Entstaubt: Die Salzburger Karajan-Opern

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Als „eine der denkwürdigsten Opernaufführungen der jüngeren Operngeschichte“ preist C-Major die Blu-ray-Ausgabe mit Verdis Don Carlo in Salzburg von 1986 unter der Stabführung und in der Regie des späten Herbert von Karajan an (die zusammen mit ebenfalls den Achtzigern entstammenden Aufnahmen von Don Giovanni, dem Verdi-Requiem und Falstaff nun Blu-ray-mäßig aufgepeppt auf dem Markt erschienen ist). Allerdings ist sie denkwürdig leider auch in einem Sinne, den das Label sicherlich nicht meinte. Musikfreunden war dieser Don Carlo immer recht verdächtig wegen der Unterschlagung von einer knappen halben Stunde Musik, so der jeweils zweiten Strophe der Canzone di Velo, Elisabettas Abschied von der Aremberg, und auch Posa muss vokale Federn lassen. Wurde bei den Herren das Beste vom Verfügbaren engagiert, so lässt die Besetzung der beiden großen Frauenpartie sehr zu wünschen übrig, denn die Elisabetta verfügt nur über das, was man in Italien una vocetta nennt, die Eboli über einen sogenannten soprano corto.

Optisch ist erst einmal alles in den Dekorationen von Günther Schneider-Siemssen historisch getreu, üppig und der berühmten Visconti-Inszenierung mit edlen Vierbeinern, die von Kleinwüchsigen (Darf man Zwerg noch sagen?) an der Leine geführt werden, recht ähnlich. Personenregie findet nicht statt, das heißt, sie erschöpft sich in überlieferten Standardgesten. Die Kostüme von Georges Wakhevitch könnten Gemälden von Goya oder Velasquez entsprungen sein.

Heikel schien zunächst die ad-hoc-Besetzung des Filippo mit Ferruccio Furlanetto, der ganz kurzfristig für den erkrankten José van Dam eingesprungen war, zu sein, denn er war immerhin ein Jahr jünger als sein Bühnensohn José Carreras. Aber auch optisch nicht aus der Altherrenrolle fallend, macht der Friaulaner seine Sache sehr gut mit so machtvollem wie kultiviertem Bassgesang. Piero Cappuccilli lässt sein Bora-gestähltes Stimmmaterial triumphieren über optische Alterserscheinungen und ist wie immer ein wahrer Fels in der Opernbrandung. José Carreras hat nicht mehr ganz die frische Tenorstimme der ersten Opernjahre, aber immer noch sein kostbares Timbre, reiche Sfumature, und er arbeitet sich auch darstellerisch ab an der statuarischen Elisabetta. Angemessen hohl und fahl lässt sich der Gran Inquisitore von Matti Salminen vernehmen, Franco de Grandis muss als Mönch hinter seinen Basskollegen, was vokale Potenz betrifft, kaum zurückstehen. Unter den Deputati befindet sich immerhin ein Roberto Servile und der Araldo soll auch erwähnt werden, denn immerhin sang Volker Horn einst den Hirtenknaben in Bayreuth und war dann jahrzehntelang ein leider unterschätztes Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin.

Immer noch und immer wieder betörend: José Carréras als Don Carlo/ Foto Unitel/C-Major

War es die Autorität Karajans, die Fiamma Izzo D’amico vor einem Buhorkan in Salzburg rettete? Sie ist die pure Ausdruckslosigkeit, singt streckenweise wie nur markierend, und wenn sie über eine mezza voce hinausgeht, klingt sie scharf-säuerlich. Außer einer Mimi ist von ihr nichts weiter überliefert, ihre Karriere war extrem kurz, und sie und ihre drei Töchter führten später ein erfülltes Leben als Synchronsprecherinnen. Streckenweise wie eine Karikatur der Eboli wirkt Agnes Baltsa, stimmlich brustig-vulgär in der Parkszene, mit veristischen Anklängen im Don fatale und selten sich zu großen Gesangslinien, zu großzügiger Phrasierung aufschwingend.

Drei Chöre sorgen für ein ausdrucksvolles Autodafé, darunter natürlich der der Wiener Staatsoper unter Walter Hagen-Groll. Lage darf man Herbert von Karajan zu Beginn beobachten und bewundert die Modulation des Orchesterklangs, die absolute Konzentration. Damals wurde von einem zu langsamen Dirigat gesprochen, das sich bei dieser insgesamt und wegen der Herren Sänger sehr sehens- und hörenswerten Aufnahme nicht bemerken lässt.

