Berühmt ja, aber legendär?

 

Legendary Conductors nennt sich die DVD-Reihe, mit der Arthaus berühmte Dirigenten vorstellt, jeweils mit einer Darstellung ihres Werdegangs und in einem zweiten Teil mit zumindest einem Teil eines Konzerts. Im Fall von Zubin Mehta (Good thoughts, good words, good deeds)sind das die Kindertotenlieder von Gustav Mahler mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und mit Thomas Quasthoff, dessen letztes Konzert mit klassischer Musik vor der Hinwendung zum Jazz dies war.

Die gesamten 120 Minuten lang ist man als Zuschauer berührt von der großen Menschlichkeit, die der indische Dirigent ausstrahlt und die neben seinem großen Können den Untertitel der DVD, Good Thoughts, good Words, good Deeds, glaubhaft werden lässt. Schauplätze sind natürlich das Heimatland Indien, sein Wirken in Israel, aber auch Wien oder die Berliner Philharmonie gehören zu den bevorzugten Schauplätzen. Unzählig viele Fotos und Filmausschnitte machen den Reichtum des Films aus, und auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn der Maestro im Frack inmitten einer großen Schar von Pinguinen posiert. Mehrfach sind Proben zum und die Aufführung vom berühmten Konzert der drei Tenöre in den Thermen des Caracalla in Rom während der Fußballweltmeisterschaft 1990 zu sehen, Filmausschnitte von einer einer Saalschlacht gleichkommenden Auseinandersetzung des israelischen Publikums über Für und Wider einer Aufführung des Vorspiels zu Tristan und Isolde. Auch ganz frühe Auftritte wie die in Gemeinschaft mit Daniel Barenboim und anderen jüdischen Musikern, eine Oberon-Ouvertüre oder das Mozartkonzert für Flöte und Harfe gewähren interessante Einblicke in das Wirken Mehtas. Fast immer wünscht man sich, die musikalischen Teile würden nicht so schnell wieder aufhören, aber das Erfüllen dieses Wunsches würde nicht der Zielsetzung des Films gerecht werden, mit dem vielseitigen Schaffen des Maestro bekannt zu machen. So gibt es schnelle Orts- und Themenwechsel, von der Bekümmernis über den israelisch-palästinensischen Konflikt und ein Konzert mit Gasmasken für das Publikum über den vergeblichen Versuch, als Friedensbote mit dem Orchester in Ägypten zu musizieren und das erste Gastspiel des Israelischen Nationalorchesters in Deutschland, dem sich nur zwei Musiker verweigerten. Eine Würdigung Wagners als Baum, dem die Früchte Mahler,Grieg, Schostakowitsch usw. zu verdanken sind, fehlt eben so wenig wie Berichte vom Rigoletto beim Maggio Fiorentino oder der ersten Aufführung von Turandot in Peking, wo ein Wettlauf mit dem Regen stattfand. Anteilnahme erweckend sind auch die Ausschnitte von einem Konzert in Sarajewo während des Jugoslawienkonflikts. Und immer wieder berührt es den Betrachter der DVD sympathisch, wie bescheiden, freundlich und ausgeglichen sich Zubin Mehta nicht nur gibt, sondern wie er zu sein scheint.

Sollten in Zukunft nicht nur viele Japaner in europäischen Konzertsälen zu finden sein, sondern auch zunehmend junge Inder, dann wird das ein Verdienst Mehtas sein, der sich um die musikalische Erziehung der Jugend seines Heimatlandes kümmert. Die Gefährten seiner Kindheit und Jugend kommen ausführlich zu Wort und vervollständigen das Bild eines nicht zuletzt wegen seiner Liebe zum Kricketspiel heimattreuen wie weltoffenen Dirigenten. Dank seiner Freundschaft mit Daniel Barenboim hat man in Berlin oft das Vergnügen, ihn zu erleben. Aus München ist ein Ausschnitt aus den Gurreliedern mit Klaus Maria Brandauer zu sehen und zu hören, bei der Wiedergabe der Kindertotenlieder aus Dresden interessierte die Kamera natürlich besonders der Sänger.

Thomas Quasthoff fasst sie als einen Klagegesang ohne Anspruch auf Schöngesang auf, lässt seinen Bariton mal hohl, mal grell erklingen, einzelne Worte treten als Bedeutungsträger hervor, aber die Stimme kann auch strahlen wie auf „Sterne“. Ohnmacht und Zynismus werden ebenso zu Gehör gebracht wie das Tröstende des Schlusses, das nicht nur lange nachhallt, sondern sich auch im Gesicht des Sängers widerspiegelt. Kongenial zeigen sich die dunkel leuchtenden Farben des Orchesters. Die Aufnahme entstand 2010. Die nächste Folge der Reihe Legendary Conductors ist Daniel Barenboim gewidmet (Arthaus 109439). Ingrid Wanja