Loy allerorten

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Das kann er. Gesellschaftsszenen inszenieren. Bis in die Nebenfiguren raffinert ausgeleuchtet mit Augenaufschlag und Fingerschnippen, erotische Annäherungen abseits des Hauptgeschehens. Das hatte Christof Loy im strahlend hellen Einheitsraum für Salome gerade in Helsinki demonstriert, als er die Szene anschließend im Mai 2022 im marmorschweren dunklen, selbstverständlich von Johannes Leiacker entworfenen Jahrhundertwend- und Art Deco-Ambiente für Schrekers Schatzgräber in Berlin als Abendgesellschaft abwandelte. Loy ist ein Schatzfinder, wo manchmal nur Tand verborgen ist. Das ist meist vorhersehbar brillant, so in dieser Aufführung an der Deutschen Oper, wo Loy u.a. Schrekers ebenso erfolgreichen und ebenso lange vergessenen Kollegen Korngold mit dem Wunder der Heliane gehuldigt hatte – ebenfalls bei Naxos auf DVD verfügbar wie die Berliner Francesca da Rimini von Zandonai. Korngold und Schreker hatten mit Die tote Stadt bzw. Der Schatzgräber die größten Opernerfolge des Jahres 1920 geliefert. Zeitgleich mit dem Schatzgräber (Blu-ray Naxos NBDO173V) kam ebenfalls bei Naxos die bereits Ende 2018 am Theater an der Wien erarbeitete Euryanthe heraus (DVD 2.110656). Im Gegensatz zum Schreker, den ich in Straßburg gesehen hatte, wohin er noch im Herbst 2022 als französische Schatzgräber-Erstaufführung wanderte, blieb die Euryanthe auf Wien beschränkt. Das rätselhafte Märchen vom fahrenden Spielmann Elis, dem „Schatzgräber“, der mit seiner Wünschelrute den Schmuck der über den Verlust depressiv gewordenen, dekorativ drapierten Königin wiederbeschaffen soll, wird von Loy in seinem psychologisch verästelten Salonstück elegant umschifft. Den Schmuck hat die junge Els, eine manipulative Frau und Mordanstifterin, deren Verführungskunst die Männer fast reihenweise zum Opfer fallen und die am Ende nur der Narr vor dem Schafott retten kann. Elis, der eine wunderhafte Liebesnacht mit ihr erlebt und sich von ihr abgewendet hatte, singt sie in den Tod. Dreh- und Angelpunkt ist Schrekers rauschhafte Musik, die Marc Albrecht mit dem Orchester der Deutschen Oper großräumig und süffig, doch nie entfesselt erklingen lässt. Als bodenständige Servierkraft kann Elisabet Strid als Els kühle Ekstasen entwickeln, wohingegen ihr die Zartheit des Schlafliedes schon ein wenig Mühe bereitet, überzeugender ist ihr schwedischer Landsmann, der große Daniel Johansson in der nicht minder strapziösen Titelpartie als Elis. Das große Ensemble nutzt seine Möglichkeiten sich in der Abendgesellschaft zu profilieren, wobei sich alle lauernd umschleichen, elegant posieren, smart im Smalltalk zuneigen, anzügliche Nähe aufbauen: darunter Clemens Bieber als Kanzler, Gideon Poppe als Schreiber, Patrick Cook als Albi, Michael Adams als Graf, Thomas Johannes Mayer als Vogt, Tuomas Pursio als König. Loy verliert keinen aus dem Blick, auffallend gleich zu Beginn Seth Caricos mindestens so locker spielender wie singender Junker. Ausgezeichnet Michael Laurenz als sympathischer rührender Narr, dem die Herzen zufliegen.