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Don Giovanni: Zwei Jahre nach der Studioaufnahme von Mozarts Don Giovanni gab es in Salzburg das Werk wieder mit lediglich das Orchester und die Elvira betreffend geänderter Besetzung. Anstelle der Berliner Philharmoniker sind 1987 die Wiener Philharmoniker zu erleben und anstelle von Agnes Baltsa nun Julia Varady. Für pünktliche Auftritte und Abgänge sorgte Michael Hampe, die viel schwarzen Marmor vortäuschenden Dekorationen von Mauro Pagano für eine angemessen düstere Stimmung, wenn nicht ein Postkartensevilla Urlaubsfreude aufkommen lässt. Der Commentatore erscheint direkt vom Himmel kommend zum Abendmahl und Donna Anna muss nicht eine falsch verstandene Emanzipation vortäuschen, indem sie Don Giovanni nachgiert und Don Ottavio, der hier noch edel und nicht dämlich ist, betrügt. Von unvorstellbarer Opulenz sind die Kostüme Paganos, allein der mehrfach wechselnde Kopfputz der Donna Anna dürfte die Salzburger Putzmacherinnen auf Monate beschäftigt haben.

Mit seidigem Klang breiten die Wiener unter Karajan sich alle Zeit nehmend, einen wunderbaren Klangteppich aus, auf dem sich die Sängerstimmen optimal entfalten können. Der Leporello von Ferruccio Furlanetto ist der einzige Muttersprachler unter den Solisten, und man hört es, denn das Italienisch seines Herrn Samuel Ramey ist alles andere als perfekt. Der Italiener singt eine bravouröse Registerarie und ist optisch wie akustisch die Beweglichkeit in Person. Der Amerikaner trägt mit viel Anstand seine wunderbaren Kostüme, die in Virtuosität rossinigeschulte Stimme tut auch der Champagnerarie gut, die Serenade allerdings klingt recht grob, die Spitzentöne manchmal offen. Kein Schwächling ist der Don Ottavio von Gösta Winbergh, sondern nobel und im Dalla sua pace nicht anämisch, sondern empfindsam, kein Säusler, sondern mit einem besonders schönen Piano für die zweite Strophe von Il mio tesoro, und nicht einmal ein derbes „lo tschuro“ anstelle von „lo giuro“ kann den guten Eindruck ernsthaft beeinträchtigen. Alexander Malta bleibt ein eher unauffälliger Masetto, Paata Burchuladze ist ein Furcht einflößender Commendatore mit Grabesstimme.

Die beiden prime donne übertreffen einander an szenischer Präsenz und beglückendem Gesang. Anna Tomowa-Sintow hat für die Namensvetterin das tragische Timbre einer Rachegöttin, das Verständnis für die Bedeutung der Rezitative  und die Virtuosität für „non mi dir“. Mit leichtester Emission der Stimme ist Julia Varady eine Donna Elvira der sich aus Virtuosität, Ebenmaß der Tongebung und Identifikation mit ihrer Partie ergebenden Perfektion. Allein im È mio marito spiegelt sich eine Vielzahl von Empfindungen. Eigentlich ein Plädoyer für die Besetzung mit einem Mezzosopran ist die Zerlina von Kathleen Battle, die vokal allzu püppchenhaft bleibt. Insgesamt aber kann man einer solchen Aufnahme nur nachweinen, bzw. glücklich darüber sein, dass man sie besitzt.

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Auf dem Papier oder vielmehr dem Cover der Bluray mit Verdis Falstaff scheint sich der Himmel für den Opernliebhaber zu öffnen: die ideale Besetzung in fast allen Partien, die Wiener Philharmoniker in Salzburg und natürlich mit Herbert von Karajan, der auch Regie geführt hat. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1982, als man generell noch vor Regieabstrusitäten sicher war.

Optisch wirkt die Bühne von Günther Schneider-Siemssen mit ihren naturalistischen Pappkulissen doch recht verstaubt und altmodisch, dazu kommt zumindest für den Park von Windsor noch Karajans Vorliebe für eine dunkle Bühne zum Tragen, die einst eine Birgit Nilsson zum Scherz mit der Grubenleuchte trieb. Eine Spur zu kostbar sind die Kostüme von Georges Wakhevitch, so könnte die Alice gut und gern auch als Maria Stuart oder Elisabetta aus Don Carlo durchgehen, und auch Falstaffs Festkleidung scheint im Wirtshaus zum Hosenbandorden gut gepflegt worden zu sein. Insgesamt aber erfreut man sich an der liebevollen Sorgfalt, mit der Falstaffs Behausung wie Fords Heim ausgestattet wurden, und an der Phantasie, mit der die Kostüme des Elfenvolks im letzten Bild bedacht wurden.

