Gemischtes Doppel

 

Sehr viel mehr gefallen als die Liveaufführung von Schumanns Faustszenen zur Wiedereröffnung der Berliner Staatsoper am 3. Oktober 2017 kann die damals entstandene Blu-ray, denn während das  Auge Im Saal durch die häufig heillose Übervölkerung der Bühne überfordert war, die ohnehin schon durch die Bühnenbilder von Markus Lüpertz, zu denen auch übergroße Statuen unbekannter Bedeutung gehörten, viel zu klein zu sein schien,  und die Solisten in der Menge mühsam suchen musste, sorgt nun eine kluge Kameraführung dafür, dass man nur selten die Totale ertragen muss. Der scheidende Intendant Jürgen Flimm, der die sieben Jahre in der Diaspora im alten Westberlin im Schiller-Theater geprägt hatte, verabschiedete sich mit einer Produktion, die das musikalische Werk mit dem Schwerpunkt auf Faust II durch die Einbeziehung wichtiger, aber nicht vertonter Szenen in Opernabendlänge streckt. So gibt es einen regelmäßigen Wechsel zwischen gesprochenen Szenen wie dem Teufelspakt, dem Blumenorakel, der Gefängnisszene oder die Rettung von Fausts Seele. Diese und andere Szenen werden von gestandenen Schauspielern gesprochen, zum Glück solchen, die noch über Sprechkultur verfügen wie André Jung (Faust) oder Sven-Eric Bechtolf (Mephisto). Auch Gretchen gibt es in doppelter Version, allerdings ist das sprechende, Meike Droste, optisch wie charakterlich wesentlich derber, von lockereren Sitten und als Türmer, denn dessen Lied ist ihr auch anvertraut, ein läppisches Ärgernis.

Hervorragend und sämtlich aus dem Ensemble stammend sind die Sänger. René Pape ist ein schön zynischer Mephisto mit einem Bass von schwarzer Urgewalt, dabei kultiviert und angenehm textverständlich. Frei strömt die Stimme auch als dem Namen seiner Partie, Pater Profundus, Ehre Machender. Schöner kann man das nicht singen.  Ein optisch eleganter junger Faust ist Roman Trekel, vokal ebenfalls die Erfüllung, denn so kultiviert singend wie über farbige Stimmmittel verfügend dürfte auch der teuerste Gast nicht gewesen sein. „Die Nacht scheint tiefer“ ist reiner vokaler Balsam. Stephan Rügamer ist ein Ariel mit riesigen Flügeln und tönt engelsgleich, ist auch als Pater Ecstaticus die sichere Bank. Elsa Dreisig singt ein frisches, flirrendes Gretchen und hat balsamische Töne für die Büßerin. Eine elegante Marthe mit nur in der Höhe etwas dünner Stimme ist Katharina Kammerloher, die auch als Sorge und Mater Gloriosa überzeugt. Evelin Novak, Adriane Queiroz und Natalia Skrycka füllen jeweils zwei kleinere Partien aus. Gyula Orendt vervollständigt auf angenehme Art das Terzett der drei Patres.

Ursula Kudma ist für die Kostüme verantwortlich, die vorwiegend und das mit viel Phantasie in der späten Goethezeit, dem Biedermeier, angesiedelt sind, aber daneben gibt es Luftiges, Bizarres, Vielfarbiges zuhauf, so dass  auch hier das Video eine Auswahl treffen muss, um dem Betrachter die Chance zu geben, sich der Musik hinzugeben, ohne allzu sehr durch die verwirrende Optik abgelenkt zu werden, zu der auch Müllmänner und Sanitäter und ein schneeweißer (!) Pudel gehören. Jürgen Flimm ist ein komödiantischer Regisseur, die der Oper und auch diesen Szenen immer viel mehr gut tun als das kalte Seziermesser der Ideologen.

Herrlich anzuhören sind die Chöre, phantastisch das Orchester unter Daniel Barenboim mit strahlendem Sonnenaufgang, und die Verklärung I wie II lassen den Hörer selbst verklärt zurück (Arthaus 109419). Ingrid Wanja