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Bemerkenswert rund, saftig in den Holzbläsern und weich in den Streichern erklingt bereits die Ouvertüre zur Euryanthe, wobei Constantin Trinks mit den ORF Symphonie-Orchester den warmherzigen Ton beibehält, der sich offenbar im nicht allzu großen Theater an der Wien so vorteilhaft entfaltet. Wie auch die vielen markanten Chöre mit dem Arnold Schönberg Chor. Ähnlich groß war das nur wenig jüngere Kärntnertortheater, wo im Oktober 1823 die Uraufführung der Großen romantischen Oper Euryanthe stattgefunden hatte. Man muss sich nicht erneut über Helmina von Chézys Librettos auslassen, das im Übrigen, da hat Christof Loy vollkommen recht, nicht übler als viele andere ist. Staunen darf man jedes Mal erneut, wenn man, selten genug, diese Oper hört, die man unwillkürlich in einen Zusammenhang mit dem Lohengrin setzt. Aber, auch da hat Loy recht, „man wird dem Stück nicht gerecht, wenn man ihm nur in einen musikhistorischen Zusammenhang eine Schlüsselfunktion zukommen lassen will. Eine Wertschätzung muss doch auch möglich sein, ohne auf das voraus zu blicken, was dann noch kommt“. Mit seinem ziemlich guten Ensemble ließ Trinks im Dezember 2018 die Musik wirken, während Loy in dem außerordentlich tiefen weißen Raum von Johannes Leiacker mit vier tiefen raumhohen Fenstern auf der einen Seite, einem Flügel in der Mitte und einem Eisenbett auf der anderen Seite, fern von französischem Mittelalter des 12. Jahrhunderts schöne Bilder zu den mal mehr oder weniger eingetrübten Seelenlandschaften kreiert. Die Damen in 50er-Jahre Ensembles, die Herren kommen in feschen Anzügen und Stiefeln, zur Jagd-Saison im dritten Akt mit Janker und kurzen Lederhosen, die böse Eglantine im langen roten Kleid. Erlesen. Geschmackvoll. Die Nachkriegssituation, „Ein langer Krieg ist zu Ende“, wird szenisch nicht aufgegriffen. Lysiart begehrt Euryanthe, die ihrerseits Adolar liebt, von dem sie wiedergeliebt wird. Adolar wird von Eglantine begehrt. Ein schiefes Liebesquartett im bürgerlichen Salon. Das fiese und gemeine daran ist, dass die finsteren Lysiart und Eglantine ihre Lüste und Wünsche perfide ausspielen und die arglose Euryanthe der Untreue beschuldigen. Unverschuldet wird Euryanthe mit einem Makel versehen. Die Intrige wirkt besonders perfide, da bei Loy die Protagonisten im Raum anwesend sind, wenn von ihnen gesprochen wird. Der weite weiße Rock und das schwarze Oberteil der Titelheldin könnten etwas trutschig wirken, wozu auch der Text von Euryanthes Cavatina „Glöcklein im Tale“ passt, aber Jacquelyn Wagner macht aus der damenhaft distanzierten Tugendstatue mit der Perlenkette eine moderne junge Frau, deren Geliebter verändert aus dem Krieg zurückkehrt, die plötzlich den grabschenden Händen der Männer ausgesetzt ist und dann noch die Kraft für das reichlich weichgezeichnete Happyend („Hin, nimmt die Seele mein“) findet. Wagner vermittelt das fast glaubwürdigt, ist mit ihrer unermüdlich strahlenden Jubel-Stimme und dem ausgezeichneten, vielversprechenden jugendlich-dramatischen Sopran geradezu ideal. Ganz Ausdruck und Emphase ist Theresa Kronthaler, sie singt die barfüßige Eglantine mit rundem, höhenstarkem Mezzosopran, aber auch harschen Ausdruckstönen, vielfach mit einer Spur Überforderung und Hysterie. Beider großes Duett im ersten Akt bleibt langweiliger als es sein müsste. Norman Reinhardt hat in den Partien, die er zu Beginn seiner Karriere sang, eine gewisse Beweglichkeit gezeigt, doch sein weißer Tenor wirkt in der Höhe nicht frei, wobei Adolars Romanze „Unter blühnden Mandelbäumen“ auch kein dankbarer Auftritt ist, singt sich dann aber bis zum Hochzeitsfest frei. Andrew Foster-Williams ist stets ein lockender Singdarsteller, der sich zunehmend das dramatische Bösewichtfach erobert, auch wenn es ihm nicht wirklich liegt, und der sich nicht scheut nackt über die Bühne zu laufen, was er dann auch als Jochanaan in der erwähnten Salome als Lustobjekt der Gesellschaft ausgiebig machte. Foster-Williams macht Lysiart zur faszinierendsten Figur der Oper und fesselt vom ersten Auftritt an, als Verführer, heimlich Liebender, der sich in seiner Szene zu Beginn des 2. Akts nackt der schlafenden Euryanthe nähert, und letztlich als Retter der Beschuldigten; das ist das reiche Psychogram eines schutzlos Liebenden, gezeichnet mit vibrierend expansivem Bariton, der seine Schwärze aus der scharfen Artikulation erhält. Rolf Fath