Beispiele dafür, dass eine Oper durch die Regie verhunzt wird, gibt es viele, solche für die Aufwertung eines Stücks nur wenige, und Mozarts Frühwerk Lucio Silla geschieht genau das durch die Inszenierung von Marshall Pynkoski für Salzburg, die zwei Jahre später, 2015, auch an der Scala aufgeführt wurde. Die herbe Geschichte vom Tyrannen Silla, der in der Oper mit Lieto Fine (komponiert für den Milaneser Karneval) entgegen der historischen Wahrheit in sich geht und rebellierende Adlige begnadigt, gemäß der Realität abdankt und – darüber berichtet die Geschichtsschreibung nichts – jedem Begehren entsagt, wird in die Entstehungszeit verlegt, mit Balletteinlagen aufgemöbelt und mit leichter Ironie und feiner Zweideutigkeit, so inzestnahem Verhalten zwischen dem Diktator und seiner Schwester, gewürzt. In das graziöse Rokokotreiben der bezopften Kavaliere und Reifröcke tragenden Damen reihen sich auch die Solisten ein, denen manch mehr oder weniger gelungener Tanzschritt vor malerischen Kulissen im Pinien- und Zypressenhain oder vor römischen Bauten (Szene und Kostüme Antoine Fontain) abverlangt wird. Bewusst wird auf jeden Versuch verzichtet, den Eindruck von Realismus aufkommen zu lassen, maßvoll pathetische Gesten betonen vielmehr, dass es sich um Theater und zwar um hochprofessionelles handelt, dass man das Kunstvolle, nicht aber das Gekünstelte anstrebt und auch erreicht.
Anders als in Salzburg, wo Marc Minkowski mit seinem Pariser Orchester musizierte, wirkt hier das hauseigene Orchester der Scala, und die Musiker beweisen, wie vertraut sie mit allen in der Welt der Oper möglichen Stilen sind. Der Chor unter Bruno Casoni steht ihm darin nicht nach. Vorgesehen für die Titelpartie war Rolando Villazón, der in Salzburg bei den Mozartwochen und den Festspielen offensichtlich enttäuscht hatte und durch die bei ihm übliche, in dieser Inszenierung aber unangebrachte Überaktivität eher unangenehm aufgefallen war. Er sagte ab und wurde durch Kresimir Spicer ersetzt, der durch szenische wie vokale Grobschlächtigkeit etwas aus dem geschmackvollen Rokokorahmen fiel. Sein Tenor ist schwer einzuordnen, dürfte am ehesten noch im Charakterfach reüssieren. Alle weiteren Partien sind mit Sängerinnen besetzt, von denen dem Mezzosopran Marianne Crebassa die Krone wirklichen Starglanzes gebührt. Die junge Französin, die allüberall als Cherubino entzückt, ist als Celio ein elegant-verführerischer Rokokokavalier mit römischem Adelsstolz und dazu mit dem dazu passenden leuchtenden, ebenmäßigen und apart timbrierten Mezzosopran, ihr gelingen wunderbar weiche Intervallsprünge, und ihr „Pupille adorate non lagrimate“ ist von allerfeinstem lyrischem Fluss. Von schöner Geläufigkeit und Rundung und wie selbstverständlich die Schwierigkeiten des Hochvirtuosen meisternd ist auch die Stimme von Inga Kalna für den Lucio Cinna, nur in der Höhe etwas spitz und optisch in der Hosenrolle wenig attraktiv. Anstelle von Olga Peretyatko in Salzburg singt Lenneke Ruiten die umschwärmte Giunia mit, wo angebracht, tragischem Klang im Sopran, nicht immer sauberen Intervallen, aber sehr sicher in den anspruchsvollen Koloraturen. Viel Charme und einen leichten Soubrettensopran steuert Giulia Semenzato als Celia zum Gelingen der Aufführung bei (Cmajor 743308 DVD). Ingrid Wanja