Augen zu und hören

 

„Come in quest’ora bruna sorridon gli astri e il mare! Come s’unisce, o luna, all’onda il tuo chiaror!“ Mit diesen Worten beginnt die Arie der Amelia im ersten Akt von Verdis Simon Boccanegra nach einem geradezu impressionistisch anmutenden, zart-flirrenden, von Violinen dominierten Vorspiel. Und was fällt dem modernen Regisseur dazu ein, denn ein uninszeniertes Preludio darf nicht sein: Er lässt eine Horde so strengkostümierter wie –frisierter Damen, die in ihre Tabletts vertieft sind, auf- und wieder abmarschieren. Ihnen waren im Prolog, 25 Jahre zuvor, bereits wie irre mit ihren Handys hantierende, Mails empfangende oder absendende Herren in grauen Anzügen vorausgegangen, Plebejer, während die Patrizier einheitlich in Schwarz gewandet sind, Simon aus der Masse heraussticht, weil er einen braunen Anorak trägt und natürlich wegen so unkonventioneller Kleidung dem Zuschauer vermittelt, dass er ein guter Mensch ist. Ein Zeugnis der Armseligkeit ist die Regie von Alexander Kriegenburg für die Salzburger Festspiele von 2019, denn da gibt es nicht etwa eine neue Sicht mit neuen Erkenntnissen über dieses Schmerzenskind Verdis, das 1857 uraufgeführt wurde und erst 1881 seine endgültige Fassung erhielt. Die Regie pfropft dem historisch fest in der Zwietracht zwischen den beiden großen Handelsrepubliken Venedig und Genua verankerten Stück keine moderne Sicht, sondern nur ein modernes Outfit auf und nimmt ihm damit ein gut Teil seiner Wirkung. In der Personenführung bleibt die Produktion armselig, denn dass Paolo die Rose, die Gabriele seiner Amelia verehrt hat, zerpflücken wird, dass wusste der Zuschauer genauso sicher, wie er in Kupfers Fidelio voraussah, dass Pizarro das Geranientöpfchen Marzellines zertrampeln wird.

Die Szene von Harald B. Thor passt zwar wegen ihrer Monumentalität zu Genua, La Superba, ist aber mit ihrem Kalkweiß langweilig, mit den Videobotschaften wie lontano dal mare weit von der Wahrheit entfernt, bzw. nur auf die Produktion zutreffend, die das vielzitierte Meer fast gänzlich ausspart, nur im letzten Bild den Blick darauf in Ausschnitten freigibt und es im Kostüm (Tanja Hofmann) von Amelia sichtbar werden lässt. Alles in allem kann man die Optik nur für das loben, was sie nicht tut, nämlich sich der Solisten nicht anzunehmen, sie weitgehend in Ruhe zu lassen. Und das haben sie, tüchtig wie sie fast alle sind, zumindest verdient, wenn man sich natürlich auch wünscht und es ihnen gegönnt hätte, dass sie auf der Riesenbühne mehr Hilfestellung erhalten hätten.  Am Schluss wird sogar noch der zuvor viel mit Twittern beschäftigte Chor im Stich gelassen, denn als es mit Selbstmord (Paolos!), Hochzeit, Tod, Herrscherproklamierung endlich Wichtiges der Welt mitzuteilen gäbe, bleiben die Handys in den Hosentaschen.

Viel Freude bereiten die vier Herren des Solistenensembles. Da ist natürlich als Bassfels an erster Stelle René Pape als Fiesco zu nennen, dem im Prolog die Tochter sterbend in die Arme sinkt und der trotzdem ein unangefochtenes Il lacerato spirito mit wundervollem Fluss der gewaltigen Stimme singt, und das obwohl er sich optisch so zittrig-taprig geben muss, dass man ihm die mindestens 25 Jahre, die ihm noch vergönnt sind, nicht abnehmen kann. Balsamisch ist sein Anteil am Vicino a me, profund der am Duett mit Simone im letzten Akt nach einem durch Mark und Bein gehenden i morti ti salutano.

Angemessen raubeinig im Vergleich zu dem Simones hört sich der Bariton von André Heyboer in der Rolle des Paolo an, ein Brunnenvergifter, wie er giftiger nicht sein könnte. Dem Strick des Henkers entgeht er, indem er den Rest des für Simone bestimmten Gifts trinkt, das bei ihm sofort, bei Simone erst nach vielen Stunden so recht wirkt. Aber Oper ist halt im Reich des Unwahrscheinlichen angesiedelt, und wenn nicht, dann sorgt die Regie dafür.

Einen angenehmen, geschmeidigen und zugleich markanten Bariton hat Luca Salsi für den Dogen, seine gute Diktion ist lobenswert, mehr in seiner großen Ansprache als im Piangi ist er mit einem leider nur selten agogikreich geführten, eher dem Dauerforte verpflichteten, gesund klingenden Material eine Freude für den Hörer.

Einen feurigen Gabriele Adorno, den es nicht lange beim von der Regie verordneten Schampus und Pianoforte hält, gibt Charles Castronovo mit dunkel getöntem Tenor, der an Metall zugelegt hat, der leicht nasal, aber nobel klingt und der eine schöne mezza voce einzusetzen hat. Bereits im Rezitativ vor seiner großen Arie weiß er generös zu phrasieren, und das Piano im Segen im ersten Akt hat viel Substanz.

Eine optisch gefallen könnende Amelia ist Marina Rebeka, die schöne Töne für den Schluss hat, einen feinen Triller zum Ende des ersten Akts beisteuert, deren Mittellage aber schwach, deren Höhe oft zu schrill ist, so dass sie insgesamt gegenüber ihren männlichen Kollegen etwas abfällt.

Vorzüglich singt der Chor der Staatsoper Wien (Ernst Raffelsberger) mit gebändigter Allgewalt, tadellos und eher zurückhaltend zumindest bei dieser Aufnahme geben sich die Wiener Philharmoniker unter Valery Gergiev, der wohl gerade zuvor in Bayreuth mit dem Tannhäuser weniger glücklich agiert hatte. Wer sich durch eine ärgerliche Optik den Spaß an Oper nicht mehr verderben lässt, guckt und hört, alle anderen schalten nur den Ton an, und ein musikalischer Genuss ist ihnen gewiss (Unitel 802704). Ingrid Wanja