Moderne Regie am rechten Platz

 

Mozarts Lucio Silla aus dem Teatro Real in Madrid hat alle Ingredienzien einer Produktion à la modernes Regietheater, und gerade deswegen macht sie die eigentlich vier Stunden dauernde Opera Seria des sechzehnjährigen Mozart erst goutierbar. Ein schmuddeliges Bühnenbild, für das sich die Drehbühne (Christian Schmidt) zwischen beschädigter Kachel- und grauer Betonwand bewegt, Elendsgestalten zusätzlich zum Personal des Werks sowie die Verweigerung des happy end sorgen dafür, dass die allzu klischeehafte Handlung und die ebensolchen Personen quasi aufgemischt und aufgeraut werden, aus der Aneinanderreihung der Arien eine Handlung wird und das Interesse an ihnen und ihr gewährleistet ist. Eine elende Matratze, eine wie aus einem verunglückten Flugzeug  herausgeschleuderte Sitzreihe und die unvermeidlichen Maschinenpistolen sind vielleicht zu viel des Guten so wie auch sinnlose Handlungen wie der Austausch von Jacketts und ähnliches, aber es gibt auch poetische Momente wie die Schattenspiele, die viel über die Beziehung der Personen zueinander aussagen, oder den Blütenregen zu den freundlichen Visionen von Sillas Schwester Celia und die Räume in dem „sterbenden Blau“, das Friedrich dem Großen so lieb und teuer war. Regisseur Claus Guth glaubt nicht an die reuige Wandlung des Tyrannen Lucio Silla und lässt ihn nach nur vorgetäuschter Läuterung und damit Abdankung wie den Teufel aus dem Kasterl wieder auf die Bühne springen. In Wien hatte die Produktion Premiere, ging dann nach Madrid, wo diese Aufnahme entstand, und nach Barcelona.

Vorzüglich sind auf vielerlei unterschiedliche Art die Sänger. Am meisten wird zum Schluss Patricia Petibon als Giunia vom Publikum bejubelt, obwohl sie am wenigstens dem Mozartgesangsstil gerecht wird, sondern ohne Rücksicht auf stilistische Verluste extrem extrovertiert und mit überbordender darstellerischer Intensität sich in veristische Nähen begibt. Die beste Sängerin der Aufführung ist Silvia Tro Santafè als Cecilio mit ebenmäßigem, kernigem, androgyn klingendem Mezzosopran höchster Stilsicherheit. Durch das bubenhafte Aussehen gewinnt ihre Darstellung zusätzlich. Ihre „Pupille adorate“ sind ein später Höhepunkt der Aufführung. Auf eine adäquate Optik kann  Inga Kalna als getreuer Cinna nicht bauen, aber auf eine geschmeidige Stimme geläufiger Koloraturen wie aus einem Guss, mit Mezzofarben auch in der Extremhöhe und unangefochten im dramatischen „De‘ più superbi il core“. Einen kühlen, klaren Sopran hat Maria José  Moreno für die Celia, einen sehr angenehmen, weichen Tenor Rossini-Spezialist Kenneth Tarver für den Aufidio. Kurt Streit besticht durch eine famose Diktion, muss zwar auch mal ins Falsett ausweichen, gibt dem spröden, unberechenbaren Herrscher aber darstellerisch wie vokal eindrucksvolle Konturen.  Wer könnte besser als Ivor Bolton die genialischen Züge der Musik des Teenagers Mozart herausarbeiten – er wird denn auch zu recht besonders gefeiert (BluRay BelAir C450). Ingrid Wanja