Francis Poulenc ist mit seinen Dialogues des Carmélites das Kunststück gelungen, ein sprödes Thema, umgesetzt in keineswegs simple Musik, zu einem Welterfolg und einer der nachhaltig ins Repertoire gewachsenen Opern des 20. Jahrhunderts zu machen. Als Auftragswerk für die Mailänder Scala ebendort 1957 in italienischer Sprache uraufgeführt, trat das Werk schnell seinen Siegeszug um die ganze Welt an und hat sich wohl endgültig etabliert. Poulenc hat sich selbst das Libretto nach Georges Bernanos geschrieben. Die Handlung geht zurück auf eine historisch verbürgte Episode aus den Schreckensjahren der Französischen Revolution. Im Zuge eines Dekrets zur Aufhebung aller Klöster legen die Karmeliterinnen einen Märtyrereid ab und steigen singend aufs Schafott. Das Aufeinandertreffen von Religion und Revolution erzeugt ein faszinierendes musikalisches Spannungsfeld. Die frommen Gesänge der Nonnen werden durch die immer realer werdenden Bedrohungen von außen unterbrochen.
Die DVD ist der Mitschnitt der Rückkehr des Werkes an den Ort seiner Uraufführung, Mailand. Sie fand allerdings im Ausweichquartier der Scala, dem Teatro degli Arcimboldi im Februar 2004 statt. Dem Dirigenten Ricardo Muti, damals noch musikalischer Direktor des Hauses, stand eine erstklassige internationale Besetzung zur Verfügung. Ein wenig überrascht begegnet man Dagmar Schellenberger in der tragenden Rolle der Blanche de la Force, aber die Sopranistin überzeugt gleichermaßen mit lyrischen wie dramatischen Qualitäten. Den stärksten Eindruck hinterlässt allerdings Anja Silja in der äußerst dankbaren Rolle der Madame Croissy. Ihr Porträt der im qualvollen Sterben Gott lästernden alten Priorin ist ein Dokument für die Ewigkeit. Die Erfahrung und Reife einer über fünfzig Jahre andauernden, einzigartigen Karriere erlauben und ermöglichen ihr eine Gestaltung von beklemmender, gleichzeitig zutiefst anrührender Intensität. Neben dieser Ausnahmekünstlerin zu bestehen, ist nicht leicht, gelingt aber dem gesamten Ensemble in erfreulicher Homogenität. Hervorgehoben seien noch Laura Aikin als erfrischend natürliche Soeur Constance und Barbara Dever als fürsorgliche Mere Marie.
Ricardo Muti scheint diese Musik zu liegen, mit äußerster Konzentration baut er einen stetigen Spannungsbogen, bis hin zu den schneidenden Geräuschen des Sterbens. Robert Carsons Regie thematisiert das Aufeinandertreffen von Religion und Revolution in sinnfälliger Weise. Die anfangs noch stumm auftretenden Chöre schaffen eine dichte Atmosphäre von Bedrohung und Angst. Diese Angst ist das zentrale Thema des Werkes, sie wird von Blanche de la Force in ihrem gefestigten christlich-katholischen Glauben überwunden. Sicherlich keine leichte Kost, aber ein eindrucksvolles Dokument der Lebendigkeit der so oft totgesagten Oper auch noch im 21. Jahrhundert. Die DVD ist bei TDK (DVWW-OPDDC) erschienen.
Peter Sommeregger