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Was man in den letzten Jahren und als Berliner gleich an allen drei Opernhäusern schmerzlich vermisst hat, wird dem Betrachter bewusst, wenn er die Falstaff-Produktion des Maggio Musicale Fiorentino aus dem Jahr 2021 betrachtet: eine sorgfältig gemachte Bühne mit historisch wie geographisch getreuen, wenn auch stilisierten Bauten und ebensolchem Interieur, die Sänger in ihrer Interpretation unterstützende und darüber hinaus ihre Träger, deren Stand, die Zeit, in der sie leben, charakterisierende Kostüme, künstlerisch und handwerklich perfekt, ein Verbleiben der Handlung in Zeit und Örtlichkeit, die das Libretto vorsah, und damit eine große Glaubwürdigkeit und zugleich eine Horizonterweiterung weit hinaus über die armseligen Produktionen, die das durchweg miese Hier und Heute widerspiegeln sollen. In ihnen ist Falstaff ein Depp unter Deppen und nicht ein heruntergekommener, adelsstolzer Genussmensch, der sich dem aufstrebenden, um Selbstbewusstsein ringenden Bürgertum überlegen fühlt, sind die vier lustigen Weiber nicht nur partygeile Bourgeoisiezicken, sondern geradezu Vorläuferinnen der Emanzipation, wenn sie Nanetta gegen den Willen des patriarchalisch ehestiftenden Ford zu ihrem Glück verhelfen. Sven-Eric Bechtolf hat das Wunder vollbracht, für das er wahrscheinlich diesseits der Alpen nicht den notwendigen Mut aufbringen würde, einer hämischen Kritik des Feuilletons so gut wie sicher. Eine detailverliebte Personenregie lässt die Sänger auch dann agieren, wenn sie nicht direkt in die Handlung eingreifen, sie können aber auch zu lebenden Bildern erstarren. Julian Crouch ist für die Bühne verantwortlich, und er weiß mit sparsamen Mitteln viel Atmosphäre zu schaffen, lässt mit einem Strohballen hier, einem Fässchen dort dazu beitragen. Die Stadtsilhouette von Windsor in wechselndem Licht (Alex Brok) ist ein Kunstwerk für sich. Die Kostüme von Kevin Pollard charakterisieren fein ihre Träger, besonders die Ausgehuniform Falstaffs spiegelt perfekt den Widerspruch zwischen Anspruch und Realität, in dem er lebt, wider.
Was zu sehen ist, ist also durchweg erfreulich, was zu hören ist, allerdings weit weniger. Das gilt nicht für das Orchester unter John Eliot Gardiner, der die kammermusikalischen Aspekte des Werks fein herausarbeitet, ungemein präzise ist und so inspiriert wie inspirierend wirkt. Auch mit Nicola Alaimo kommt kein Bedauern darüber auf, dass einmal nicht Ambrogio Maestri der Falstaff vom Dienst ist. Er verbindet eine rollengerechte Körperlichkeit mit viel Gewandtheit, die auch ein graziöses Tänzlein nicht ausschließt, sein sonorer Bassbariton ermöglicht ein so raumfüllendes „Onore“ wie das „Va vecchio John“ markant rhythmisch klingt. Auch der zweite Barion, Simone Piazzola, ist ein in jeder Hinsicht rollengerechter Ford. Zufrieden sein kann man mit dem Dienerpaar Bardolfo (Antonio Garés) und Pistola (Gianluca Buratto), und von Dr.Cajus erwartet man keinen schönen Tenor, so dass man Christian Collia nichts vorwerfen kann. Ganz anders der Fenton von Matthew Swensen, der darstellerische Unbeholfenheit nicht durch einen recht anämisch klingenden Tenor ausgleichen kann, der seine hübsche Arie verschenkt.
Vokal auch fast ein Totalausfall ist die adrette Alice von Ailyn Pérez, deren Sopran nicht aufblühen kann, sondern durchgehend zu klein, zu substanzlos erscheint. Francesca Boncompagni ist eine ebenfalls recht blässliche Nanetta, Mutter und Tochter können den beiden stimmlich tiefer gelagerten Damen, Caterina Piva als Meg und vor allem der vorzüglichen, nie zur Karikatur werdenden Quickly von Sara Mingardo, die bereits bei der ersten Einspielung durch Gardiner im Verdi-Jahr und auf historischen Instrumenten dabei war, nicht das Wasser reichen (Dynamic 37951). Ingrid Wanja