuschauer bannen kann, sein in allen Lagen hochpräsenter Bassbariton ist weit entfernt von allem Alt-Männer-Grummeln, man möchte ihn einen Heldenbassbariton nennen, so viel Metall offenbart sich in der Stimme. Mit guter Diktion und schön ausgesungenen Phrasen kann sich auch der Amfortas von Tómas Tómasson profilieren, der eindrucksvoll seinen roten Königsmantel wie eine Blutspur hinter sich herzieht. Der Parsifal von Julian Hubbard hat eine sichere Höhe, die er in dieser Partie natürlich kaum zur Geltung bringen kann, in der Mittellage, die manchmal gequetscht klingt, stören hässliche Vokalverfärbungen, es gibt aber durchaus auch Passagen, in denen er  den vokalen Strahlemann hervorkehren kann. Titurel ist Alexei Tanovitski mit vergleichsweise hohl klingendem Bass. Und Kundry? Catherine Hunold ist keine dieser modernen Model-Sägerinnen, die auch optisch verführen könnte. Ihre Mittellage hingegen klingt angenehm weich, rund und warm, ihr „Schlafen“ erdawürdig, die Höhe allerdings ist wenig prägnant, da wird auch mal geschummelt. Selbst bei Blumenmädchen, Rittern, Knappen und der Stimme aus der Höhe hat man kaum einheimische Kräfte eingesetzt, abgesehen wohl von Elisabetta Zizzo, die einem Knappen und einem Blumenmädchen mediterranen Glanz verleiht, während Stephanie Marshall eine trostreiche Stimme aus der Höhe ist. Angesichts der Qualität der Aufführung und des traurigen Endes, das der Regisseur erleiden musste, kann man diesen hoch interessanten Parsifal durchaus als Vermächtnis Graham Vicks ansehen (C Major 759404). Ingrid Wanja