In die stürmische Sinfonia ist „God Save the Queen“ eingewoben, doch ansonsten hält sich Gaetano Donizetti im Ende Oktober 1837 in Neapel uraufgeführten Roberto Devereux nicht unnötig mit orchestraler Stimmungsmalerei und atmosphärischen Schilderungen auf. Der dritte Teil seiner sogenannten Tudor-Trilogie nach Anna Bolena und Maria Stuarda kommt schnell auf den Punkt, wie wenn den vier Personen angesichts der drohenden Hinrichtung des Roberto Devereux, Earl of Essex, keine Zeit bleibt. Keine unnötigen Ausflüchte in der Musik. Kein Zierrat auf der Bühne. Im Teatro Real ist Salvatore Cammaranos auf einer französischen Tragödie basierender Dreiakter in einem schwarzer Saal angesiedelt, hinter dessen rückwärtiger Fensterwand die Schatten der Staatsaktionen in Westminster zu ahnen sind, mehr Werkhalle der Industrialisierung als Herrschersitz, in dem Elisabetta wie eine Zuchtmeisterin auftritt, gar nicht nett anzusehen in ihrer altersdünn aufgetürmten roten Haarpracht, den mit einer breiten schwarzen Ledertaille insektenhaft eingeschnürten roten Samtwallungen, den silbernen Krallenkuppen und rot umränderten Augen. Im Gegensatz zur artigen Sara ist sie keine Nette, wirft bei ihrer Cavatina eine weiße Maus ins Spinnenterrarium oder was immer der Kasten ist, den Madeleine Boyd für Alessandro Talevi konstruiert hat, der übereifrig darum bemüht ist, der sängerischen Aktion ein bisschen szenisches Augenfutter entgegenzusetzen und Elisabetta als Spinne in einem von ihr gesponnenen Netz von Macht und Intrigen zu zeichnen, was zu grotesken Installationen auf der Bühne führt (DVD BelAir Classics BAC 130). Das scheint verlorne Liebesmüh, denn Mariella Devia und Gregory Kunde richten die Sache.
Im Oktober 2015 war Devia 67 Jahre, Kunde 61. Man darf das erwähnen. Nachdem die fade Silvia Tro Santafé die Romanze der Sara über Fair Rosamond mit festem Mezzosopran gesungen hat, kommt Devia und zeigt, dass sie nicht nur das spektakulärere Kostüm trägt, sondern in jeder Hinsicht die Königin des Abends ist, ihre Cavatina „L’ amor suo mi fe beata“ besitzt Ausdruck und ungemeine Autorität, in der Begegnung mit dem des Hochverrats angeklagten Devereux ist nicht nur von Blitzen die Rede, hier stieben tatsächlich die Funken, denn der fast baritonal klingende und die hell intensive Devia steigern sich in der Gran Scena zu herrlicher Dramatik. Da sind zwei Wissende am Werk, die ihre Linien wie Bildhauer meißeln, mit klarer Diktion, Leidenschaft und kluger Beherrschung singen.
Roberto Devereux ist eine fast abgezirkelte Vierecksgeschichte. Roberto und Sara lieben sich. Auf Geheiß der Königin musste Sara nach dem Tod ihres Vaters Robertos besten Freund Nottingham heiraten. Sie wirft ihm die Liebe zur Königin vor, er ihr den angeblichen Treuebruch. Es gibt zwei Liebes- bzw. Treupfänder, den Ring der Königin, der Roberto Sicherheit verspricht, sowie den blauen Schal, den ihm Sara schenkt und der Nottingham den Treuebruch seiner Frau verrät, weshalb Nottingham seine Frau festhält und sie der Königin nicht der Ring überbringen kann, mit der Roberto Elisabetta an ihr gegebenes Versprechen erinnern will. Zu spät. Roberto wird hingerichtet. Die Königin bricht zusammen und dankt ab. Das Finale, in dem Donizetti den Typ der virtuosen Schlussarie zu einer großartigen musikdramatischen Szene vom „Vivi, ingrato“-Lamento über ariose und rezitativische Passagen zur leidenschaftlichen Cabaletta „Quel sangue versato“ steigert, ist der Höhepunkt einer an intensiven und leidenschaftlichen Zweierszenen reichen Oper, in der der Chor, Lord Cecil und Sir Raleigh nur Randfiguren bleiben.
In Madrid sang Devia, die Anfang der 1970er Jahre als Lucia begann und sich im dritten Kapitel ihrer langen Karriere Partien wie der Norma (Debüt im Alter von 65) und den Tudor-Königinnen zuwendet, die Elisabetta erstmals auf der Bühne. Es ist eine großartige Lektion, die Devia erteilt. Eine Masterclass. Im Grunde hat ihr Sopran immer noch die fragile Leichtigkeit der frühen Jahre, fehlt es an Gewicht in der Tiefe und Mittellage, die sie gleichwohl geschickt eindunkelt. Das Timbre, die Farbe der fast stählern hellen Stimme waren nie ausgesprochen individuell, gewinnen aber im Lauf der Aufführung an Dringlichkeit. Devia überwältigte immer durch die Kunst ihres Vortrags, mit der sie Donizettis Formeln und die Muster der Epoche zum Leben erweckt, das Gespür für Rhythmus, Text, Deklamation, Verzierungen und die gestochene Präzision im Finale, wo sie natürlich nicht mit der Pranke – samt den furiosen Glotisschlägen – eines Bühnentiers wie der Gencer singt, aber als eminente Stilistin mit einer unendlichen Palette an melancholischen Tönen in Erinnerung bleibt. Kunde kennt sich in diesem Repertoire fast ebenso gut aus, doch sein Tenor ist grobkörniger geworden, sein Gesang weniger elegant und auslaboriert, die Mittellage etwas ausgerungen und er rettet sich in ein uniformes Draufgängertum, das in anderen Partien sicher vorteilhafter wirkt, aber in der Gefängnisszene des dritten Aktes ziemlich nervt. Ähnlich draufgängerisch, mit schönem Klang, aber wenig entspannt singt Mario Caria den Nottingham, mit ausgeglichenem dunklem Mezzo Silvia Tro Santafé die Sara. Alessandro Fantoni, Matteo Armanino und Loris Purpura stützen kompetent in den kleinen Rollen. it viel Verständnis und Gefühl für diese Musik dirigiert Bruno Campanella, ohne dass ihm das Orchester des Teatro Real immer entsprechend sorgfältig folgte. Rolf Fath