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Nerone, mit Blut besudeltem Hemd, auf dem Boden. Fein säuberlich getrennt hat Frank Philipp Schlössmann das kaiserliche und christliche Rom und bereitet damit Olivier Tambosi eine spiegelnde, durch Leuchtstehlen gegliederte und verwandelbare Spielfläche für den jetzt auch auf Bluray erschienenen Nerone Arrigo Boitos, der erst 2022 in Bregenz seine Premiere hatte und entsprechend des Zeitgefühls während der Pandemie viel länger zurückzuliegen scheint (Bluray C Major 761304). Leider ohne Untertitel, was ein schweres Versäumnis ist und ein Verständnis dieses ungemein vielgliedrigen, vielschichtigen und komplizierten Vierakters einigermaßen erschweren dürfte. Ein von Ängsten gepeinigter Kaiser, ein charismatischer heidnischer Priester, ein christlicher Prediger, eine ihm verbundene keusche Vestalin sowie die seltsame Schlangenfrau Asteria, dazu das brennende Rom und der Circus Maximus, den Schlössmann und Tambosi für entsprechende, immer wiederkehrende Zirkusmetaphern nutzen und dabei virtuos mit Bildern und Motiven jonglieren. Großes Theater. Alles ist in dieser Inszenierung beziehungsreich und bedeutungsvoll verschachtelt, manchmal etwas süßlich, oft erlesen pathetisch, dezent gruselig, doch stets prägnant, wobei ich mir häufiger den Blick auf die Totale gewünscht hätte.
Musikalisch konnte Boito nicht alles einlösen, was er ein halbes Leben lang in dieser Oper anstrebte. Grandiosen Chormomenten und orchestraler Wucht, wie gleich in der Eingangsszene “Canto d’amore vola col vento“, stehen rezitativische Durststrecken, wie beispielsweise in der markanten, manchmal arios aufgebrochenen Deklamation Simon Magos gegenüber, den Lucio Gallo mit verzerrtem Mund und dem geballten Ausdruck seines Charakterbaritons gibt und nicht nur im zweiten Akt als schwarzer Engel eindrucksvoll spielt. Der Nero dürfte einer der letzten großen Auftritte des im Januar verstorbene mexikanische Tenor Rafael Rojas gewesen sein, der ebenfalls, u.a. im grünen Kleid und mit der Perlenkette seiner toten Mutter Agrippina, ein hingebungsvolles Porträt liefert und am Ende des ersten Aktes die Gewissensqual und Ekstase des Kaisers mit geschmackvoller Deklamation über die Chormassen wuchtet und im zweiten Akt den langen Tiraden Farbe und Intensität einhaucht. Möglicherweise kann die Bluray nicht ganz die Leistung Dirk Kaftans, seine Souveränität und sein Geschick einfangen, mit denen er die Tempelgesänge und Raumklänge auffächert und mit den Wiener Symphonikern und dem Philharmonischen Chor Prag Boitos Klanggesten Bedeutung und Gewicht verleiht. Auf jeden Fall ist dieser Mitschnitt hochwillkommen, selbst wenn die interessant klingende Sventlana Aksenova als Asteria, Alessandra Volpe mit energischer Mezzoattacke als Rubria und Brett Polegato mit solider Baritonhöhe als Fanuèl ihre Partien stimmlich nicht ausschöpfen; große darstellerische Leistungen zeigen sie alle. (Weitere Information zu den CDs/DVDs im Fachhandel, bei allen relevanten Versendern und bei www.naxosdirekt.de.) Rolf Fath.