Biographien zum Hören und Sehen

 

Händel – die Macht der Musik heißt eine neun Folgen zu jeweils ca. 25 Minuten umfassende Hörbiographie des Bayerischen Rundfunks auf drei CDs. Händels Geschichte von der Wiege bis zur Bahre ist spannend, sie erzählt, dass Georg Friedrich Händel nach Vorstellung seines Vaters Jurist werden sollte, seine Musikbegabung auffällt, er erst Organist und mit 25 Jahren Kapellmeister in Hannover wird, nach Italien reist, für Kardinäle und Kastraten komponiert, in London mit Rinaldo reüssiert, nach England geht, spekuliert und selbstständiger Opernunternehmer wird, protegiert wird und dennoch in die Pleite treibt, neu beginnt, immer mit Widerständen kämpft, Kastraten und Diven, Triumphe und Niederlagen, die Oratorien als Wechselbad der Gefühle, König, Krieg und Festmusiken und die Transformation zum Zeremonienmeister der englischen Krone. Das Manuskript von Jörg Handstein zeigt den bewährten Erzähler, er ist ausführlich ohne detailversessen zu sein – die Zielgruppe sind Einsteiger und interessierte Fans. Als Erzähler fungiert der Münchener Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl, dem Komponisten leiht Bernhard Schir seine Stimme. Die Hörbiographie erzählt aber nicht nur die Stationen eines Lebens, sie setzt sich mit Händels Musik auseinander und bringt Hörbeispiele, verknüpft Geschehnisse mit dem Schaffen, ohne über jedes Werk zu referieren. Die Bandbreite seiner Kompositionen wird sorgfältig ausgebreitet, die Hörbiographie ist aber keine Werkbiographie. Die Auswahl ist kompetent zusammengestellt, man hört viele kurze Musikbeispiele quer durch Händels Leben. Diese werden ergänzt durch Werke von Zeitgenossen, bspw. Telemann, Keiser, Buxtehude, Alessandro Scarlatti, Corelli, Steffani, Porpora und Hasse sowie weniger geläufige Namen wie Friedrich Wilhelm Zachow und Johann Jakob Froberger. Die eingespielten Ausschnitte sind aufnahmehistorisch weit gestreut, viele englische Ensembles, z.B. Christopher Hogwood und die Academy of Ancient Music, John Eliot Gardiner und die English Baroque Soloists oder Trevor Pinnock und The English Concert, Nicolas McGegan mit verschiedenen Ensembles, Alan Curtis mit Il complesso barocco, Robert King und The King’s Consort, Harry Christophers The Sixteen, aber auch Sigidwald Kuijken und La Petite Bande, Rinaldo Alessandrini, Andrea Marcon und René Jacobs und einige andere mehr. Erzählerisch und musikalisch ist dem Bayerischen Rundfunk eine animierte und inhaltsreiche Hörbiographie gelungen, die Lust auf mehr macht und zum Weiterhören verführen kann. (3 CDs, BR Klassik 900911)

