ARTHAUS hat einen Mitschnitt des 2017 aufgeführten Oratoriums Luther herausgebracht, nicht zu verwechseln mit dem großvolumigen Pop-Oratorium Martin Luther von Dieter Falk und Michael Kunze, das mit rund 1.400 Sängerinnen und Sängern aus der jeweiligen Region im Jubiläumsjahr der Reformation durch Deutschland tourte. Hier geht es um das auf Veranlassung der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt und des Impuls-Festivals 2017 entstandene gleichnamige Oratorium des argentinischen Komponisten Oscar Strasny, das zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation im Oktober 2017 in der Georg-Friedrich-Händel-Halle in Halle uraufgeführt wurde. Das Oratorium basiert auf einem Libretto des bekannten Schriftstellers Christoph Hein (Jahrgang 1934), der ein Jahr zuvor für Strasny das Libretto zu dessen Kammeroper Comeback geschrieben hatte. Das Oratorium wirft in acht Teilen einen durchaus kritischen Blick auf den nicht nur streitbaren, sondern auch reichlich selbstgefälligen Reformator, dessen Thesenanschlag in Wittenberg bekanntlich weitreichende Folgen hatte. So gilt das vorletzte Kapitel „Wittenberg 1525“ auch den blutigen Bauernkriegen, über die Luther und Thomas Müntzer (mit passend rauem Bariton aus dem Hallenser Ensemble Gerd Vogel) streiten. Weitere Abschnitte des ca. 90-minütigen Werks behandeln u.a. die Verhandlungen bei den Reichstagen zu Worms 1521 und Speyer 1529, den für die Verbreitung einer „deutschen Bibel“ so wichtigen Buchdruck durch Johannes Gutenberg, ein Streitgespräch zwischen Papst Leo X. und Kaiser Karl V. sowie die humorvolle Auseinandersetzung zwischen Luther und Katharina von Bora, an der auch weitere aus dem Kloster geflohene Nonnen (Chor-Solistinnen) beteiligt sind.
Die einzelnen Abschnitte hat der Komponist mit einer nicht einfach aufzunehmenden, komplizierten Tonsprache versehen, die mit in jeder Beziehung hohem technischem Können zur Geltung gebracht werden müssen. Mit punktgenauer Präzision leitet der 1. Kapellmeister der Staatskapelle Halle Michael Wendeberg das auch in den vielen Instrumentalsoli ausgezeichnete Orchester, den gut vorbereiteten Ernst Senff Chor Berlin und die Gesangssolisten, die sämtlich ihre überaus anspruchsvollen Parts bestens bewältigen. Dabei werden die verschiedenen Personen vielfach durch karikierende Stimmführung gekennzeichnet, wenn sie sich meist in einem mit schwierigen Intervallsprüngen versehenen Parlando bewegen. So steht natürlich der Reformator im Vordergrund, der von Michael Pflumm mit sehr guter Textverständlichkeit und äußerster Prägnanz, bei der auch tenoraler Glanz aufblitzt, interpretiert wird; mit schön abgerundetem Alt gestaltet Henriette Gödde die sympathisch gezeichnete Katharina von Bora. Der Counter Johannes Euler charakterisiert den Gegenspieler Luthers Papst Leo X. mit aberwitzigen, bewusst unangenehmen Tonsprüngen. Die schwierigen Registerwechsel in der Partie des Thomas Cajetan bereiten Nadja Steinhardt mit ihrem markanten Alt kaum Probleme. Der dramatisch gestählte Bariton von Ralf Lukas passt gut zum Kaiser Karl V., während Josephine Renelt den kommentierenden Engel mit höhensicherem Sopran von einer Empore oberhalb des Podiums herab singt. Und damit bin ich bei den von Andreas Morell verantworteten wenigen szenischen Elementen der konzertanten Aufführung, die allerdings kaum auffallen. Neben farblich unterschiedlicher Beleuchtung und vereinzelten, kleinen auf der DVD nicht gut zu erkennenden Videos im Bühnenhintergrund ist es vor allem die Bekleidung der Protagonisten, die auf die jeweilige Figur hindeutet. Luther trägt einen dunkelgrauen Anzug, während der Papst und der Engel vollständig in weiß gekleidet sind, der Kaiser im Frack auftritt und Kardinal Cajetan im rot-schwarzen Kleid erscheint. Wenn Luther einmal im Abschnitt über den Buchdruck eine Bibel hoch hebt, ist das schon der Gipfel der szenischen Darstellung. Ob sich der in der Ankündigung der Uraufführung geäußerte Wunsch erfüllt, dass die Aufzeichnung „ein breites internationales Publikum“ erreicht, darf angesichts des in mehrfacher Hinsicht komplizierten Werks bezweifelt werden (ARTHAUS 109385). Gerhard Eckels