Uli Fussenegger streicht und schlägt und zupft auf seinem Kontrabass, erzeugt tremolierend irrende Klänge. Dann sehen wir auf den Videosequenzen, die während des folgenden Geschehens immer wieder die Bühnenaktion überblenden, zwei Menschen fortgeschritten mittleren Alters durch die Stadt gehen: He, Dietrich Henschel, und She, Patrizia Ciofi. „Pass auf, wenn du etwas aufhebst“, sagt sie auf Englisch und schreitet vorsichtig eine Treppe hinunter, die er hinaufgeht. „Während ich durch das Haus gehe, wächst ein Baum“, sagt er und zeichnet an einem Tisch; er könnte ein Architekt sein, jedenfalls jemand, der es gewohnt ist, einen solchen Tisch zu benutzen, ein schlurfiger Akademiker. Unterstrichen werden seine Worte von seiner inneren Stimme, his internal voice, dem Countertenor Terry Wey, während die im biederen Rock brav wirkende Frau sich in der Küche ein Warmgetränk zubereitet und von der tiefstimmigen Noa Frenkel begleitet wird. Er beschaut ein Modell eines Hauses, sie betrachtet die Ameisen, die über ein Marmeladenglas krabbeln. Jedes Wort, jede Geste scheint in Chaya Czernowins im November 2019 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführten Oper Heart Chamber auf die Goldwaage gelegt zu werden. Jedes Wort und jeder Ton sind abgewogen, bis aufs äußerste konzentriert und gefiltert. Und stoßen in das Innerste einer Beziehung vor, deren Quintessenz dem Zuhörer und Betrachter in 90 Minuten wie unter einem Vergrößerungsglas bloßgelegt wird. Eine lineare Geschichte wird in den 13 Abschnitten nicht erzählt, eher Stationen und Momentaufnahmen zwischen Anziehung und Abstoßung, Freude und Traurigkeit. Heart Chamber, Herzkammer, ist der Obduktionsbericht einer Beziehung, für den Czernowin eine Riesenapparatur benötigt, wobei auf der Bluray (Naxos NBD0120V) mehr Claus Guths ingeniös den beiden Protagonistinnen folgende Inszenierung zu bewundern ist als die mit enormem Kraftaufwand betriebene, Risse und Zerklüftungen aufzeigenden Töne, die von schier unhörbaren Flüstern und Flattern bis zu exaltierten Naturlauten und hämmernden Schlägen reichen. Bewerkstelligt wird das unter der souveränen Leitung von Johannes Kalitzke, der bereits die vorausgegangenen Opern der Czernowin uraufgeführt hatte, u.a mit dem groß besetzten Orchester der Deutschen Oper Berlin, einem 16köpfigen Vokalensemble, dem Ensemble Nikel mit Schlagzeug, E-Gitarre, Klavier und Saxophon sowie Live-Elektronik des SWR Experimentalstudios.
Mit der Akribie einer Wissenschaftlerin – der Untertitel An inquiery about love verweist auf ein medizinisches, naturwissenschaftliches Experiment – nimmt sich Czernowin in dem selbst geschriebenen Libretto, in das ursprünglich auch medizinische Zitate einfließen sollten, der Zweierbeziehung an, „Mich interessiert auch der analytische Blick auf die Gefühle… Was bedeutet ein bestimmtes Gefühl? Was heißt es, wenn zwei Menschen zum ersten Mal in einen echten Dialog treten? Bewundernswert, wie sich der deutsche Bariton und die italienische Koloratursopranistin, wobei letztere mit zeitgenössischer Musik bislang vermutlich eher selten zu tun hatte, auf die sprechflüsternde Singdeklamation einlassen, die sich mittels Mikroports zur Hörerbarkeit erhebt. Und wie durchaus nicht unspannend sich Henschel und Ciofi in der Inszenierung von Guth behaupten, die effektiv und faszinierend zwischen aufwendiger Aktion, den filmisch sehr schön umgesetzten Großaufnahmen der beiden und Intimität, wobei sich Mann und Frau auf zwei Stühlen gegenübersitzen, pendelt und von Uli Aumüller perfekt für die Aufnahme eingefangen wurde. Aumüller steuerte auch den umfangreichen und sehenswerten Hinterbericht I did not rehearse to say I love you bei. Rolf Fath