Der 1733 in Venedig uraufgeführte Motezuma gehört zu den rekonstruierten Opern Vivaldis, nur der zweite Akt ist vollständig erhalten, der erste und dritte nur teilweise, manchmal finden sich auch noch Fragmente fehlender Arien. Alan Curtis legte 2006 eine schlüssige Einspielung bei Archiv/Deutsche Grammophon vor, bei der der Vivaldi-Experte Alessandro Ciccolini die fehlenden Stellen ersetzte bzw. Rezitative neu komponierte. Auf dieser Basis wurde 2008 im Teatro Comunale di Ferrara ein Live-Mitschnitt auf DVD erstellt. Motezuma handelt von der spanischen Eroberung Mexikos durch Cortés und die Niederlage der Azteken und ihres Herrschers. Die Inszenierung (Regie: Stefano Vizioli) belässt die historische Einordnung, man sieht bunte Fantasie-Azteken im Kampf gegen die spanischen Eroberer, Szenenfolge, Tempo und Dramatik stimmen, beide Parteien sind gleichberechtigt, Cortés und Motezuma sind als Gegenspieler auf Augenhöhe. Das Bühnenbild von Lorenzo Cutuli ist durch ein auf dem Boden liegendes großes goldenes Kreuz als Podest gekennzeichnet, das blutverschmiert ist und eine waffenähnliche Spitze hat – Katholizismus und Kolonialismus gehören hier zusammen. Symbolische Farben und Licht erzeugen Stimmungen, in der Summe sieht man eine schlüssige und homogene Produktion und wem die CD-Einspielung nicht genügt, der wird hier eine anschauliche Bühnenfassung finden, die auch musikalisch überzeugt. Curtis und Il Complesso Barocco spielen animiert und eloquent ohne Extreme oder Zuspitzungen und verzichten wie gewöhnlich auf Countertenöre. Stimmen und Darstellung passen zusammen, nur ein Sänger der CD-Aufnahme findet sich auch auf der DVD wieder: Vito Priante singt erneut die Titelrolle. Die deutsche Mezzosopranistin Franziska Gottwald singt den Cortés, die interessanteste Figur ist die Mitrena von Mary-Ellen Nesi. Die Liebesgeschichte zwischen Montezumas Tochter Teutile (Laura Cherici) und Cortès‘ Bruder Ramiro (Theodora Baka) ist eher mager, dennoch bietet Motezuma aufgrund seines Themas und Potentials als politische Barockoper spannende Konflikte. 20 Minuten Zusatzmaterial zur Produktion und ein viersprachiges Beiheft werten diese Aufzeichnung weiter auf (2 DVD, Dynamic 33586).
Welten entfernt von Motezuma ist hingegen der ebenfalls bei Dynamic auf DVD erschienene Il Farnace. Keine andere Oper hat Vivaldi so oft überarbeitet, es gibt Versionen aus den Jahren 1727 1730, 1731 und 1732. 1738 änderte der Venezianer erneut für den Karneval des Folgejahrs in Ferrara, in der zum ersten Mal ein Kastrat für die Titelrolle vorgesehen war. Die von Dynamic als DVD herausgebrachte Live-Aufzeichnung erfolgte im Mai 2013 in Florenz und lässt viele Fragen offen. Regisseur Marco Gandini inszeniert semikonzertant: Bühne und Kostüme wirken improvisiert und ohne erkennbaren visuellen Reiz, Metallgestelle, Neonröhren, Affekt und Effekt finden in den Szenen kaum zueinander. Die Sänger singen meistens vom Blatt, die Rezitative hingegen sitzen, es gibt Notenständer an verschiedenen Stellen, die Inszenierung positioniert sie mal hier mal dort. Der Chor singt aus dem Orchestergraben und ist nicht ins Geschehen eingebunden. Visuell wird hier der Oper nichts hinzugefügt außer Alibi-Konstellationen. Wieso man diese Produktion auf DVD veröffentlichte, ist rätselhaft. Tatsächlich scheint sie auch auf CD vorzuliegen. Statt drei gibt es nur zwei Akte – die seltsame Edition von Bernardo Ticci wirft Fragen auf, die das Beiheft nicht ansatzweise beantwortet. Man verwendet die Version von 1738, besetzt die Titelrolle aber nicht mit einem Countertenor. Mary-Ellen Nesi ist eine sehr gute Wahl als Farnace, wie überhaupt die Frauenfiguren Eindruck hinterlassen: Sonia Prina ist Tamiri, Roberta Mameli singt die Gilade und Delphine Galou die Berenice. Die guten Männerstimmen von Magnus Staveland als Aquilio und Emanuele d’Aguanno als Pompeo bleiben dagegen etwas unauffällig. Federico Maria Sardelli dirigiert kein Barock-Ensemble, sondern das Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino. Sowohl Curtis bei Motezuma als auch Sardelli bei Farnace wählten die Sinfonia aus Vivaldis Bajazet als Ouvertüre. Der Vergleich geht eindeutig zu Gunsten von Curtis und Il Complesso Barocco aus, die federnder und geschmeidiger musizieren. Auch sonst wird wenig geboten, es gibt kein Zusatzmaterial und lediglich ein zweisprachiges Booklet. Diego Fasolis Einspielung des Farnace von 1738 mit Max E. Cencic bei Erato ist allemal empfehlenswerter, Mary-Ellen Nesi singt dort übrigens die Berenice (2DVD, Dynamic 37670). Marcus Budwitius