Nachklang

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Irritationen und Argwohn löst beim Werktreue liebenden Opernfreund bereits das Cover der Naxos Bluray aus, auf dem Richard Strauss‘ Oper Arabella angekündigt wird und auf dem sich prügelnde Mannsbilder zu sehen sind; verstärkt wird das unbehagliche Gefühl durch das Foto auf dem Booklet, das ein Schnurrbart tragendes androgynes Wesen wohl kurz vor dem Orgasmus zeigt, und die Silberscheibe selbst ziert ein höchst gegenwärtig wirkendes Paar in bester Laune: Zdenka weiterhin mit Bärtchen und Matteo mit modischer Haarknotenfrisur. Und Arabella? Das Hassobjekt des kämpferischen Feminismus („Du sollst mein Gebieter sein!“) fand wohl nicht das Interesse des Regisseurs Tobias Kratzer, dessen Zuneigung ganz offensichtlich nicht einmal der das Mädchensein herbeisehnenden, aber aus Kostengründen zum Mannsein verdammten jüngeren Schwester der Titelheldin galt, sondern der mit seiner Einbeziehung alles nur denklichen Queerseins sich den Matteo filmisch zum Vorspiel zum dritten Akt erotisch an Schnäuzer und (weiblichen)Brüsten abarbeiten lässt, und irgendwann denkt man sich in Eugen Onegin versetzt, nur dass nicht Lenski (Matteo) erschossen wird, sondern sich Zdenka zwischen die Duellanten wirft..

Dabei beginnt es ganz traditionell wirkend und erst allmählich irritierend übertreibend, was szenischen Naturalismus betrifft, in einem mit allen Insignien der Belle Époque ausgestatteten Wiener Hotelzimmer, mit ebenso prachtvoller Rezeption und nur ab und zu störend dazwischen herum huschenden Kameraleuten, die Schwarzweißbilder, mal von Gesichtern, mal auch nur von Stiefeln auf die Leinwand werfen. Der zweite Akt spielt nicht in einem, sondern vor einem Ballsaal, Bauhausstil macht sich breit und die üppigen Kostüme des ersten Akts (Bühne Rainer Sellmaier, Kostüme eben der plus Clara Hertel) weichen allmählich Zwanziger-Jahre-Chic, SA-Leute brechen prügelnd herein, und der dritte Akt spielt schließlich auf der bis auf eine Bank leeren Bühne, auf der die  sich emanzipiert habende Arabella mit einer Plastikflasche erscheint, um den sich recht lächerlich dagegen wehrenden Mandryka nass zu spritzen. Hurra, sie hat sich emanzipiert! Im Programmheft heißt es, dass „ihr Verhältnis neu verhandelt“ werden muss. Aber auch die ältere Generation lässt sich in puncto sexueller Befreiung nicht lumpen , denn Adelaide zog bereits im zweiten Akt mit einem der gräflichen Freier an der Hundeleine ab. Tobias Kratzer bekam den kürzlich verliehenen Preis für die beste Regie nicht für diese Arbeit, sondern für den mittleren Teil der aus Arabella, Intermezzo und Die Frau ohne Schatten stammenden Trilogie an der Deutschen Oper Berlin.

Da einige der Sänger am Premierenabend indisponiert waren, die kurzfristig eingesprungene Sängerin der Titelpartie die dritte nach zwei Absagen war, stammen die Aufnahmen aus zwei Vorstellungen, darunter auch der Schlussapplaus aus der Premiere, der einen heftigen Buh-Sturm auf das Regieteam niedergehen und einige Missfallensbekundungen auch den Dirigenten treffen sah.

Kurzfristig eingesprungen war Sara Jakubiak als Arabella mit schöner optischer und unangefochtener auch vokaler, allerdings etwas kühl klingender Präsenz. Umso inniger und dabei noch mit strahlenden Höhen ausgestatteter Sopranstimme begabt klang die Zdenka von Elena Tsallagova, die allerdings es auch der Regie zu verdanken hatte, dass sie zur eigentlichen Heldin des Werks wird. Die Familie komplett war mit dem die Bühne dominierenden Paar Waldner vom basspotenten Albert Pesendorfer und Gattin Adelaide in Gestalt und mit Stimme der hochpräsenten Doris Soffel. Russel Brauns Bariton klingt auf der Aufnahme wärmer und runder als aus der Premiere erinnerlich, der Tenor von Robert Watson, der den Matteo singt, klingt weniger strahlend als der des Elemer von Thomas Blondelle. Szenisch stiefmütterlich behandelt, stellt sich die Fiakermilli von Hye-Young Moon umso strahlender dar.  Aber ist es um den deutschen Sängernachwuchs oder seine Ausbildung so schlimm bestellt, dass nur die ältere Generation sich noch auf den Bühnen behaupten kann?  Nicht nur die Regie war für alle drei Straussopern einer Hand anvertraut, auch Nochchefdirigent Donald Runnicles dirigierte nicht nur die erste, sondern auch die beiden weiteren Strauss-Werke und das mit leuchtendem Orchesterklang und, wo angebracht, straffem und  doch zugleich die Schönheiten der Partie auslotendem Spiel sich als Straussdirigent bewährend (Naxos 800182V). Ingrid Wanja