Donizetti-Rarität

 

Mit Verspätung bringt Hardy die optische Aufzeichnung eines seltenen Donizetti-Werkes vom Festival in Bergamo aus dem Jahre 1984 heraus – Sancia di Castiglia, uraufgeführt 1832 in Neapel im selben Jahr wie der ungleich berühmtere Elisir d’amore. Die zweiaktige Tragedia Lirica auf ein Libretto von Pietro Salatini spielt in Toledo um 990 und sieht die Königin Kastiliens Sancia im Mittelpunkt des Geschehens. Der Sarazenenprinz Ircano hofft auf den Thron und heuchelt Sancia Liebe vor. Die Königin willigt schließlich in die Hochzeit ein, als ihr Sohn Garzia, der die Bindung der Mutter missbilligt, unerwartet von den Kämpfen gegen die Gallier zurückkehrt. Ircano überredet Sancia, den Krönungswein für Garzia zu vergiften, doch sie trinkt ihn selbst und bekennt sich zu dem Verbrechen. Die sterbende Königin erfährt noch einmal die Liebe ihres Volkes, während Garzia den Thron besteigt und Ircano verhaftet wird.

Es ist dies die RAI-Aufzeichnung der damaligen Aufführung, die unter Sammlern nur als verwaschene Kopie, auch als vielbehustetes Audio-Dokument,  kursierte. Und es gab bislang nur einen einzigen akustischen Mitschnitt dieser Oper – mit Montserrat Caballé und José Sempere aus dem Madrider Teatro de la Zarzuela von 1992. Hardy fällt nun das Verdienst der Weltpremiere dieser Tragedia als DVD zu. Regisseur Filippo Crivelli inszeniert in der historisch orientierten Szene von Gianni Quaranta, zu der die prachtvollen Kostüme von Dada Saligeri perfekt korrespondieren, angemessen statuarisch, postiert die Protagonisten gebührend im Zentrum an der Rampe, was ihren Soli die Wirkung sichert.

Am Pult des Orchestra Sinfonica di Milano della Rai steht Roberto Abbado, denn die Rai  fungiert mit ihrer zweiten Ausgabe  des Premio Callas als Kooperationspartner des Unternehmens. Der Dirigent sichert dem Werk sowohl den Schwung als auch die elegischen Stimmungen und führt die beiden Finali zu spanungsgeladenen Höhepunkten.

Franco De Grandis mit weichem, in der Höhe etwas steifem Bass als Ircano eröffnet die Handlung mit einer Kavatine und Cabaletta ganz im Schema der Belcanto-Tradition. Als sein Staatsminister Rodrigo lässt Giuseppe Costanzo einen potenten Tenor mit kraftvoller Höhe hören, der mit der Titelheldin ein ausgedehntes Duett („Comprendo io so“) zu singen hat und auch in mehreren Soli glänzen kann. Deren Auftritt in königlicher blauer Samtrobe inmitten ihrer Hofdamen ist eine typisch dreiteilige Szene mit Rezitativ, der Arie „Io talor più nol rammento“ von beklommener Stimmung und einer bewegten Cabaletta „Se contro lui“. Antonella Bandelli ist nicht nur eine schöne Frau, sondern auch Trägerin eines farbigen und flexiblen Soprans. Die Stimme fließt, klingt angemessen melancholisch und serviert die acuti mit Sicherheit und Durchschlagskraft. Die Finalszene mit dem Giftbecher in der Hand („Vanne Ircano“) absolviert sie in großer Manier, einer Primadonna würdig. Ihr Sohn Garzia bedient in der Alt-Notation das klassische Schema der Hosenrolle. Adriana Cigogna singt sie mit jugendlichem Feuer und kultivierter, strömender Stimme (Foto oben: Dionilla Santolini, die erste Sängerin des Garzia in „Sancia di Castiglia“/ Opera Rara). Bernd Hoppe