Fremde Heimat hat der Bariton Rafael Fingerlos seine neue CD mit Liedern betitelt, die bei Oehms Classics herausgekommen ist (OC 1711). Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk produziert, was erfreulich ist. Erfreulich deshalb, weil der gebührenfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk damit seinen Teil der Verantwortung für die Förderung junger Sänger übernimmt. Fingerlos hat in namhaften Häusern und auch bei Festivals erfolgreich auf sich aufmerksam gemacht, so als Papageno an der Wiener Staatsoper oder als Rossinis Figaro in Dresden. Für Ende 2020 ist Elias in Klagenfurt angekündigt. Die Hinwendung zum Liegesang versteht er neben Oper und Oratorium als feste Größe in seiner Karriereplanung. Und das ist auch gut so. Er bringt dafür solide Voraussetzungen mit.
Die neue CD wurde im Sommer 2019 produziert. Fingerlos hat sich ein unverwechselbares Timbre erarbeitet. Die Stimme kling kräftiger und voluminöser als es seine jungenhafte Erscheinung erwarten lässt. Atemtechnisch erprobt er interessante Lösungen, indem einzelnen Passagen auf eine Weise verbunden werden, dass sich daraus ganz bestimmte Aussagen ergeben. Musikalische Bögen sind für ihn kein Problem. Er beherrscht das Genre gut. Details könnten noch poetischer ausgefüllt werden. So ein Beispiel gibt es in Schuberts Willkommen und Abschied nach Goethe. Wenn es gegen Ende des Liedes heißt, „Doch ach, schon mit der Morgensonne verengt der Abschied mir das Herz“, dann wünschte man sie dieses „ach“ tiefer gefühlt und gesungen. Fingerlos hat auch die Angewohnheit nicht ganz abgelegt, gelegentlich bei Worten, die mit einem Konsonanten beginnen, zu aspirieren. Es bleibt sein Rätsel, warum er in Wandrers Nachtlied II die Wiederholung von „warte nur“ wie „w(h)arte nur“ klingt. So ein Detail stört umso mehr, als das Lied als Ganzes betörend schön vorgetragen und zu seinem Höhepunkt der CD wird.
Fremde Heimat also! Die Titel wurden passend ausgesucht, so dass sich der Säger in seinem einleitenden Text des Booklets weitere Erklärungen sparen kann, zumal auch alle Texte abgedruckt worden sind. Vielmehr gibt er anhand einiger Lieder freimütig Einblick in seine eigene Gefühls- und Erlebniswelt. Wie schon bei seiner ebenfalls bei Oehms erschienen CD Stille und Nacht (OC 1879) gibt es zwischen hinlänglich bekannten Liedern weitestgehend unbekannte Stücke zu entdecken. Wieder ist Robert Fürstenthal vertreten, diesmal mit seinem vorwärtsdrängenden Reiselied nach Hugo von Hofmannsthal. Dieser Komponist wurde 1920 in Wien geboren, musste vor den Nationalsozialisten fliehen und betätigte sich in den USA als Wirtschafsprüfer, wie die Wiener Zeitung berichtet: „Die Kompositionen entstanden nebenher, ausschließlich Kammermusik und Lieder. Er komponierte für seine Jugendliebe. Nach der Trennung von ihr schrieb er keine Note mehr, als er sie wiedertraf, kehrte seine Inspiration zurück.“ Fürstenthal starb 2016. Fingerlos hatte ihm bereits eine ganze CD gewidmet, die bei Toccata Classics herausgekommen ist. Sein Stil ist traditionell und erinnert am ehesten an Hugo Wolf und Richard Strauss, die beide aktuell auch vertreten sind – Wolf mit Auf einer Wanderung, Strauss gleich dreifach mit Nachtgang, Ach Lieb, ich muss nun scheiden und Zueignung. Schubert war genannt. Dazu kommen Brahms, Mendelssohn und Schumann. Der Engländer Peter Warlock und der US-Amerikaner Charles Ives erweitern den Radius des Angebots. Mit Die stille Stadt legt Alma Mahler einen Beweis für ihr Talent als Komponisten vor. Sie ist die einzige Komponistin auf dieser Neuerscheinung. Mit dem Volkslied „Deine Hand mecht i gspian“ scheint der aus Salzburg stammende Bariton am Ende seiner CD heimzukehren. Es wurde von ihm und seinem höchst sensibel begleitenden Pianisten Sascha El Mouissi, der ein sehr gefragter Begleiter ist, so bearbeitet, dass es sich auch einem Publikum mitteilt, dass den alpenländischen Dialekt nicht versteht. Rüdiger Winter
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