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Keineswegs mit Kindern sollte man die Produktion der Bayerischen Staatsoper von Hans Abrahamsens Oper The Snow Queen besuchen, denn wenn das Stück selbst noch als Märchen durchgehen könnte, so ist die Inszenierung von Andreas Kriegenburg von 2020 eher einer Revolutionierung der Behandlung psychisch Kranker gewidmet, denn dem armen Kay, dem durch einen Splitter aus dem Spiegel des Teufels jegliche Beziehungsfähigkeit abhanden gekommen ist, wird zu Beginn eine abstoßende, sicherlich nicht förderliche Behandlung durch Massen von Krankenschwestern und Ärzten zuteil, während am Schluss fröhliches Treiben an der gleichen Stätte auch ihn mit einbezieht, ihn sogar als Erwachsenen wieder beziehungsfähig gemacht hat. Ein inniger Kuss, der Gerda auf den Mund gedrückt wird, beweist es. Das geschieht natürlich der erwachsenen Gerda, von der es wie von Kay gleich zwei gibt, eine Schauspielerin und eine Sängerin, dazu noch ein Kinderpaar, so dass zweitweise anstelle der vorgesehenen zwei gleich sechs Personen auf der Bühne versammelt sind. Den Mund öffnen dürfen nur die Sänger, die Schauspieler, insbesondere von dem des Kai muss das gesagt werden, stieren nur bedeutungsschwanger vor sich hin. So kalt wie das Ambiente (Bühne Harald B. Thor )auch durch ständigen Schneefall wirkt, so kühl erscheint die aus einer Art Zirpen erwachsende Musik, in der man Eis klirren, Schlittenglocken läuten, Schneestürme sich entwickeln hört, ein Zustand ständigen Schwebens erreicht wird, die mal atonal, mal tonal erscheint und die die Sänger nicht vor unzumutbare Aufgaben stellt. Winter und Kälte sind Themen, die den Komponisten stets besonders interessiert haben. An der guten Singbarkeit der Oper hat wohl auch die Initiatorin des Werks, die Sopranistin Barbara Hannigan, die die Gerda sowohl in der Uraufführung mit dänischem wie in der deutschen Erstaufführung mit englischem Libretto sang, ihren Anteil.
Liest man das Interview mit dem Regisseur im Booklet der Video-Aufnahme, wird man folgendermaßen belehrt: „Wir erleben Kay und Gerda in drei Lebensstufen, in drei Stufen des Zusammengehörens: als Kinder, als junge Liebende du als das reife Paar…..Anfang fünfzig. Kays weibliche Stimme ist quasi die Wesensgestalt, die Gerda jetzt, nach Eintreten des Traums, sieht und dank derer es für sie leichter geworden ist zu verstehen, dass dieses zarte Wesen, diese fragile Stimme, nicht stark genug war für die Tristesse des Alltags“. Da kommt man einmal mehr nicht um das Fazit herum, dass das Bühnengeschehen und seine Erläuterung im Programmheft weit auseinander klaffen, man eine Midlife-Crisis-Oper nicht vermutet hätte. Immerhin ist das alles recht unterhaltsam, wenn auch über weite Strecken hinweg rätselhaft bleibend, warum sind Prinz und Prinzessin Glatzköpfe in Nachtwäsche (Kostüme Andrea Schraad) , warum dient der Schauspieler-Kay als Rentierkörper, und bereits der Schöpfer der Oper selbst muss sich fragen lassen, warum das Räubermädchen unterschlagen, die Schneekönigin mit einem Bass besetzt wird.
Dirigent Cornelius Meister nimmt sich der Partitur mit liebevoller Sorgfalt an, arbeitet viele Einzelschönheiten heraus, sorgt für eine angenehme Ausgewogenheit zwischen Orchestergraben und Bühne. Barbara Hannigan ist überaus intensiv als Gerda, die Partie ist ihr auf die Stimmbänder komponiert, sie klingt durchweg angenehm und manch schöner Schwellton ist ihr vergönnt. Ihr Schauspieler-Ebenbild ist Anna Ressel mit viel Liebreiz, das Kind Sophie Veronik hat sogar ein Kleid aus dem gleichen Stoff wie die erwachsenen Gerdas. Leider viel weniger zu singen hat der Kay von Rachael Wilson, die eine sehr feine, kostbar klingende Mezzostimme hat. Schauspieler Thomas Gräßle guckt bedeutsam leer, muss sich auch oft seine Lagerstätte mit den beiden anderen Kays teilen (das Kind Kay ist Louis Veronik, also der Bruder der kleinen Gerda-Darstellerin). Der bewährte Peter Rose verleiht Statur und Stimme nicht nur der Schneekönigin, sondern auch dem Rentier. Katarina Dalayman ist Grandmother, Old Lady und Finn Woman, als welche sie auch zeigen kann, wie intakt die Stimme ist. Munter krähen Kevin Conners und Owen Willetts als eben diese Vögel. Caroline Wettergreen und Dean Power müssen sich hässlich machen und haben auch nicht viel zu singen. Ein zwielichtiges, Patienten beängstigendes Bild bietet der Chor als Klinikpersonal und anderes. Es wäre interessant, das Stück auch in einer anderen Inszenierung zu sehen, in Straßburg gab es bereits eine solche (Bluray disc BSOrec LC96744). Ingrid Wanja