Was heute Ambrogio Maestri ist, war zu seiner Zeit Giuseppe Taddei, ohne den beinahe keine hochkarätige Falstaff-Produktion denkbar war. Darstellerisch ist er noch immer die Erfüllung mit seiner Ausgewogenheit zwischen derber Komik und feinem Humor, zwischen Resten von Nobilität und weinseliger Kreatürlichkeit. Vokal ist der Bariton allerdings über den Zenit seiner Fähigkeiten bereits hinaus, wobei man sich immer wieder fragt, ob das häufige Verfallen in den Sprechgesang, das unangenehme Chargieren, die Lautverzerrungen dem Alter oder den Anweisungen der Regie zu verdanken sind. Zumindest bei „Va, vecchio John“, das im ersten Bild zerpflückt, in der Wiederholung im zweiten Akt jedoch mit schönem Legato gesungen wird, neigt man dazu, an Absicht und nicht an Unvermögen zu glauben. Der zweite Star der Aufnahme ist Christa Ludwig, die nicht wie eine Feodora Barbieri ihr „Reverenza“ und „povera donna“ extrem orgelnd ausreizt, sondern die durchweg zwar farbig-vollmundig auftritt, aber sehr geschmackvoll bleibt. Nicht ganz die Tragödin ablegen kann Raina Kabaivanska als Alice, die mit leuchtendem Sopran wie darstellerischer Souveränität die Szene beherrscht. Wie kaum ein anderer Dirigent unterstützt Karajan ihren Hang zu weit ausladender Phrasierung. Eine Luxusbesetzung für die Meg ist Trudeliese Schmidt, mit zartem lyrischem Sopran beschwört Janet Perry als Nannetta das Volk der Elfen.

Einen schmucken Fenton gibt Francisco Araiza mit italienisch geschultem Tenor, Rolando Panerai hat nicht oder hat nicht mehr  das Volumen für einen souveränen Ford, so dass er als ungehobelter Polterkopf mit Timbrespreizung erscheinen muss. Ganz besonders er weicht in Verismogesang aus, wenn die generöse Gesangslinie nicht mehr gelingt. Ungehobelt klingt der Pistola von Federico Davià , als auch vorzüglicher Schauspieler erweist sich Heinz Zednik als Bardolfo, Piero de Palma ist ein wunderbar textverständlicher Dr. Cajus. Walter Hagen-Groll, auch den Berlinern bestens bekannt, hat den im letzten Bild trotz aller Turbulenzen sicheren Chor einstudiert, das Orchester ist überaus freundlich zu den Solisten, um umso mehr entfaltet es luxuriöse Klangpracht, wenn dies ohne vokale Verluste möglich ist.

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Verdi-Requiem: Viele Male hat Herbert von Karajan das Verdi-Requiem aufgenommen oder es wurde mitgeschnitten, so bereits 1949 mit den Wienern und Zadek, Klose, Roswaenge und Christoff, 1958 mit eben diesen und Rysanek, Ludwig, Zampieri und Siepi, 1962  in Salzburg mit Price, Simionato, Zampieri und Ghiaurov, 1972 mit den Berlinern und Freni, Ludwig, Cossutta und Ghiaurov,  dazu Caballé, Janowitz, Cossotto, Bergonzi und einspringend für diesen Pavarotti, sie alle haben mit dem Dirigenten Verdis Totenmesse aufgeführt. Von 1984 aus Salzburg stammt die Aufnahme mit Anna Tomova-Sintow, Agnes Baltsa, José Carreras und José van Dam als DVD-Bluray und ist nicht geprägt durch die Mitwirkung von Clouzot wie die in der leeren Scala, wirkt insgesamt viel weniger theatralisch, sondern eher verinnerlicht, und es ist schön zu sehen und zu hören, wie der Dirigent sich mit Hingabe seiner Aufgabe widmet. Anna Tomowa-Sintow ist souverän in den Intervallsprüngen des Libera me und verfügt über wunderbare Schwelltöne, Carreras beginnt mit einem wunderbaren Pianissimo für das Hostias und sein Timbre ist anbetungswürdig, José van Dams Bass ist so nobel wie markant, Baltsas Mezzo ist recht hell, so dass das Lacrymosa doch einiges an Wirkung einbüßt. Den Gesichtern den Chormitglieder sieht man die Magie an, die das Stück auf sie ausübt, sie singen übrigens ohne Noten, während die Solisten die ihren etwas verschämt unter der Brüstung halten, die Kamera bemüht ist, ihnen dabei behilflich zu sein. Aber was zählt das schon bei einer solchen Aufnahme (das DVD-Coverfoto des Verdi-Requiem zeigt allerdings den Wiener Musikverein, korrekterweise. Nicht Salzburg .../ C-Major 761604, 761504, 761404, 761704)! Ingrid Wanja