Ariane Mnouchkine hat den diesjährigen Goethe-Preis der Stadt Frankfurt erhalten. Sie gründete 1964 das fast schon legendäre Théâtre du Soleil, dessen Intendantin sie bis heute ist und für das sie zahlreiche aufsehenerregende Inszenierungen verantwortete. Auch als Filmregisseurin ist Mnouchkne tätig und angesichts ihres unermüdlichen Engagements und Einsatzes für das Theater ist es umso weniger überraschend, dass sie sich 1977 einem anderen Theaterbesessenen widmete: Jean-Baptiste Poquelin, den die Nachwelt als Molière kennt. Mnouchkine hat vor 40 Jahren einen Spielfilm, oder besser gesagt einen Monumentalfilm gedreht: 244 Minuten Spieldauer, die Dreharbeiten erfolgten an über 200 (teilweise historischen) Schauplätzen, über 1000 Kostüme wurden gefertigt, über 100 Schauspieler und 500 Statisten sollen beteiligt gewesen sein. Aus ihrem eigenen Ensemble wurden zentrale Rollen besetzt, Molière ist Philippe Caubère. Für das Drehbuch bediente man sich der Molière-Biographie von Alfred Simon sowie bei Werken weiterer Autoren, die sich mit Molière und seiner Epoche auseinandersetzten. Der opulent in Szene gesetzte Film zeigt Molière (1622–1673) ab der Kindheit, der Tod der Mutter ist ein einschneidendes Erlebnis, ein Ausflug auf den Jahrmarkt mit den Attraktionen und Gauklern,  der Wunsch Schauspieler zu werden, erste Auftritte mit der Schauspielerin Madeleine Béjart, deren Liebhaber er wird und deren Tochter Armande er später heiraten sollte, ein frühes Leben als Wanderdarsteller, über ein Jahrzehnt zog er durch Frankreich und lernte sein Metier. Mit Komödien ist mehr Geld zu verdienen als mit Tragödien und als Autor und Darsteller schafft er es mit Hilfe von Mäzenen und Förderer bis vor Ludwig XIV., der ihn seine Hofunterhaltung organisieren lässt. Wenig Aufmerksamkeit widmet Mnouchkine Molières großen Werken, deren Erschaffung nicht im Mittelpunkt steht. Der Film endet mit Molieres qualvollem Tod. Vier Stunden Molière, manches ist zu viel, manches zu lang, Mnouchkine dehnt gerne Szenen ohne erkennbaren Sinn, sie schwelgt in den Szenen zwar freudvoll, aber spannungslos. Wer gerne ins Theater geht und die Freude des Marathonsitzens an großen Theaterabenden kennt, wird locker durchhalten, alle anderen werden wahrscheinlich gelegentlich ein wenig die Geduld verlieren. Ein Film über Molière ist ein Film übers Theater, ist ein Film über den Sonnenkönig. Es sind große Tableaus und krasse Gegensätze – eine bitterarme Bevölkerung und ein unermesslich wohlhabender Adel und Klerus. Dreck und Dekadenz, Lebensfreude und die Kunst als Mittel gegen die Trostlosigkeit – ein bildstarkes Panorama, der sorgfältig ausgestattete Film hat in dieser Hinsicht keinen Staub angesetzt. Musikalisch sind manche Szenen unterlegt mit Musik von u.a. Lully, Rameau, Purcell, Monteverdi, die Originalmusik komponierte René Clemencic. Dieses Jahr wurde Mnouchkines Molière von BelAir Classiques im Vertrieb der Naxos auch auf dem deutschen Markt neu verlegt. Die 2 DVDs sind nur in französischer Sprache und u.a. mit deutschen Untertiteln verfügbar, die Herkulesaufgabe der Synchronisation scheint nicht erfolgt zu sein.  (2 DVDs, BelAir Classiques BAC203)

Noch ein wenig weiter zurück in der Zeit. Heinrich Schütz (1585-1672) wurde in Köstritz geboren und wuchs in Weißenfels auf, wo sein Vater einen Gasthof führte. Dort entdeckte Landgraf Moritz von Hessen-Kassel den Knaben, der ihm eine Ausbildung an seiner Schule ermöglichte und ihm einen mehrjährigen Aufenthalt in Venedig finanzierte, wo Schütz zum Komponisten reifte. Das Ende seiner Lehre krönte Schütz 1611 mit seinem Opus 1 – Il Primo libro di Madrigali. Sein Lehrer Giovanni Gabrieli vermachte später seinem Lieblingsschüler testamentarisch einen seiner Ringe. Zurück in Kassel lockte bald der sächsische Hof in Dresden, für den Schütz über 50 Jahre bis zu seinem Tod tätig bleiben sollte. Viel über die Person des Heinrich Schütz scheint nicht bekannt, die Karriere startete in unglücklicher Zeit, seine Frau verstarb jung, der dreißigjährige Krieg machte das Leben schwer, Schütz setzte sich für seine Kollegen ein und versuchte trotz der widrigen Umstände seine Musiker zusammenzuhalten. Am 13. April 1627 erfolgte dann anläßlich einer fürstlichen Hochzeit die Uraufführung der ersten deutschen Oper, deren Musik (wie so oft bei Schütz) verschollen ist bzw. bei Bränden zerstört wurde. Das Libretto zu Dafne existiert übrigens noch, der renommierte Barockdichter Martin Opitz hat es geschrieben. Autor Jörg Kobel hat eine 66 minütige Biographie gedreht, die Aufnahmen von den Stationen zeigt und bei der Musik und Erzählung manchmal doch zu offensichtlich mit netten Bildern ohne besonderen Bezug unterlegt ist. Wenn bspw. das Gleichnis vom Weinstock besungen wird, sieht man Weinreben und man wünschte sich, mehr zur Musik, zur Aufführungspraxis und Wirkung zur erfahren. Schütz‘ Leben wird oft nur an den Stationen seines Lebens erzählt, musikhistorisch gibt es kaum Einordnungen, musikalisch erfährt man zu wenig, nur einige Werke werden erwähnt und in Ausschnitten musiziert oder eingespielt. So ist die bei Arthaus erschienene DVD ein Überblick, der kaum mehr verrät als ein guter Lexikon-Eintrag, aber dafür anschaulich bebildert ist und Musikausschnitte aufweist. (1 DVD, Arthaus 109175) Marcus Budwitius