Frankfurter Schwester

 

Genial hat Peter Eötvös die vier Akte von Anton Tschechows Komödie Drei Schwestern für seine Oper Tri sestry verschoben und neu zusammengefügt. Wie denn alle seine nach diesem ersten Sensationserfolg sich anschließenden Opern wunderbar montiert und dramatisch gedacht sind, von Klangsinn wie Bühneninstinkt gleichermaßen zeugen. Während sich Tschechows Handlung chronologisch über mehrere Jahre erstreckt, hebt Eötvös diese Chronologie auf, erzählt scheinbar parallel und unabhängig und aus unterschiedlichen Blickwinkeln von den drei Schwestern Irina, Mascha und Olga die Geschichte ihres Aufbruchs nach Moskau: „Für Drei Schwestern, eine Oper großen Format, wollte ich gleich Nägel mit Köpfen machen. Ich hatte bestimmte Intervalle, bestimmte Rhythmen und bestimmte Instrumentalkombinationen benutzt, um das Publikum mit einer möglichst klaren und verständlichen Sprache zu erreichen. Ich habe die dramaturgischen Regeln gebraucht, die ich in meiner Jugend als Zuschauer bei Stücken von Shakespeare und Ibsen gelernt und danach durch meine eigene Theatererfahrungen vertieft habe“. Das scheint mehr eine Behauptung zu sein. Erlebt man Tri sesty nur auf der Hörbühne, verschließt sich ein Teil der Wirkung. Doch auch als Mitschnitt der im Herbst 2018 in Frankfurt stattgefundenen Aufführungen kann die neue CD der Oper Frankfurt ( 2 CD Oehms Classics OC 986) faszinieren, wenngleich neben dem Mitschnitt der von Nagano im Graben und Eötvös auf der Bühne im März 1998 dirigierten Uraufführung in Lyon (DG) zwanzig Jahre später kein dringender Bedarf an einer weiteren Aufnahme bestand.

Der Abstand von zwei Jahrzehnten zeigt aber auch – und die Frankfurter Produktion unterstrich dies im feinsinnigen Kammerspiel der Dorothea Kirschbaum nachdrücklich – welch wirkungsstarkes Werk Eötvös mit seinen Drei Schwestern vorlegte. Der Klang ist gleichermaßen gut und präsent, das Ensemble zeigt sich in Frankfurt hochrangig. Im Prolog stellen sich die drei Schwestern vor: scheinbar heiter mit „La musique est si vive“, doch dann aber – hier ist das bei DG abgedruckte Textbuch, das bei Oehms leider fehlt, hilfreich – melancholisch eingetrübt „Es fehlt nicht mehr viel, und wir werden den Sinn des Seins, den Sinn des Leidens erfahren“. Gesungen wird, wie in Lyon, russisch. In dieser Onegin-haften Stimmung verschmelzen und verschwimmen die drei Stimmen der Countertenöre Ray Chanez, David DQ Lee und Dmitry Egorov und kreieren auf verblüffende Weise die weiblichen Figuren. Erst langsam lassen sich Egorov als dominante Olga, der brillante Chenez als Irina, Lee als kapriziöse Mascha identifizieren. Wie bei der Uraufführung sind in Frankfurt die drei Schwestern mit Countertenören besetzt. Gegenüber der Uraufführung mit Oleg Riabets, Vyatcheslav Kagan-Paley und Alain Aubin finde ich die Frankfurter Schwestern zupackender, wenn das angesichts dieser filigranen Linien gesagt werden kann, und charakteristischer voneinander abgesetzt, wie denn die von  Dennis Russell Davies dirigierte Aufnahme mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester und Nikolai Petersen als Ko-Dirigent auf mich dramatisch aufgeriebener wirkt, im Klang etwas nachdrücklicher und direkter und eine gute Ergänzung zum Uraufführungsmitschnitt darstellt. Neben Eric Jurenas als Natascha fallen die profilierte Gesangsleistungen in den zahlreichen kurzen Charakterstudien auf, die auf sympathische Weise die theatralische Grundhaltung der Aufnahme unterstreichen.   Rolf Fath