Metzgers Beste

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„Entweder du bist Wagner-Fan oder du bist es nicht.“ Stimmt. „Um diese Musik zu schreiben, musst du schon ein bisschen irre im Kopf sein.“ Stimmt auch. Und wem haben wir diese Einsichten zu verdanken? Der Metzgersfrau Ulrike Rauch, die gemeinsam mit ihrem Mann Georg eine Fleischerei in Bayreuth betreibt. Würste gehen immer in Franken. Auch Wolfgang Wagner, der Enkel und langjährige Chef der Festspiele, gehörte zur Kundschaft. Der Hügel liebt es offenbar deftig. Katharina, Tochter, Urenkelin und alleinige Herrin hat zur fröhlichen Gartenpartie ins Elternhaus gleich um die Ecke des Tempels geladen. Auf den Bratrost geht es eng zu. Es liegt nahe, dass die Würste aus der Produktion der eingefleischten Fans stammen? Bayreuth und der Rest der Welt. So der Titel eines Films von Axel Brüggemann. Er lief schon im Kino. Jetzt ist er bei Naxos auch auf DVD erschienen (NBD 0146V). Es beginnt in Venedig, wo Wagner am 13. Februar 1883 im Palazzo Vendramin starb.  Die feine Adresse am Canale Grande beherbergt das Casino der Lagunenstadt.  Wagnerverbände treffen sich dort. Mit dabei Katharina, die wie an einem Kapitänstisch Hof hält und sich im Sterbezimmer des Urahnen, wo noch ein paar seiner Schuhspanner überlebt haben, ins Gästebuch einträgt. Die Tagung in historischen Räumen beginnt mit dem Gedenken an verstorbene Mitglieder. Auch die versammelten Damen und Herren sind nicht mehr die Jüngsten. Ein Teilnehmer sagt, dass man Wagners Werk als Religion bezeichnen müsse, weil es viele Fans auch so auslebten. Wieder ein anderer fühlt sich in einem Schaumbad, wenn er Wagner hört. Ein Wohlfühlelement sei das. Eine Art Selbsthilfegruppe nennt eine junge Frau die Gemeinde der Wagnerianer.

Es kommen auch ausgewiesene Fachleute zu Wort wie der der US-amerikanische Wagner Experte Alex Ross, der viel zu sagen hat über Wagner. Vorbereitungen zu Tristan und Isolde in der Inszenierung der Hausherrin, die aus ihrem künstlerischen Alltag plaudert und die nach wie vor gute Arbeitsatmosphäre lobt, führen in den sagenhaften Zuschauerraum. In Proberäumen stimmen sich Sänger ein. Catherine Foster übt mit einem Korrepetitor Brünnhilde. Placido Domingo, der als Dirigent für die Walküre engagiert ist, irrt durch einen Gang. Er ist auf der Suche nach jemandem, und man fürchtet schon, er würde durch die falsche Tür gehen. Es ist ein Film der scharfen Schnitte und der häufig wechselnden Szenen, die nicht alle erwähnt werden können. Es soll keine Langeweile aufkommen. Ein Teil des Publikums, der vor allem angesprochen werden soll, ist das so von anderen Medien so gewöhnt. Die bodenständigen Wurstproduzenten werden gleich mehrmals bemüht und dienen auch als Stichwortgeber. Als sie sich an die „erste schwarze Venus“ auf dem Grünen Hügel erinnern – es war Grace Bumbry – finden sich die Zuschauer ganz plötzlich in der Bethany Baptist Church in New Jersey wieder, wo die farbige Sängerin Manna Knjoi die Hallenarie der Elisabeth anstimmt und später die Brünnhilde in der Götterdämmerung. Dort organisierte der Bassist Kevin Maynor einen Open-Air-Ring mit „people of color“.

Wieder in Bayreuth schreitet Valeri Gergiev heran und wird herzlich umarmt. Er spricht davon, dass Wagner bei seinem Aufenthalt in St. Petersburg dem russischen Publikum die „goldene Tradition deutscher Musik“ nahebrachte, dirigierte Tannhäuser und flog in einem Flugzeug – seinem eigenen? – nach herzlicher Verabschiedung wieder davon. So schnell wird er wohl nicht wiederkommen dürfen. Und was für eine Ironie der Geschichte: Nach Gergiev Auftritt macht das Filmteam in Riga Station. wo der junge Wagner von 1837 bis 1839 als Kapellmeister wirkte. „Er mochte Riga nicht besonders, aber er war hier sehr aktiv“, weiß der ehemaligisch lettische Premierminister Maris Gailis. Es werden ehrgeizige Pläne für ein Theater im Stil der Wagnerzeit und ein Wagner-Museum vorgestellt.

Ein Film über Wagner und Bayreuth kommt auch siebenundsiebzig Jahre nach dem Ende des Hitlerfaschismus nicht ohne umfängliches Eingehehen auf dessen Antisemitismus aus. Anknüpfungspunkte ergeben sich von selbst. 2018 inszenierte der Regisseur Yuval Sharon, der mit Dreizehn mit Siegfried seine erste Oper gesehen hat, Lohengrin. Die Frage, die ihm am häufigsten gestellt würde, ist die, wie er sich in Bayreuth als Jude und Amerikaner fühle. Er habe das teilweise so erwartet, aber die Journalisten hätte wohl nicht erwartet, dass er sich an diesem Ort wohlfühle. Das sei gewiss eine große Überraschung für sie. Die Vergangenheit dürfe nicht vergessen werden, aber man könne versuchen, Neues aufzubauen. Seine Kollege Barrie Kosky ist auch auf der Bühne in seiner Meistersinger-Deutung hart mit Wagners Haltung zu Juden hart ins Gericht gegangen und hat dem Publikum nichts erspart. Rüdiger Winter