Sehr überzeugend

 

Noch eine Salome? Noch eine! Die wievielte eigentlich? Andreas Ommer listet in seinem „Verzeichnis aller Operngesamtaufnahmen“, das in der zweiten Ausgabe als CD-ROM (zeno.org.) aber nur bis 2007 reicht, fast achtzig Aufnahmen auf. Dazu kommen noch die Produktionen in bewegten Bildern. Der Onlinehandel hat derzeit mindestens zehn verschieden DVDs im Angebot. Vertreten sind Regisseure mit sehr unterschiedlichen Handschriften – von traditionell üppig bis hin zu Regietheater pur mit optischen Anleihen bei der Gegenwart. Fast jede Erwartung wird bedient. Mangel herrscht also nicht. Neuerscheinungen treffen auf harte Konkurrenz.

Naturgemäß wird immer dieselbe Fassung gespielt und angeboten, weil es bei Salome im Vergleich zu vielen anderen Werken keine Striche, die aufzumachen sind, und keine verschiedenen Versionen gibt. Unterschiede beschränken sich einzig auf die Besetzungslisten und die Produktionsstandorte. Es gibt viele Gründe, sich trotz des Überangebots eine neue Aufnahme zuzulegen. Da es sich heutzutage mehr oder weniger um Liveproduktionen handelt, lassen sich die Eindrücke im Opernhaus zuhause überprüfen oder – wenn es besonders gut gefallen hat – auf Knopfdruck wiederholen. Die DVD-Neuerscheinung von RCO – dem eigenen Label des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam (LC-14237) – fährt Solisten auf, die ihre Rollen auch anderswo mit Erfolg gesungen haben und singen.

Allen voran die Schwedin Malin Byström, die als Salome beispielsweise auch schon in London zu hören war. Sie ist sehr vielseitig unterwegs und scheut auch die Operette nicht. Ihr üppiger Sopran hat Kritiker zu Vergleichen mit Kiri Te Kanawa veranlasst. Doris Soffel ist als Herodias optisch schon in der Inszenierung von Nicolaus Lehnhoff 2011 in Baden-Baden dokumentiert (Unitel/Arthaus). Ihre Professionalität erlaubt es ihr, sich in Inszenierungen aller Couleurs ganz selbstverständlich zurechtzufinden. Und wäre die Bühne stockdunkel, man würde ihre Anwesenheit auch dann noch spüren, so stark ist die darstellerische und stimmliche Präsenz dieser Künstlerin. Ihr erster Auftritt grenzt an Magie, als sei alles nur darauf hin inszeniert. Sie übernimmt und degradiert den stimmlich bestens aufgelegten Herodes (Lance Ryan), der sich mal eine Pause vom schweren Wagner-Helden-Fach gönnt, zur Memme, als die er im Stück selbst ja auch angelegt ist.

Doris Soffel ist als Herodias bei ihrem ersten Auftritt in magisches Licht getaucht und beeindruckt einmal mehr durch ihre unglaubliche Professionalität. Foto: DVD/Screenshot

Evgeny Nikitin hat seine Erfahrungen als Jochanaan vor allen am Mariinsky-Theater in St. Petersburg gesammelt. Mit seinem kernigen Bassbariton trumpft er eifernd und mächtig auf und kann auch seine vielen Tattoos ausstellen, als müsste es so sein. Sehr anrührend ist es, wenn der Page (Hanna Hipp) den jungen Syrier Narraboth (Peter Sonn) küsst, nachdem der sich selbst getötet hat. Er ist der einzig in der Geschichte, der wirklich liebte. Und niemand nimmt auch nur die geringste Notiz davon.

Der belgische Regisseur Ivo van Hove verlegt Teile der Handlung in einen Raum, der an eine Hotellobby erinnert. Diese klein gehaltene Handlungsebene ist – einem Guckkasten gleich – nach hinten gesetzt, während sich Salome meist auf der kargen überdimensionierten Vorderbühne – der Terrasse mit der Zisterne – bewegt. Als würde sie nicht dazugehören, als sei sie von der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie ist Außenseiterin, was während der gesamten Vorstellung niemals außer Acht gerät. Die Schlussszene ist nichts für schwache Nerven. Sie gerät blutig. Daniele Gatti lädt das Orchester effektvoll wie mit Stromstößen auf. Und so ist diese Salome keine Salome zuviel. Rüdiger Winter